Finisterre. Claus Karst

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Finisterre - Claus Karst

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dann riss sie sich zusammen, hob trotzig ihren Kopf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

      „Lassen Sie uns zum Gasthof zurückgehen und schauen, ob Leonie nicht doch wieder zurück ist“, drängte Pascal. „Anschließend sollten wir uns überlegen, was wir an diesem feindseligen Ort am Ende der Welt tun können. Außerdem, sehen Sie dort die dunkle Regenfront, die sich über der Bergkette zusammenbraut? Ich fürchte, ein Unwetter kommt bald auf uns zu, und zwar sehr bald. Die Alte warnte davor. In strömendem Regen erscheint es mir wenig sinnvoll, mit dem Auto oder zu Fuß auf die Suche zu gehen. Wenn wir uns auf den Weg machen, sollten wir schon etwas sehen können, vor allem benötigen wir ein richtig gutes Fernglas.“

      „Wir haben, glaube ich, eins dabei“, überlegte Sophie. „Ich muss allerdings nachsehen, ob Yves es nicht mitgenommen hat.“

      Als sie den Berghof wieder erreicht hatten, lief ihnen Ines am Empfang über den Weg. Sie hatte die strenge Frisur gelöst, eine wilde schwarze Mähne fiel ihr auf die Schultern. Unter anderen Umständen hätte Pascal ihre Erscheinung als ausgesprochen rassig erachtet. Er konnte nicht leugnen, dass sie ihre Wirkung auf ihn nicht verfehlte. Im Stillen ärgerte er sich darüber.

      „Ist meine Frau zurück?“, fragte er ohne jegliche Liebenswürdigkeit, auf die er sonst stets großen Wert legte.

      „Nein, Monsieur“, antwortete Ines und feixte ihn unverschämt an, wobei ihre Hände über ihren Körper glitten. „Sie wird wohl vom rechten Weg abgewichen sein. Das soll selbst bei den treuesten Frauen dann und wann vorkommen.“

      „Noch eine Frage“, unterbrach Pascal sie, ohne auf die unverschämte Bemerkung weiter einzugehen. „Wir haben eben den Wagen von Monsieur Gaillard durchs Dorf fahren gesehen. Aber nicht er saß darin, sondern zwei Uniformierte. Haben Sie eine Erklärung dafür?“

      „Wahrscheinlich haben unsere Gendarmen den Wagen gestohlen. Wissen Sie, die werden ziemlich schlecht bezahlt.“

      Belustigt über ihren Witz, wandte sie sich ab und ließ Sophie und Pascal am Empfang stehen.

      „Ich möchte gerne mal wissen“, sagte Sophie, „wieso sich diese Bedienstete uns gegenüber ein solches Benehmen herausnehmen darf. In jedem anderen Gasthof oder Hotel wäre sie längst gefeuert worden. Auf ein gutes Trinkgeld scheint sie nicht angewiesen zu sein, sonst würde sie sich anders verhalten. Wenn wir erführen warum, würden wir vielleicht schon etwas mehr über das Dorf hier verstehen, vermute ich. Die ist doch nicht ohne Grund so selbstsicher. Sie scheint genau zu wissen, dass ihr nichts geschehen kann, wenn sie sich daneben benimmt.“

      „Mit dieser Einschätzung können Sie durchaus richtig liegen, Sophie. Wir sollten sie im Auge behalten. Vielleicht gelingt es mir ja, sie aus der Reserve zu locken, ohne meine Unschuld zu verlieren. Dass Sie bei ihr Erfolg haben könnten, erscheint mir wenig wahrscheinlich“, fügte er schmunzelnd hinzu.

      „Ich denke, Pascal, Sie sollten sich diese … diese Person besser vom Leib halten“, legte Sophie ihm ans Herz. „Und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes.“

      Pascal empfand, dass Sophie mehr Nachdruck in diese Bemerkung gelegt hatte, als ihm lieb war. Er ermahnte sich, keine gefühlsmäßige Bindung zu ihr entstehen zu lassen. Schließlich waren sie auf der Suche nach Leonie und Yves, ihren Lebenspartnern. Nichts anderes zählte.

      „Keine Sorge, ich weiß, wohin ich gehöre“, beruhigte er sie. „Ein Abenteurer bin ich nicht, nie gewesen. Was halten Sie davon, ein wenig zu ruhen und abzuwarten, wie sich das Wetter entwickelt? Wir könnten uns – sagen wir mal – in zwei Stunden wieder hier treffen. Dann sehen wir weiter.“

      „Gut, einverstanden. In zwei Stunden.“

      Sie stiegen gemeinsam die Treppe zu ihren Zimmern hinauf. Auf dem Gang vor ihren Türen strich Sophie freundschaftlich über Pascals Arm, bevor sie in ihr Zimmer trat. Er hörte, wie sich der Schlüssel im Türschloss drehte.

