Finisterre. Claus Karst

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Finisterre - Claus Karst

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      Sie schien zu überlegen oder mit ihren Gedanken wer weiß wohin geflogen zu sein. Pascal und Sophie warteten geduldig. Unvermittelt orakelte die Alte:

      „Wenn in der Früh die Sonn’ erwacht,

      und endet eine düstre Nacht,

      dann waren Geister, müsst’s mir glauben,

      dabei, ein Menschenkind zu rauben.

      Hier solltet niemandem ihr trauen,

      solltet auf Euch selbst nur bauen.

      Hihihi …“

      Während Pascal und Sophie die Alte noch fassungslos anstarrten, drehte sie sich jählings ab, um sich davonzumachen.

      „Moment noch!“, rief Pascal ihr hinterher. „Bitte, nur noch eine Frage. Wie habe ich Ihre Andeutugen zu verstehen? Haben Sie meine Frau gesehen?“

      Die Alte wandte sich noch einmal um und antwortete, nunmehr mit überraschend tiefer und klarer Stimme, offensichtlich ohne Hörprobleme: „Ich habe heute Morgen eine Fremde gesehen. Sie lief über die Dorfstraße hinauf in Richtung der Berge. Oben, am Ende der Straße, habe ich beobachtet, dass sie in einen Wagen stieg, der neben ihr angehalten hatte. Ich habe allerdings nicht erkennen können, wer sie war. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.“

      „Können Sie mir beschreiben, wie sie gekleidet war oder welche Haarfarbe sie hatte?“

      „Damit kann ich nicht dienen, mein Herr“. Sie schüttelte den Kopf. „In meinem Alter sehen die Augen nicht mehr alles. Manches wollen sie auch nicht mehr sehen.“

      Sophie unterbrach die Alte: „Wissen Sie vielleicht etwas darüber, wo sich mein Mann aufhalten könnte? Er ist seit Tagen mitsamt unserem Wagen verschwunden. Er wollte die Landschaft fotografieren.“

      Sie sprach mit Absicht von ihrem Mann, um nicht erst ihre persönlichen Verhältnisse aufklären zu müssen.

      „In diesem Dorf wissen immer alle Leute alles oder auch nichts“, erwiderte die Fremde geheimnisvoll. „Fragen Sie die Bewohner, fragen Sie! Vielleicht erhalten Sie eine Antwort, wahrscheinlich eher nicht. Jetzt muss ich aber weiter“, fügte sie hastig hinzu. „Wir werden heute noch ein Unwetter bekommen. Ja, ja, Ihr Mann. In dieser Gegend findet manch einer seinen Rückweg nicht mehr. Die Leute sprechen nicht ohne Grund vom Tal des Vergessens.“

      Damit ließ sie die beiden stehen und verschwand in einem nahen Hauseingang, wo eine schwere Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

      „Was meint sie wohl mit dem Tal des Vergessens?“, grübelte Sophie. „Das hört sich sehr rätselhaft an und hat vermutlich wenig Gutes zu bedeuten, wie alles, was hier geschieht.“

      „Dann sollten wir nachfragen, bevor auch wir dem Vergessen anheimfallen“, schlug Pascal vor. Er war froh, die Situation mit einem kleinen Scherz auflockern zu können. Sie eilten hinüber zu dem Haus, in das die Alte gegangen war, und pochten an die Tür. Niemand reagierte auf ihr Klopfen. Ein weiteres Mal hämmerten sie dagegen, wesentlich heftiger.

      „Die Alte schien ein bisschen schwerhörig zu sein, jedenfalls tat sie so“, bemerkte Pascal und klopfte noch einmal.

      „Wer ist da?“, erkundigte sich nach wenigen Augenblicken eine übellaunige Frauenstimme.

      Pascal nickte Sophie zu, die rief: „Hier sind die Touristen, mit denen Sie gerade gesprochen haben, wir möchten Ihnen gerne noch eine Frage stellen. Wenn Sie bitte so freundlich wären?“

      „Ich kenne keine Touristen“, behauptete die Stimme.

      „Aber wir haben doch gerade auf der Straße miteinander geschwatzt“, beharrte Sophie. Pascal flüsterte ihr zu: „Scheint was dran zu sein an dem Vergessen.“

      „Sie müssen sich irren.“

      „Bitte, sind Sie doch so freundlich und öffnen uns, damit wir uns unterhalten können“, flehte Sophie.

