Finisterre. Claus Karst
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Bei der Ankunft in dem zu ihrer Überraschung aufwendig renovierten bergländischen Gasthof mit seinen blumengeschmückten Balkonen lag, um die Unannehmlichkeiten des Tages zu vervollständigen, ihre Reservierung nicht vor.
Als sie darauf hinwies, eine Bestätigungskarte erhalten zu haben, die sie leider vergessen hätte, ließ der Wirt, der jede Freundlichkeit vermissen ließ, sie ein erst kürzlich renoviertes Zimmer beziehen. Er erweckte plötzlich den Eindruck, er kenne den Grund, der sie hierher gelockt hatte.
„Der scheint das Geld seiner Gäste wohl nicht nötig zu haben“, flüsterte Pascal, als der Wirt ihnen mit Leonies Koffern in den Händen den Weg aufs Zimmer zeigte. „Oder aber er hat im Lotto gewonnen, falls hier in der Einöde auch Lotterien veranstaltet werden.“
An dem großzügig geschnittenen Zimmer war nichts auszusetzen. Das Sitzmobiliar, ein Sofa und ein Sessel, war bequem und komfortabel, die Betten sauber. Es duftete nach Frische, das Bad war geschmackvoll neu gefliest und mit modernen Armaturen ausgestattet.
„Zumindest das Zimmer ist nicht zu beanstanden“, registrierte Pascal nach eingehender Prüfung, auf die er in keinem Hotel verzichtete. Dabei ließen seine Finger selbst die Kontrolle der Schränke nicht aus, um nach vergessenem Staub zu fahnden.
„Pascal, bist du etwa zum Meckern mit mir in Urlaub gefahren?“, stichelte Leonie, der diese Marotte, auf die er selbst zu Hause nicht verzichtete, auf die Nerven ging.
„Seit wann kennst du mich, Schatz?“, gab Pascal zurück und lächelte. „Bevorzugst du es, in einem versifften Bett zu nächtigen und deine Kleidung in einem verstaubten Schrank unterzubringen?“
„Ich bin froh, dass ich dich habe, mein geliebter Kontrolleur. Wer weiß, was mir sonst in Zimmern wie diesem alles widerfahren würde, angefangen von … Ich sag lieber nicht, was mir jetzt alles durch den Kopf geistert.“
Während sie miteinander frotzelten, sich ihre Stimmung allmählich entkrampfte, packten sie die Koffer aus und verstauten deren Inhalt in den Schränken.
„Wollen wir uns vor dem Abendbrot ein wenig die Beine vertreten?“, fragte Pascal. „Mir ist nach der langen Fahrt nach Bewegung zumute.“
Leonie stimmte zu, wenn auch nicht gerade mit großer Begeisterung. Sie zogen sich an und schlenderten durchs Dorf.
„Fällt dir etwas auf?“, fragte Pascal nach einer Weile, die sie schweigend zurückgelegt hatten.
„Hm“, antwortete Leonie. Sie konnte sich denken, worauf Pascal anspielte, aber aussprechen wollte sie ihre Erkenntnis nicht.
Er blickte sie stirnrunzelnd von der Seite an.
„Nun?“
„Wir scheinen zur falschen Zeit unterwegs zu sein, denke ich, wenn ich mich hier umschaue. Wahrscheinlich sind die meisten Menschen hier noch bei der Arbeit oder ruhen sich in ihren Häusern von ihrem Werktag aus. Anders kann ich mir nicht erklären, warum wir hier keine Menschenseele zu Gesicht bekommen.“.
„Seit wann kannst du Seelen sehen, Liebste?“, erkundigte sich Pascal, dem es kaum noch gelang, der Situation, in die Leonie sie gelotst hatte, gute Seiten abzugewinnen. Sein Unwohlsein stieg mit jeder Sekunde an.
Sie gingen zurück ins Hotel und ließen sich eine Brotzeit und zwei Flaschen Rotwein aufs Zimmer bringen. „Obwohl ich einen ruhigen Urlaub durchaus zu schätzen weiß, scheint es mir hier entschieden zu ruhig zu sein. Oder willst du mir wirklich weismachen, dass es dir hier gefällt?“ Pascal entkorkte den Wein und schenkte ein.
