Finisterre. Claus Karst

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Finisterre - Claus Karst

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Unter ihren Augen hatten sich dunkle Ränder gebildet, ihre Gesichtshaut kam ihr fahl vor, trotz der gesunden Farbe, die ansonsten ihre Haut zierte.

      Pascal lag noch im Bett und beobachtete sie heimlich. Ihr Aussehen gefiel ihm gar nicht. War sie plötzlich etwa krank geworden? Als sie von daheim losgefahren waren, schien sie fröhlich und guter Dinge gewesen zu sein wie schon lange nicht mehr, schien sich auf die Zeit des gemeinsamen Losgelöstseins von der täglichen Routine zu freuen.

      Er überlegte, wann er ihre Veränderung bemerkt hatte. In der Oper? Was konnte dort passiert sein? Er nahm sich vor, sie danach zu fragen, aber nicht jetzt.

      „Geht es dir besser heute Morgen, mein Schatz?“, erkundigte er sich fürsorglich.

      „Ich denke, nach einer ausgiebigen Dusche und einem kleinen Frühstück wird es mir besser gehen. Die Kopfschmerzen sind auf dem Weg, sich zu verziehen.“

      Sie kam herüber zu ihm ans Bett, beugte sich hinunter, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Schnell schlüpfte sie ins Bad, ehe er nach ihr greifen konnte.

      Bald darauf hörte Pascal das Wasser in der Dusche rauschen. Er suchte und fand seine Brille. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es noch früh war. Er schälte sich ebenfalls aus den Bettlaken, zog seinen Jogginganzug an und rief ins Bad: „Lass dir Zeit! Ich jogge eine Runde. Wir sitzen heute noch lange genug im Auto, fürchte ich. Das Frühstück schmeckt mir danach auch besser.“

      „Mach das, bis gleich“, rief sie zurück. „Pass auf, dass du nicht stolperst und dir ein Bein brichst.“

      Wie kommt sie nur auf diese Idee?, fragte er sich und lief los. Er hatte bei der Ankunft am Tag zuvor gesehen, dass vom Hotel aus eine Rundstrecke markiert war. Das Laufen im Wald tat ihm gut und pumpte Sauerstoff in seine Lunge. Er genoss die körperliche Anstrengung. Sie verdrängte die Gedanken, die er sich um Leonie und ihr Verhalten machte. Sie hatten sich schließlich vorgenommen, die Urlaubstage zu einer Auffrischung ihrer Beziehung zu nutzen. Doch heute Morgen schien es ihm fast, als wäre sie froh, wenn er sie in Ruhe ließe. Konnte das alles nur an ihrer Migräne liegen? Oder lagen noch andere Gründe vor? Pascal schüttelte den Kopf und beschleunigte seinen Schritt. Das Laufen war genau das, was er brauchte, um auf andere Gedanken zu kommen.

      Nachdem Leonie sich abgetrocknet und eingecremt hatte, fühlte sie sich zwar besser, doch ihr Spiegelbild behagte ihr nach wie vor nicht. Es muss doch nicht jeder sehen, was in mir vorgeht, sagte sie sich und hellte ihre Augenränder mit Schminke auf. Auf ihre Wangen legte sie ein wenig Rouge, um ihre Blässe zu verdecken, was sie sonst nie tat. Als sie ihr Make-up vervollständigt hatte, hörte sie, dass Pascal die Zimmertür aufschloss. Schnell streifte sie ihren Bademantel über. Sie wollte ihn nicht auf Gedanken bringen, mit denen sie sich im Moment nicht anfreunden konnte. Sich ihm erneut verweigern, wollte sie erst recht nicht.

      „Oh, du bist ja schon fast fertig!“, rief Pascal.

      Schnell verschwand er ins Bad, während Leonie sich für die Weiterreise bequeme Kleidung anzog. Pascal ließ nicht lange auf sich warten. Sie fuhren mit dem Lift hinunter in den Frühstücksraum, wo sie der Duft von Kaffee und ein reichhaltiges Büfett empfingen.

      Während Leonie nur einen Toast, etwas Müsli mit Obst und einen Joghurt aus dem Angebot wählte, bediente sich Pascal reichlich vom Rührei mit Krabben, nahm dazu zwei Brötchen, Lachs, rohen Schinken, Käse, Tomaten und zur Abrundung ein Schüsselchen Quark mit Obst. Als er sah, wie Leonie lustlos in ihrem Müsli herumstocherte, fragte er besorgt: „Bedrückt dich etwas, Leonie? Du scheinst mir irgendwie abwesend. Oder ist die Migräne noch nicht verflogen?“

      „Mach dir keine Sorgen, Pascal, ich bin noch ein wenig schlapp von gestern. Ich denke, die Luftveränderung wird mir guttun. Ein paar Tage Erholung habe ich wirklich mal nötig.“

      „Das wollen wir hoffen.“ Pascal fand ihre Stimmung so ungewöhnlich, dass er begann, sich Sorgen zu machen. Es ging etwas in ihr vor, worüber sie offensichtlich mit ihm nicht sprechen wollte.

