Ganz für sich allein. Werner Koschan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ganz für sich allein - Werner Koschan страница 13

Автор:
Серия:
Издательство:
Ganz für sich allein - Werner Koschan

Скачать книгу

Licht zuckt ein paarmal und verlischt dann endgültig. Eine Explosion in unmittelbarer Nähe zerreißt unser Schweigen. Und dann nehme ich immer mehr die unmenschlichen Geräusche in der Nähe wahr. Selbst das sonore Brummen der vielen Motoren klingt bedrohlich.

      Man wagt gar nicht zu atmen. Jeder Atemzug kann die Sekunde des Todes einleiten. Nur nicht bewegen, nicht atmen, nicht husten. Als ob die Männer in ihren fliegenden Mordmaschinen uns hören könnten und nicht nur wahl- und ziellos den Tod verteilen.

      Carola greift nach dem Rucksack. Diesmal gilt es eindeutig uns in Dresden. In vielen Städten hatte man sich ja schon beinahe an die Nächte im Keller gewöhnt. Ich weiß, dass ich mich nie daran gewöhnen werde. Und bisher war es meist schnuppe, weil es uns nur selten galt und stets harmlos endete. Aber nun bin ich konsterniert. Erst der Brief und die Gewissheit und jetzt das. Na, für mich war es ja gleichgültig, nur um Carola tut es mir leid.

      Wir verlassen die Wohnung und versperren die Tür. Im Treppenhaus höre ich die kleine Sarah Abend weinen. »Kann mir denn keiner helfen?«, fleht sie. Offenbar hat sie uns gehört.

      Ich steige die Treppe hinauf. Sarah hockt vor der Wohnungstür und schaut mich mit verweinten Augen an. Sie ist zwölf Jahre alt, hat Kinderlähmung und kann nicht laufen.

      »Wo sind deine Eltern?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Na, dann werde ich dich mal hinuntertragen. Komm, halte dich an meinem Hals fest.«

      Das Mädchen wiegt mehr, als ich gedacht hätte. Carola streichelt Sarahs Hand. Sie ahnt, dass ich das Kind nicht quer durch Dresden in einen sicheren Keller tragen kann. Ich nicke Carola zu, das soll heute allem Anschein nach so sein.

      »Wir bleiben besser hier im Keller. Ich muss Sarah ja nachher wieder hochtragen. Einverstanden, ihr beiden?«

      Carola lächelt gequält und Sarah drückt ihr tränenfeuchtes Gesicht an meine Wange. Ein sonderbares Gefühl. Im Keller angekommen, setze ich Sarah auf einen Stuhl. »Weiß jemand, wie spät es ist?«, frage ich in den matt erleuchteten Keller hinein.

      »Gegen 21 Uhr 30 haben wir Sirenen gehört«, antwortet eine Frauenstimme.

      Dann höre ich nur noch verhaltenes Atmen. Wie lange wird es wohl diesmal dauern? Jede Sekunde kann es einschlagen und den Tod bedeuten, da werden Minuten zu endloser Zeit. Wir warten darauf, dass die Welle über uns endlich abgeladen hat. Jede Sekunde dauert Stunden. Schließlich hören wir, dass die Flugzeuge über unseren Köpfen hinweggezogen sind. Das Brummen der Motoren entfernt sich. Mit zwei anderen Männern steige ich die Treppe hinauf, wage zunächst nur einen Blick aus dem Keller und trete dann doch ins Freie.

      Einige Menschen hasten die Schlossstraße entlang. Ich schaue mich um. Saurer beißender Qualm liegt schwer in der Luft. Unser Haus ist überwiegend heil geblieben, aber auf der anderen Seite das Cäsarsche Haus hat ordentlich was abbekommen. Dieser Angriff an einem 13. hat uns nichts anhaben können, das muss etwas bedeuten. Hoffe ich zumindest.

      Jemand umfasst meinen Arm. Es ist Carola, sie blickt mich an und weint.

      »Kein Grund zu weinen«, beruhige ich sie. »Ist alles gut gegangen, Carola.« Was Besseres fällt mir nicht ein.

      Ein recht wohlgenährter Herr hat meine Worte gehört. Er tritt zu uns, blickt auf meinen Stern an der Brust und sieht mich erbost an. Dann spuckt er voller Verachtung vor mir aus. Was hat das nun zu bedeuten? Und dann begreife ich, weswegen Carola weint. Alle vorbeihastenden Leute scheinen meinen Stern und mich zu verfluchen. Man schaut uns böse an. Klar, ich bin schließlich schuld an all dem Übel. Verdammter Jude, bist an diesem ganzen Krieg schuld!, kann ich in den Gesichtern lesen. Nicht in allen, aber in einigen. Und Carola ist auch schuld, weil sie sich nicht von mir scheiden lässt, weiß ich, obwohl ich dies nicht in den Gesichtern lesen kann.