Leonie versteifte sich darauf, diesen Ort wegen der hier herrschenden Ruhe mit vollem Bedacht ausgewählt zu haben. Schließlich, erinnerte sie ihn, wollen sie die Zeit nutzen, um ihre Beziehung aufzufrischen.
„Meinst du mit ‚Zeit nutzen‘ etwa Sex rund um die Uhr?“, unterbrach sie Pascal, ohne eine Antwort zu erwarten, lehnte sich auf dem Sofa zurück und schwenkte das Glas in seiner Hand. „Etwas anderes können wir hier nämlich kaum unternehmen.“
Ihm war durchaus klar, dass er besser geschwiegen hätte, aber er fühlte sich inzwischen so angespannt und unwohl an diesem Ort, dass er alle Harmoniegesetze ihrer Ehe missachtete.
Als der Streit seinem Höhepunkt zustrebte, hievte sich Leonie abrupt aus dem Sessel und verschwand im Bad. Sie blieb so lange fort und es war so ruhig, dass Pascal gerade beschlossen hatte, nach ihr zu sehen, als sie zurückkam. Sie schwebte in einem Negligé, das mehr von ihrer Schönheit offenbarte als verbarg, ins Zimmer, als ob ihr Flügel gewachsen wären. Dazu sang sie mit einer glockenhellen Sopranstimme, engelsgleich, ein Lied in einer selbst ersonnenen Sprache, die nur die Geister in ihrem schönen Kopf verstehen konnten.
Verwundert blickte Pascal auf Leonies Glas. Sie hatte den Wein nicht angerührt, sie musste vollkommen nüchtern sein. Und dann das?
Nachdem sie sich noch ein paar Mal vor ihm auf den Fußspitzen wie eine Primaballerina in Kreis gedreht hatte, blieb sie vor ihm stehen und streckte sich verführerisch.
Ihr Auftritt, so absurd und ungewöhnlich er Pascal auch vorkam, verbannte allen Ärger. Er hatte schon lange Zeit nicht mehr erlebt, dass sie für ihn sang und ihn damit in ihre Welt mitnahm.
Ohne sich zu rühren, starrte er sie hingerissen an. Sie war nach wie vor seine Traumfrau – trotz ihrer gelegentlichen Marotten. Er stand auf, ging zu ihr und führte sie zum Bett. Sie liebten sich lange, wild und voller Leidenschaft. Pascal konnte sich jedoch des Gefühls nicht erwehren, dass Leonie trotz ihrer Begierde, Hingabe und Sinnlichkeit mit ihren Gedanken nicht bei ihm war.
Was war nur mit ihr los? Sah er etwa Gespenster oder bildete er sie sich ein? Leonies Verhalten belastete ihn mehr, als ihm lieb war. Er hoffte, in den nächsten Tagen in der Einsamkeit dieser Bergwelt herauszufinden, was vor sich ging.
Kapitel 4
Schweißgebadet fuhr Pascal am nächsten Morgen aus dem Schlaf hoch.
Ein feindseliger Albtraum war in die Tiefen seines Unterbewusstseins gedrungen. Uniformierte mit Hahnenköpfen, bis an die Zähne bewaffnet, hatten ihn heimgesucht und ihm zugesetzt, ihm, dem glühenden Pazifisten, dem jede Uniform zuwider war. Noch völlig im Bann der nächtlichen Schimären, reckte er sich, versuchte, die Bilder abzuschütteln und sich zu orientieren. Er tappte nach seiner Brille, ohne die er sich nur schlecht zurechtfand, besonders morgens, wenn sich sein Blutdruck noch im Standby-Modus der Nacht befand, erst hochgefahren werden musste. Seine verschleierten Augen zeigten ihm an, dass er sich in einem Hotelzimmer befand.
Nur langsam kehrten seine Erinnerungen zurück: der Opernabend, die schreckliche Fahrt hinauf in dieses Hochland am Ende der Welt, die bedrückende Bergwelt ringsum, der gestrige Abend, den er in Rotwein hatte ertränken wollen, die stürmische, leidenschaftliche Nacht.
War es wirklich so gewesen oder hatte er all das nur geträumt? Allmählich lichtete sich der Nebel in seinem Kopf.