Der Herr des Krieges Teil 2. Peter Urban
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„Der war nicht brav und muß heute zu Hause bleiben!”
Wellington folgte Manuela wohlerzogen in Richtung Marktplatz. Es war Mittwoch und der fliegende Händler aus Lissabon hatte seinen Stand aufgeschlagen. Den kleinen Strolchen war es nicht schwergefallen herauszufinden, daß er sich leichter überreden ließ, an diesem verhängnisvollen Wochentag an diesen verhängnisvollen Ort zu gehen als ihre beiden Mütter. Der fliegende Händler brachte immer Karamellbonbons mit. Paddy und Manuela hatten eine gemeinsame Schwäche für dieses seltene Gut. Der General verstand, wie hart der Hausarrest den kleinen Seward getroffen haben mußte. Er beschloß, Miss Marys strenge Erziehungsmethode zu umgehen. Vor der Auslage des Händlers hob er das kleine Mädchen hoch, damit sie ihre Lieblingsbonbons auswählen konnte. Der alte Mann lächelte dem irischen Offizier freundlich zu. Er kannte die Szene. Manuela entschloß sich für Butterkaramellen. Der Händler erkundigte sich nach dem jungen Seward. „Hausarrest!”, war Lord Wellingtons lakonische Antwort, „Hat wohl irgendwas ausgefressen, der rothaarige Teufelsbraten! Aber wir nehmen ihm seine Wochenration mit!” Manuela empfing zufrieden ihre Tüte Butterkaramellen. Dann folgte eine längere, ernste Verhandlung mit Paddys spanischer Freundin. Es war notwendig, sicherzustellen, daß die zweite Tüte auch wirklich beim unglücklichen jungen Seward landete und nicht in Manuelas übergroßem Kindermagen. Unschuldig sah sie Wellington an: „Du glaubst doch nicht etwa, daß ich ...!”
„Oh doch, kleine Lady! Also, versprich’s! Die eine Tüte gibst du Paddy!” Mißtrauisch-amüsiert steckte er ihr die Bonbons in die Tasche des Kleidchens. Manuela überlegte angestrengt, ob sie ihr Ehrenwort geben sollte. Sie legte den Kopf schief: „Aber er war wirklich nicht brav, Arthur!”
„Bist du immer ein Engel?”
„Hmm! Ja ... Eigentlich!” Sie sah verlegen auf ihre Füße. „Na gut! Ehrenwort!”
Der fliegende Händler aus Lissabon grinste. Es war erstaunlich, doch den höchsten Offizier in ganz Portugal schien in diesem Moment nicht anderes zu bekümmern als die gerechte Verteilung von Butterkaramellen. Und dies, obwohl dieser irische General den Ruf hatte, ein Feuerfresser zu sein, der seine Tage damit zubrachte, Franzosen umzubringen und seine Nächte, Pläne zu schmieden, wie er noch mehr von ihnen ins Jenseits oder zurück über die Pyrenäen befördern konnte.
Nachdem Manuela und Lord Wellington sich über den Sinn eines Ehrenwortes geeinigt hatten, setzten sie zufrieden ihren Spaziergang fort. Nächstes Ziel war das kleine Kaffee neben der Pfarrkirche. Wie immer fand der Ire seinen Chefspion, den Pfarrer von Freneida und Lady Lennox um einen Tisch versammelt. Der nachmittägliche Tratsch war genauso ein Zeremoniell, wie die Karamellbonbons. Er setzte Manuela auf Sarahs Schoß, zog sich einen Stuhl heran und tratschte in einer bunten Mischung aus Spanisch und Englisch mit. Der Wirt brachte Kaffee für den Iren und eine Mandelmilch für das kleine Mädchen. Genau so, wie der fliegende Händler aus Lissabon, erkundigte er sich nach Paddy. Das ganze Dorf kannte den Rotschopf, der immer zu Streichen aufgelegt war und schon von so manch braver Hausfrau ein paar hinter die Ohren bekommen hatte. Man befragte seine spanische Freundin neugierig, was denn dieses Mal der Grund für die erzieherische Maßnahme seiner strengen Mutter gewesen war. Manuela nippte an der Mandelmilch. Dann strahlte sie die ganze Runde an: „Er hat seinem Papa eine Kröte ins Bett gelegt!”
„War’s wenigstens eine große?” Arthur erinnerte sich, daß er als Kind mit seinem Vater ähnliche Spiele getrieben hatte. Für eine kleine Kröte war ein ganzer Nachmittag Hausarrest hart. Lord Mornington hatte sich meist damit begnügt, seinen Sohn fünfzig Mal schreiben zu lassen‘ Ich darf meinem Vater keine Kröten in die Jackentaschen stecken!’
„Riesig, klatschnaß und schrecklich häßlich!”, nickte das kleine Mädchen ihm begeistert zu.