      »Warum gibt es keine Entwarnung?«, fragt Carola leise.

      Statt einer Antwort hören wir erneut leises, fernes Brummen von Motoren, das langsam anschwillt. Die Menschen beginnen zu schreien und rennen nun wahllos umher.

      Unvermittelt stehen Sarahs Eltern neben uns. Sie schnaufen, Atemwölkchen verbreitend. Sie sind anscheinend im Galopp hierher gelaufen.

      »Wo ist Sarah?«, fragt Frau Abend mit ängstlicher Stimme. »Ist sie oben?«

      »Nein«, beruhige ich sie. »Ich habe sie in den Keller getragen. Sie hat ein bisschen geweint, weil sie sich etwas allein fühlte. Wo waren Sie denn nur?«

      »Wir waren nahe dem Platz der SA und konnten dann nur noch die Laurinstraße bis zum Wettiner Bahnhof, als es losging«, schnauft Herr Abend. »Da ist zum Glück nur ganz wenig runtergekommen. Der Alarm kam viel zu spät. Wir haben Sarah zum ersten Mal alleine gelassen. Dann der Krawall. Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Gott sei Dank! Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Doktor Löwenthal.«

      Es kracht ganz in der Nähe. Meine Zeit, denke ich, können die denn immer nur die Innenstädte angreifen? Die Industriegebiete liegen doch nicht gerade auf dem Altmarkt oder aufm Schlossplatz. Wenn sie wenigstens den Adolf-Hitler-Platz abknallen würden - zumindest dem Namen nach wäre das wenigstens vortrefflich!

      Carola und ich laufen die Kellertreppe so flink hinab, dass wir im freien Fall nicht schneller unten gewesen wären. Ich schiebe Carola in den Keller, bleibe selbst an der Tür stehen und halte sie geschlossen, weil das Schloss fehlt. Judenkeller dürfen nicht verschlossen sein! Das Verbot ist unumstößlich. Ich knie mich geduckt unter die Treppe, die das ganze Haus trägt. Scheint stabil zu sein, bilde ich mir ein und schaue durch die einen Spalt geöffnete Kellertür. Viele hocken geduckt zwischen Stühlen, manche sind sogar unter die wenigen Tische gekrochen. Als wäre dies sicherer als auf den Stühlen zu sitzen. Ich höre leises Wimmern und Weinen. Eine kleine Weile bleibe ich unter der Treppe hocken. Bald wird der beißende Rauch unerträglich. Ich begebe mich in den Verschlag, setze mich zu Carola auf den Lehmboden. Sie ergreift meine Hand. Der Druck ihrer kleinen Hand schmerzt richtig.

      Neues Herannahen der Flieger. Wieder Einschläge. Das Knallen und Erzittern des Bodens fühlt sich an, als läge es sehr in der Nähe. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholt, denn ich zähle die Einschläge schon nicht mehr. Sonst zähle ich immer. Wenn es zehn Mal in der Nähe gekracht hat, ohne direkt bei uns einzuschlagen, hat uns das Schicksal verschont, bilde ich mir ein. Auch sonst zähle ich alles, sogar die Schritte während meiner Spaziergänge. Dabei schließe ich mit dem Schicksal jedes Mal eine Wette ab: Wenn die Schrittsumme bis zu dem und dem Punkt eine gerade Zahl ergibt, rede ich mir ein, geht alles gut aus. Allerdings mogle ich dabei manchmal ein wenig. Sobald ich abschätzen kann, ob ich noch einen oder zwei Schritte bis zum Zielpunkt gehen muss, mache ich entweder zwei kleinere oder einen größeren Schritt. Je nachdem. So geht die Wette stets gut für mich aus. Das beruhigt.

      Die Angriffswellen zähle ich heute nicht. An einem 13. zu mogeln ist mir einfach zu gefährlich!

      Es knallt spürbar in der Nähe. Der Keller scheint sich zu heben und ins Fundamentbett zurückzuplumpsen. Natürlich eine irrationale Vorstellung. Plötzlich springt die Tür zum Schutzraum auf und durch das Kellerfenster auf der Straßenseite des Hauses fällt taghelles Licht in den Kellerraum. Gespenstische Gesichter zu Tode erschrockener Menschen. Ich sehe schwitzende und nach altem Schweiß stinkende Männer, Frauen mit verschwitzten wirren Haaren. Sarahs Gesicht scheint ausschließlich aus angsterfüllt aufgerissenen Augen zu bestehen, und zugleich betrachtet ein vielleicht sechsjähriges Mädchen das Schauspiel der Helligkeit. Ihr leicht geneigtes Gesicht scheint äußerst interessiert.

      Eine gutturale

Скачать книгу