      Sie hörten, wie ein Riegel geschoben wurde. Eine Frau lugte durch den sich öffnenden Spalt. Nachdem sie die beiden Touristen eine Weile misstrauisch beäugt hatte, trat sie einen Schritt heraus. Sie sah verhärmt aus, ungepflegt, eine Frau mittleren Alters mit strähnigen Haaren. Immer wieder warf sie einen ängstlichen Blick auf die Dorfstraße, als wolle sie nicht mit den Fremden gesehen werden. Schließlich senkte sie ihren Kopf und blickte gehemmt zu Boden. An ihrem Rockzipfel hing ein offensichtlich behindertes Kind, das sich hinter ihrer Schürze zu verstecken versuchte.

      „Entschuldigen Sie, bitte, die Störung. Soeben haben wir auf der Straße mit einer älteren Frau gesprochen, die in dieses Haus gegangen ist. Wir würden ihr gerne noch eine Frage stellen.“

      „Wie bitte?“, fragte die Frau entgeistert. „In diesem Haus lebe ich seit Ewigkeiten“, dabei schlug sie ein Kreuzzeichen, „mit meinem Mann und meinen sieben Kindern. Sonst wohnt hier niemand. Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.“

      Bevor Sophie etwas sagen konnte, stieß Pascal sie unauffällig an, schüttelte kaum merklich den Kopf und wandte sich an die Frau: „Dann entschuldigen Sie, bitte, unsere versehentliche Störung. Wir haben uns wohl in der Tür geirrt. Gestatten Sie mir aber dennoch eine Frage, die wir allen Dorfbewohnern stellen: Haben Sie heute in der Früh eine Urlauberin im Jogginganzug gesehen? Ich spreche von meiner Frau, die den Sonnenaufgang miterleben wollte und noch nicht wieder zurückgekehrt ist. Ich fürchte, sie hat sich verlaufen.“

      Die Frau schien zu erbleichen, druckste herum und antwortete schließlich: „In diesem Dorf sieht niemand nichts und hört niemand nichts. Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen.“

      Pascal hatte längst aufgehört, sich über die abweisende Haltung der Dorfbewohner zu wundern. Er war sich sicher, dass dieses Dorf ein Geheimnis barg, die Bewohner alles daransetzten, es vor Fremden zu hüten. Er war jedoch ein Kämpfer. Unterkriegen ließ er sich nicht so leicht, von diesen Bergbewohnern aus der Steinzeit erst recht nicht. Längst hatte er sich vorgenommen, ihr Geheimnis zu lüften. Notfalls würde er von zu Hause aus einige Hebel in Bewegung setzen, verfügte er doch über beste Kontakte. Bahnte sich vielleicht sogar der Stoff für eine spannende Story an? Als Journalist hatte er immer Bedarf an interessantem Stoff, selbst wenn sein Fachgebiet nicht betroffen war.

      Als die Frau die Tür wieder schließen wollte, stellte Sophie energisch ihren Fuß dazwischen und fragte merklich ungehalten: „Selbst wenn in diesem Ort niemand etwas sieht und niemand etwas hört, so können Sie mir vielleicht sagen, ob Sie von meinem Mann, der vor Tagen mit seinem Auto weggefahren und noch nicht wieder zurückgekommen ist, auch nichts gesehen oder gehört haben? Oder verschwinden hier etwa alle Fremden, ohne Spuren zu hinterlassen?“

      „Ich bedaure, es tut mir leid“, entgegnete die Frau, trat Sophie unerwartet mit voller Wucht vors Schienbein und knallte die Tür vor ihrer Nase zu.

      Sophie sackte in die Knie und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Bein. Sie sah Pascal entgeistert an. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie das Schweigen unterbrach. „Vor wem oder was hatte die Frau mit dem Kind eine solche Angst? Ich muss mich zusammenreißen, sonst werde ich hier verrückt. Was mag Yves wohl zugestoßen sein? Warum lässt er mir keine Nachricht zukommen? Ob ich ihn je wiedersehen werde?“ Tränen liefen ihr übers Gesicht. „Bitte, helfen Sie mir! Ich halte diese Angst nicht mehr aus!“

      Pascal legte tröstend seinen

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