Ganz für sich allein. Werner Koschan

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Ganz für sich allein - Werner Koschan

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      Den Hiwis ist saukalt und die Posten verkaufen ihnen heißen Tee mit Fusel, werden bezahlt mit den Wertsachen von Menschen, die noch gar nicht da sind. Spekulationen auf Geld und Waren, welche diejenigen mit sich führen.

      Motorräder fahren vor und satte, fettleibige Stabsoffiziere springen ab, Abzeichen glitzern im scharfen Licht der Wintersonne, Weihnachtsmanngesichter strahlen. Einige tragen große Aktentaschen, andere schwingen Haselnussgerten.

      Sie begrüßen sich mit der erhobenen Rechten. Schütteln sich dann herzlich die Hände, lächeln sich an, erzählen Neuigkeiten von zu Hause. Reden über ihre Kinder und zeigen sich gegenseitig Fotos.

      »Der Transport kommt!«

      Hinter den kleinen, vergitterten Fenstern drängen sich Gesichter, blass, ängstlich und übernächtigt. Einige Fäuste trommeln gegen die Waggonwände. Verzweifelte Rufe höre ich. Dann wachsen die Rufe wie jedes Mal zu lautem Geschrei.

      Ein Offizier, arisch hochgewachsen und mit mehr Silber behangen als die anderen, winkt angewidert einem Posten. Der feuert eine kurze Salve über die Reihe der Waggons. Die Schüsse hallen nach in der plötzlichen Totenstille.

      Der Riese mit der Aktentasche hebt die Hand. »An die Arbeit!« Die Hiwis wissen längst, wer Gold nimmt oder sonst etwas, was nicht essbar ist, wird wegen Diebstahls von Reichseigentum kurzerhand erschossen!

      Die Riegel der Waggons knarren, die Türen werden geöffnet. Die ersten Leiber stolpern von hinten gedrückt aus den Waggons. Koffer landen auf ihren Rücken, andere Leiber folgen und schließlich sind die Menschen beinahe erdrückt von der Last der Koffer, Päckchen, Bündel und Taschen jeder Art. Denn die Transportierten bringen so viel Unnützes mit, was in ihrem bisherigen Leben Sicherheit und Wohlstand bedeutete und hier vollkommen bedeutungslos für sie sein wird.

      »Was geschieht mit uns?« Wie stets die erste Frage der ängstlichen Menschen.

      »Ihr werdet entlaust und dann frisch eingekleidet, deshalb braucht ihr bis dahin euer Zeug ja nicht. Das muss ebenfalls entlaust werden. Seid bitte vernünftig!«

      Menschen, die in den Tod gehen, sollen bis zum letzten Augenblick belogen werden, das ist die einzige zulässige Form von Mitleid. Und die meisten werden wirklich ruhiger.

      Ehe sie Zeit haben, sich an die frische Luft zu gewöhnen, bevor sie zu sich kommen, zerrt man ihnen alles aus den Händen.

      »Ach bitte, lassen Sie mir ...«

      »Verboten!«, zischen die Hiwis scharf durch die Zähne.

      Äußerlich beherrscht schaue ich zu und rufe den Verängstigten automatisch die Sätze zu, die ich bei jedem Transport rufe, von denen ich träume.

      »Meine Herrschaften! Legen Sie Ihr Gepäck bitte selbst ab, damit Sie es später leichter wiederfinden, wir wollen doch nur Ihr Bestes!«

      Und das ist nicht mal eine Lüge. Die Kameraden wollen Geld, Gold und dergleichen - die Hiwis wollen Fressen. Meine Stimme klingt sanft, begütigend.

      »Jawohl«, antworten manche Menschen gedämpft hoffnungsvoll.

      Eine hübsche Frau bückt sich nach ihrer Tasche. Das darf ich nicht durchgehen lassen, denn wir stehen ebenfalls unter Beobachtung. Besonders die plattbusige SS-Frau ist peinlich darauf bedacht, dass kein männlicher Kamerad für eine einzige andere Frau Mitleid oder Ähnliches zeigt. Meine Gerte pfeift durch die Luft, die Frau fällt unter die Füße der Menge. Das Kind hinter ihr wimmert »Mammele ...« Ein kleines, zerzaustes Mädchen. Die Sturmführerin mit dem farblosen Haar lächelt sadistisch.

      Ganze Berge abgelegter Koffer und Taschen wachsen neben den Waggons. Aus manchen Hand- und Aktentaschen, die aufgesprungen sind, quellen Banknotenbündel hervor, Gold, Uhren, Schmuck, Brot, Schinken, Würste; Zucker vermischt sich mit Sand, zerrinnt im Schotter.

