Finisterre. Claus Karst
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Читать онлайн книгу Finisterre - Claus Karst страница 10
Die Bürgermeisterei befand sich am Kirchplatz, der Kirche direkt gegenüber. Die Tür stand offen. Sie betraten das Gebäude, Dielen knarrten. Von oben schallte ihnen eine resolute Frauenstimme entgegen.
„Die Treppe hoch und dann links!“
Sie taten, wie geheißen. Die Frau, die so aussah, wie ihre Stimme klang, begrüßte sie distanziert und fragte, ob sie es seien, die um einen Termin beim Bürgermeister nachgesucht hätten. Sophie bejahte. Die Frau klopfte zweimal laut an die Tür eines Nebenzimmers und führte die Ankömmlinge hinein.
Der Bürgermeister, eine mickrige Gestalt mit weißem Vollbart und fliehendem Blick, der an seinen Gästen vorbei zu flackern schien, so als fürchte er sich vor ihnen, saß in einem Jägeranzug hinter seinem Eichenschreibtisch. Das Kissen auf seinem Stuhl ließ ihn größer erscheinen, als er war, oder als er sich einredete zu sein.
„Treten Sie ein und nehmen Sie Platz!“, forderte er seine Besucher auf. „Was kann ich für Sie tun?“
Nachdem die beiden Urlauber sich vorgestellt hatten, kam Sophie Dumont auf das Verschwinden ihres Verlobten Yves Gaillard zu sprechen. Unverblümt machte sie ihrer Verärgerung Luft und verlieh ihrer Meinung eindringlich Ausdruck, dass die Gendarmerie ihrer Einschätzung nach nicht alles Erdenkliche tue, um nach seinem Verbleib zu forschen.
Pascal war erstaunt über die Energie, mit der sie ihr Anliegen vorbrachte. Ihr Ärger, mehr noch ihre Besorgnis verliehen ihr eine Kraft, die ihr gar nicht anzusehen war.
„Hm“, brummte der Bürgermeister, wiegte seinen Kopf und kratzte sich bedächtig den Bart. „Ich habe davon gehört, doch ist in meinem Ort noch nie jemand verloren gegangen“, versicherte er und schaute dabei auf seine Hände, um den Blicken der Besucher auszuweichen. „Nicht einmal einer der Dorfbewohner“, fügte er hinzu und lachte plötzlich gackernd, als hätte er einen Witz gemacht. „Wissen Sie, der Tourismus ist hier eine nicht unwesentliche Einnahmequelle. Wir können es uns gar nicht leisten, Urlauber verschwinden zu lassen und dadurch ins Gerede zu kommen.“
Pascal fuhr ihm grob dazwischen, hatte kein Verständnis für den vermeintlichen Witz. „Von Tourismus kann in Ihrem Dorf doch wohl kaum die Rede sein. Ich erblicke hier außer Madame Dumont keinen einzigen Touristen. Im Gegenteil, sie kommen abhanden. Noch nicht einmal die Bewohner des Dorfes lassen sich sehen. Ich bin bisher in meinem Leben noch nie auf einen Ort gestoßen, der sich so leer, so unbewohnt zeigte.“
„Die Dorfbewohner haben zu arbeiten, mein Herr. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich mich selbst intensiv um das Anliegen von Madame Dumont kümmern und veranlassen werde, die Suche nach dem Verschwundenen zu verstärken. Umgehend werde ich mich mit der Gendarmerie ins Benehmen setzen, vor allem auch die Bergbauern auffordern, ihre Augen offen zu halten. Wir sind hier zwar am Ende der Welt, wie es oft heißt. Wir sind aber auch eine Gemeinschaft, die darauf angewiesen ist, dass jeder auf den anderen aufpasst und jeder jedem hilft, wenn Hilfe vonnöten ist. Ansonsten können wir hier oben gar nicht überleben. Seien Sie versichert, Madame, dass Ihr Verlobter bald wieder auftauchen wird. Wir haben zahlreiche Hütten im Gelände eingerichtet, in denen jedermann Schutz finden kann, aus welchen Notwendigkeiten auch immer.“
Die energische Angestellte betrat in diesem Moment den Raum und legte dem Bürgermeister ein Schriftstück auf den Tisch.
„Muss das jetzt sein?“, fuhr er sie grantig an, ohne sie anzusehen.