      „Magst du mir immer noch nicht verraten, wohin die Reise geht?“, fragte er, als sie nach dem Frühstück das Hotel verlassen hatten und im Wagen saßen.

      „Ich hatte dir doch gesagt, wir fahren ans Ende der Welt. Lass dich überraschen!“

      „Wie soll ich das Ende der Welt finden, ohne eine Ahnung zu haben, wohin ich das Auto lenken soll?“ Ihre Geheimnistuerei ging ihm allmählich auf die Nerven.

      Leonie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und seufzte: „Ich bin einmal mehr begeistert, dass wir uns diesen Wagen gekauft haben. Mit ihm macht das Reisen Spaß. Er ist wirklich bequem, besonders für Beifahrer. Er verleitet mich immer dazu, einzuschlafen, was natürlich auch an dem vorzüglichen Kutscher liegen mag.“

      Pascal warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Wie sollte er den Weg finden, wenn sie jetzt auch noch einschlief? Er stieß einen Seufzer aus und fuhr einfach nur stur in Richtung Süden, in die Berge. Sie würde sich schon bemerkbar machen, wenn er eine falsche Richtung einschlug.

      An der Grenze zwang sie der Kauf einer Vignette zu einem kurzen Aufenthalt. Leonie erwachte und rekelte sich. Von dort aus leitete sie Pascal noch eine Weile über die Autobahn. Schließlich wies sie ihn an, die nächste Ausfahrt zu nehmen. Die Weiterfahrt führte sie über Landstraßen immer weiter in die Bergwelt hinauf von urbanen Lebensformen weg. Pascal wunderte sich, woher seine Frau den Weg kannte, erst recht, was sie veranlasst haben könnte, einen Urlaub in dieser gottverlassenen Gegend verbringen zu wollen.

      Schließlich bogen sie von der Straße ab in eine düstere Wegstrecke, auf der die Weiterfahrt über eine ziemlich schlechte Fahrbahn verlief. Sie fuhren durch ein enges, dicht bewaldetes, leicht ansteigendes Tal. Leonie versuchte, seinen Unmut zu dämpfen, versicherte ihm, dass die Welt oben in der Hochebene sonniger und freundlicher aussehe.

      Die Talstraße endete abrupt und völlig überraschend in einem Wendekreis, wo mächtig steile und schroffe Felswände ein unüberwindliches Hindernis für jedes weitere Fortkommen bildeten. Pascal beschlich eine Ahnung vom Endpunkt der Welt. Ihn fröstelte.

      „Sind wir schon da?“, fragte er vorsichtshalber. „Ich hätte mir das Ende der Welt eher wie eine Startrampe ins All, in ein Nichts oder ins Jenseits vorgestellt.“

      „Warte ab, Liebster“, entgegnete Leonie. „Siehst du nicht den Weg dort, der von hier abzweigt? Da müssen wir noch hoch.“

      Pascal quälte den Wagen über einen engen, steilen Schotterweg unzählige Serpentinen hinauf ins Hochland, wo sie ein hügeliges Gelände, das ringsum von kahlen Bergen umgeben war, erwartete. Immer wieder fragte er sich, wie es Leonie möglich gewesen war, diesen Weg ohne Karte zu finden. Seine Nerven lagen blank, doch er riss sich zusammen, stellte keine Fragen.

      Ungeschützte, schwindelerregende Abhänge und eine nur unter Lebensgefahr passierbare Baustelle trieben ihm den Schweiß auf die Stirn.

      „Was für ein Glück, dass unser Wagen über Vierradantrieb verfügt“, murmelte Pascal, während er sich konzentrierte. Der Blick, den er Leonie zuwarf, konnte seinen Ärger nicht verhehlen.

      „Ich stelle mir gerade vor, wir wären mit einem für solche Fahrten ungeeigneten Fahrzeug angereist. Hätte man uns dann das zweifelhafte Vergnügen eines Aufstiegs auf Eselsrücken zugemutet?“, fragte er bissig.

      Leonie reagierte nicht. Sie spürte, dass sie ihrem Ziel nahe war. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Eine Zeit lang war sie wieder mit ihrem Traumbild beschäftigt, das sich nun als allgegenwärtig zeigte, ihr den Weg wies und sich aus ihrem Kopf nicht

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