      Diejenigen, die man nach rechts geschickt hat, atmen durch. Sie sind jung und gesund und gehen ins Lager. Sie dürfen eine Zeitlang arbeiten, bevor sie dann ins Gas gehen, das pausenlos in den Rotkreuzwagen hin und her transportiert wird. Denn unter dem Zeichen des Roten Kreuzes fährt man das Gas heran, mit dem die Menschen vergiftet werden. Schließlich wäre es ja auch eine Schande, wenn eine alliierte Granate diese kriegswichtigen Transporte gefährden würde.

      Die Helfer schubsen die ersten Menschen auf die Lastwagen, sechzig, siebzig Leute pro Wagen, Kinder zählen gar nicht, ein paar mehr oder ein paar weniger, darauf kommt es nicht so genau an. Daneben steht ein junger Kamerad und macht ins Transportbuch für jeden Lastwagen einen Strich, jeden fünften Strich diametral über die vier vorherigen. Drei solcher Strichpakete zählen für rund Tausend Menschen - vereinfachte Buchführung, Ordnung muss sein!

      Die Strichpakete mehren sich und meine Feldflasche ist schon wieder ziemlich leer. Ein Hoch auf unser reinrassiges Großdeutschland: Ein Volk - ein Reich - ein Führer - Krematorien - und kostenloser Schnaps für uns!

      Ich stehe mit meiner Gerte dabei, könnte kotzen und traue mich nicht, sondern nuckle lieber gehorsam an meiner Feldflasche! Ach so, leer. Los, du plattbusige Hure - ach was, selbst wenn du die einzige Frau der Welt wärst, würde kein Kerl seinen Pimmel bei dir reinstecken wollen, aber du darfst mir die Flasche füllen. Das Scheusal genießt meinen Ekel und kneift mir ein Auge zu, widerlich!

      Die Waggons sind leer geworden. Kamerad Harald, Vater von sechs Kindern schaut ruhig hinein und nickt den Häftlingshelfern zu.

      »Rein! Sauber machen!«

      Die Hiwis klettern hinein. Zwischen den Pissepfützen und Scheißehäufchen liegen totgetrampelte und erstickte Kinderleichen mit riesengroßen Köpfen und aufgedunsenen Bäuchen. Die Hiwis halten je zwei Leichen in jeder Hand, wie Hühner an einem Bein, zu den Waggontüren hinaus.

      »Kann uns mal jemand den Dreck abnehmen?«, schreien die Hiwis die Frauen an, die erschreckt und angewidert zurückweichen. Sie wissen ja noch nicht, dass Frauen sowieso alle auf die Lastwagen müssen, alle Frauen und Kinder ohne Ausnahme. Immer mehr Menschen besteigen die Lastwagen, fahren ab ins Gas.

      Ich lehne mich mit dem Rücken gegen den Waggon. Die Rampe geht mir auf die Nerven und ich kriege Wut, und die Wut kann man nun mal am besten mit Schnaps hinunterspülen oder an den Schwächeren auslassen. Es wird sogar verlangt, dass wir unsere Wut ganz besonders an denen auslassen. Das ist die Logik des Herrenmenschen.

      Ich trinke in tiefen Zügen den spritigen Schnaps und hoffe, dass ich wegen dem Zeug schnell nichts mehr sehen kann und dann in meine Stube auf die Pritsche darf - ist mir bislang zweimal passiert.

      Leichen werden aus den Waggons hinausgetragen und auf einen Haufen neben den Gleisen geschichtet. Auch Ohnmächtige finden sich häufig in den Waggons, die man zu den Toten auf den Haufen neben den Schienen wirft. Wegen angeblicher Seuchengefahr wird man sie nicht mal bis ins Krematorium befördern. Wenn der Zug abgewickelt ist, wird man ein paar Kanister Sprit über den Haufen gießen und ihn anzünden.

      Die Bilder in meinem Innern verändern sich zu brennend leuchtenden Farbkaleidoskopen. Ich weiß nichts mehr. Der Schnaps scheint glücklicherweise zu wirken. Gott im Himmel, was tun wir?! Lass mich endlich besoffen umfallen!

      »Unterführer, nehmen Sie sich zusammen, oder ich muss Meldung machen!« Eine Frauenstimme staucht mich zusammen. Ich öffne die Augen. Vor mir steht die Plattbusige. Ihr nordisches Gesicht über dem sehnigen Hals. Das Haar ist streng zurückgekämmt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Nordischer kann ein Mensch kaum aussehen. Mit der Gerte in der

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