„Du wolltest doch …“
Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern verließ wütend das Büro und schlug die Tür zu.
„Ich muss Ihnen noch etwas berichten“, nahm Sophie das Gespräch wieder auf. „Soeben fuhr jemand mit unserem Wagen durchs Dorf, zwei Uniformierte, wie es den Anschein hatte.“
Pascal beobachtete den Bürgermeister aufmerksam. Es war trotz seines Bartes nicht zu übersehen, dass die Nachricht ihn erbleichen ließ.
„Sind Sie sicher, dass es Ihr Wagen war?“, fragte er. Seine Unsicherheit war nicht zu überhören.
„Glauben Sie etwa, ich kenne unser Auto nicht?“, gab Sophie patzig zurück.
„Das wollte ich damit nicht gesagt haben, um Gottes willen, Madame, aber Sie könnten sich ja geirrt haben. Eine Erklärung kann ich Ihnen dafür zu meinem tiefsten Bedauern nicht liefern. Dazu müsste ich selbst Augenzeuge gewesen sein. Bitte seien Sie versichert, dass ich alles Notwendige veranlassen werde“, beteuerte er erneut, erhob sich und fügte hinzu: „Ich habe noch Termine, Sie verstehen? Sie glauben gar nicht, was selbst in einem Ort wie diesem ein Mann wie ich an Aufgaben zu bewältigen hat.“
Auch wenn sie sich nur schwerlich vorstellen konnten, welche wichtigen Termine seiner am Ende der Welt harrten, bedankten sie sich für die zugesagte Unterstützung und verabschiedeten sich.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatten, griff der Bürgermeister zu seinem Telefon und wählte eine mehrstellige Nummer.
„Die Lebenspartner der beiden verschwundenen Touristen stellen überall Fragen. Das ist nicht gut. Wie sollen wir uns verhalten?, fragte er in den Hörer.“
Er lauschte aufmerksam der Antwort und nickte beflissen mit dem Kopf.
„Und noch etwas: Ich kann nicht gutheißen, dass der Wagen dieses Belgiers benutzt wird.“
Wieder hörte er seinem Gesprächspartner zu, wobei sich sein Gesicht rot färbte. Nachdem er aufgelegt hatte, ließ er sich auf seinen Stuhl fallen.
„Das kann so nicht weitergehen“, brummelte er in seinen Bart, griff nach einer Cognacflasche in seinem Schreibtisch und nahm gierig einen großen Schluck. „Aber was kann ich dagegen machen? Ich bin nur der Bürgermeister und habe mich nach den herrschenden Gesetzen zu richten“, sprach er sich Trost zu.
Auf der immer noch verlassenen Dorfstraße angelangt, fragte Sophie: „Was halten Sie von unserem Gespräch?“
Pascal war sich nicht sicher, wie er seine Eindrücke einordnen, erst recht nicht, wie er sie formulieren sollte, ohne Sophies Ängste, aber auch eigene zu schüren. Es gelang ihm nicht, seine unguten Ahnungen zu verdrängen.
„Was meinen Sie?“, antwortete er mit einer Gegenfrage, um Zeit zu gewinnen. Noch wollte er über seine Zweifel nicht sprechen, nicht, solange kein einziger konkreter Anhaltspunkt vorlag, der die schlimmen Befürchtungen bestätigte.
„Wird der Bürgermeister uns eine Hilfe sein können?“
„Ich habe eher den Eindruck, dass er es als seine vordringlichste Aufgabe ansieht, uns zu beruhigen. Ich denke, wir sollten selbst die Initiative ergreifen und jeden, der uns über den Weg läuft, befragen.“ Er sah sich skeptisch um. „Na gut, vielleicht könnten wir auch durchs Gelände streifen, wenn wir niemandem begegnen. Lassen Sie uns aber erst einmal zum Berghof zurückgehen, um nachzusehen, ob meine Frau endlich zurück ist. Sie wird sicherlich gerne bei der Suche nach Ihrem Verlobten behilflich sein.“
Mit gemischten Gefühlen eilten sie zum Gasthof zurück. Am Empfang war niemand zu sehen, als sie eintrafen. Weder Leonie, ganz zu schweigen Yves waren wieder aufgetaucht. Sie läuteten, aber erst nach etwa einer Viertelstunde erschien Bruckner mit hochrotem Kopf und sichtbar ob der Störung verärgert.