      Pascal warf sich auf sein Bett. Wirre Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, Gedanken, die sich nicht einfangen und einordnen lassen wollten. Er nahm ein Buch, versuchte zu lesen. Vorsichtshalber stellte er seinen Reisewecker, denn er wollte nicht, dass Sophie auf ihn warten musste.

      Als nach kurzer Zeit draußen der Regen einsetzte und immer stärker gegen die Fensterscheiben prasselte, döste er von dem monotonen Geräusch ein, ohne die ersehnte Ruhe zu finden.

      Kapitel 6

      Zwei Stunden später wurde Pascal aus seinem Halbschlaf gerissen. Es wird Zeit, dass ich mir endlich einen neuen Wecker kaufe, ermahnte er sich. Seit mehr als einem Jahr vergaß er, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Seiner gebärdete sich zu schrill, um jemanden sanft vom Schlaf in den Wachzustand zu rufen.

      Pascal stemmte sich hoch, unwillig und zerschlagen. Kopfschmerzen hatten sich bei ihm eingenistet, wahrscheinlich wegen des Witterungsumschwungs. Er ging zum Fenster und warf einen Blick nach draußen. Es regnete, die Sichtweite betrug nur wenige Meter. Die Kühe hatten auf der Weide einen Kreis gebildet, um sich gegenseitig vor dem Regen zu schützen. Kluge Tiere, dachte Pascal. In so einer lebensfeindlichen Umgebung muss man eng zusammenrücken, wenn man überleben will.

      Er duschte sich kurz mit kaltem Wasser ab, schluckte zwei Tabletten gegen seine Kopfschmerzen, zog sich an, nahm seinen regendichten Anorak und stieg die Treppe hinunter zum Empfang. Keine Menschenseele ließ sich blicken, auch die Gaststube war leer. Pascal setzte sich in einen Sessel, angelte nach einer Illustrierten aus dem Ständer und wartete auf Sophie.

      Obwohl sie verabredet waren, erschien Sophie nicht.

      Sie wird wohl eingeschlafen sein, vermutete Pascal und gestand ihr ein paar Stunden Ruhe zu, damit sie ihr inneres Gleichgewicht zurückgewinnen konnte.

      Als sie nach einer halben Stunde noch immer nicht gekommen war, ging er nach draußen in den niederschmetternden Regen, stieg in sein Auto und fuhr talwärts, um sich von den angekündigten Bauarbeiten an der Straße ein Bild zu machen auf der Suche nach einer Möglichkeit, ins Tal hinunterzufahren. Die Witterungsverhältnisse zwangen ihn, mit größter Aufmerksamkeit zu fahren. Den Scheibenwischern gelang es kaum, ihm freie Sicht zu verschaffen.

      Nach etwa fünf Kilometern versperrten tatsächlich Bauschilder die Weiterfahrt. Er hielt an, stieg trotz des prasselnden Regens aus und stapfte durch den knöcheltiefen Schlamm, der vom Hang auf die Straße gespült worden war. Hinter der nächsten Serpentine fand er den Fahrweg über die gesamte Breite aufgerissen, wobei nicht auszumachen war, wozu diese Maßnahme dienen sollte. Die Baustelle war verlassen, was bei dem Wetter verständlich war.

      Er verzichtete aufs Weitergehen, zumal ihm ohnehin niemand eine Auskunft über den Stand der Arbeiten hätte erteilen können. Zu allem Überfluss rutschte er auch noch aus, fiel in den Matsch und verschmutzte sich und seine Kleidung von Kopf bis Fuß. Es bestand nicht mehr der geringste Zweifel: Er saß auf der Hochebene fest und konnte nicht einmal telefonieren. Es wurde Zeit, einen Weg ausfindig zu machen, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu setzen – und zwar unverzüglich.

      Aber wie? Notfalls blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu Fuß auf den Weg zu machen.

      Nur wohin? Wo fing in dieser gottverlassenen Gegend wieder geregeltes Leben an? Wo waren Behörden zu finden, die sich der fragwürdigen Ereignisse annahmen , die dort oben im Dorf vor sich gingen?

      Er stiefelte wieder zurück zu seinem Wagen und stieg ein. Beim Wenden auf dem schmalen Weg geriet er vom befestigten Untergrund ab und blieb stecken.

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