“Na, dann hat es sich wenigstens gelohnt!”, murmelte der Oberkommandierende des alliierten Feldheeres in seine Kaffeetasse. Es stimmte ihn nachdenklich, daß er seine eigenen Kinder nicht kannte: Arthur Richard war so alt wie Manuela, William etwas älter als Paddy Seward. Zuerst betrachtete er traurig die kleine Spanierin in Sarahs Armen, dann Lady Lennox. Miss Pakenham mußte seine Jungen inzwischen mit ihrer absonderlichen Mischung aus Bigotterie, Dummheit und Überängstlichkeit fürs Leben verdorben haben. Er fragte sich, was wohl an dem Tag geschehen würde, an dem er seine Söhne wiedersah. Sie wußten nichts über ihren Vater, er nichts über sie. Nur von Zeit zu Zeit schrieb Kitty ihm einen knappen Brief: „Den Kindern geht es gut! Schicke mir Geld!” Alles, was seine sogenannte Ehefrau interessierte, war seine Unterschrift unter einem Wechsel an die Coutt’s Bank in London. Wie sehr mußte sie doch darauf hoffen, daß eines Tages ein Offizier des Kriegsministeriums mit Trauermiene bei ihr auftauchte, um ihr mitzuteilen, daß ihr Gemahl, irgendwo fern der Heimat, für König und Vaterland gefallen sei. Damit wäre sie endlich die ungeliebte Beschäftigung los, ihm Bettelbriefe zu schreiben. England sorgte gut für die Witwen ihrer toten Helden!
Sarah bemerkte seine traurigen Augen. Sie zog ein paar kleine, spanische Münzen aus der Tasche, legte sie auf den Tisch und gab dem General Zeichen aufzustehen und mitzukommen. Er verabschiedete sich von Robertson und dem Dorfgeistlichen. Mit Manuela an der Hand spazierten Lord Wellington und Lady Lennox durch die Herbstsonne auf die Obstgärten zu. Sie suchten sich einen Platz unter einem Apfelbaum. Das kleine Mädchen tollte im Gras herum.
„Du denkst an deine Kinder, Arthur!” Sarah hatte seine Hand in die ihre genommen.
„Meine Kinder? Auf dem Papier! Ich habe Arthur Richard zum letzten Mal gesehen, als er drei Monate alt war. Heute ist er fast sechs. Und William ist für mich nur ein Name auf einem Auszug im Kirchenregister!” Er zuckte mit den Schultern. Vielleicht war es ja besser so. Zumindest beschäftigte ihn auf einem Schlachtfeld nicht auch noch der Gedanken an eine geliebte Frau, die zu Hause um ihn zitterte und an Kinder, die um ihren Vater weinen würden, wenn es das Schicksal eines Tages nicht gut mit ihm meinen sollte. Es war einfacher, einem Feind entgegenzutreten, wenn man nichts zu verlieren hatte. Und Sarah machte es ihm leicht. Sie hatte nicht diese leidige Angewohnheit vieler Offiziersfrauen, ihren Männern dauernd die Ohren voll zu jammern. Er hatte schon eine große Anzahl guter Soldaten an diese leidige weibliche Gewohnheit verloren. Die Ladys schrieben Klagebrief um Klagebrief und irgendwann standen die entnervten Offiziere vor ihm, redeten sich mit imaginären Krankheiten heraus oder mit dringenden Geschäften. Dann verschwanden sie vom Kriegsschauplatz und kehrten nie wieder zurück. In London gab es immer eine Möglichkeit, sich über irgendwelche Beziehungen ein warmes, sicheres Plätzchen in einer Garnison oder im Kriegsministerium zu sichern. In seiner Welt aus Schwarz und Weiß existierte dieses Problem nicht: Wer einen Soldaten heiratete, wußte woran er war und hatte kein Recht, hinterher zu jammern! „Warum heulst du mir eigentlich nie die Ohren voll, Kleines?”, fragte er Lady Lennox schnippisch.
Sanft nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und blickte ihm tief in die Augen: „Was würde das ändern, Sepoy-General?”
„Garnichts! Wir lägen nur dauernd im Streit miteinander und würden uns die Freude an der Gesellschaft des anderen verderben!” Er hatte sie angeschwindelt. Arthur hoffte, daß die feinfühlige junge Frau ihm die Lüge nicht an den Augen ablas. Vielleicht, wenn sie ihm damals keinen Korb gegeben hätte und heute mit seinen Kindern, an Kittys Stelle, in Irland auf ihn warten würde, vielleicht würde er sich genausoverzweifelt wie die anderen darum bemühen, von Spanien und aus dem Krieg weg, nach Kildare zu verschwinden. Vielleicht müßte sie ihm nicht einmal Klagebrief um Klagebrief schreiben, um ihn dazu zu bewegen, die Armee zu verlassen. Liebevoll strich eine kleine Hand über sein kurzes Haar. Lady Lennox lächelte und schüttelte den Kopf. Sie durchschaute ihn schon seit langer Zeit. Der Ire sagte und tat oft Dinge, nur um sich zu schützen. Er mochte es überhaupt nicht, wenn es seinen Mitmenschen gelang, hinter den Schutzwall zu blicken und zu erkennen, daß er mit seinem Zynismus und seiner Ruppigkeit ein weiches Herz und eine verletzliche