Finisterre. Claus Karst

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Finisterre - Claus Karst

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      Gift und Galle speiend, begab er sich zu Fuß auf den Rückweg. Der Regen prasselte so stark, dass er kaum etwas durch seine Brille erkennen konnte. Irgendwie kam es ihm vor, als ob feindselige Schemen ihn am Rande des Weges begleiteten. Er glaubte gar, Stimmen zu vernehmen, die ihn verhöhnten, ihn auslachten. In der Ferne hörte er Hunde jaulen, oder konnten das sogar Wölfe sein?

      Plötzlich vermeinte er, einen Schatten vor ihm eilig die Straße überqueren zu sehen.

      „Hallo, ist da jemand?“, rief er in den Regen und horchte. Er erhielt keine Antwort, trat aber in diesem Moment auf etwas Weiches. Er bückte sich um nachzusehen. Auf der Straße lag ein blutiges, behaartes Bündel: ein toter Hund.

      Er erinnerte sich, auf der Hinfahrt ein dumpfes Geräusch vernommen zu haben, ohne ihm jedoch Beachtung beigemessen zu haben. Hatte er vielleicht das Tier überfahren, das bei dem Regen nicht zu sehen gewesen war? Die tödlichen Verletzungen des Hundes schienen jedenfalls noch ziemlich frisch zu sein und auf einen Unfall hinzudeuten.

      Die Umgebung war so unwirklich, so unheimlich, dass er sich nicht für die Angst schämte, die ihm inzwischen sogar vorgaukelte, in Lebensgefahr zu schweben. Was war hier los? Eine Frage, auf die er gerne zumindest die Andeutung einer Antwort gefunden hätte, um sich ihr stellen zu können.

      Lieber heute als morgen wollte er weg von hier, aber nicht ohne Leonie. Er war zwar verärgert darüber, dass sie ihnen dieses Dilemma eingebrockt hatte, doch eine Abreise ohne sie überstieg seine Vorstellungskraft. Nur allzu gerne hätte er den Grund gewusst, der sie hierher getrieben hatte, jetzt erst recht – in ein Dorf, das scheinbar nicht einmal einen Namen trug. Auch der schien in Vergessenheit geraten zu sein. Nirgendwo hatte er bisher einen Hinweis auf den Ortsnamen entdeckt. Irgendetwas, irgendjemand musste Leonie in diese urzeitliche Bergwelt angelockt haben, die ein Eigenleben führte, das keinen normalen Gesetzmäßigkeiten unterlag.

      Endlich erreichte er das Hotel wieder, bis auf die Haut durchnässt, zudem total verdreckt. Noch immer hoffte er auf ein Wunder, hoffte mit ganzem Herzen, Leonie wieder in seine Arme schließen zu können. Doch einmal mehr wurde er bitter enttäuscht.

      Nüchtern betrachtet, hatte er nichts anderes erwartet, aber die Sorge um seine Frau wuchs mit jeder Stunde. Wie sollte sich seine verträumte Leonie dort draußen bei so einem Unwetter selbst helfen? Womöglich lag sie mit gebrochenem Bein am Rande eines Abhangs, während er hier mit Sophie durch ein Geisterdorf streifte, sich von einem verlogenen Bürgermeister Unsinn erzählen ließ, mit mysteriösen alten Frauen sprach, die sich in Luft auflösten, oder ärmliche Gestalten befragte, denen die Angst vor etwas Unbekanntem die Sprache raubte. Ganz zu schweigen davon, dass er sich der lüsternen Avancen einer zügellosen Hausangestellten erwehren musste.

      Ihm dröhnte der Kopf. Er wusste nicht mehr, was er von alldem halten sollte. Sein Hirn verweigerte ihm die Gefolgschaft, hinderte ihn, klare Gedanken zu fassen. Mit jeder Faser seines Körpers spürte er die unsichtbare Bedrohung, gegen die er nicht ankämpfen konnte, da sie sich nicht greifen ließ.

      Natürlich konnte Leonies Verschwinden eine natürliche, wenngleich entsetzliche Erklärung wie einen Unfall haben, aber irgendetwas sagte ihm, dass dem nicht so war.

      Als er den Berghof betrat, verdreckt und nass, wie er war, lief ihm Ines über den Weg. Dieses Mal war sie züchtig bekleidet mit Rock und weißer Bluse, die sogar sittsam zugeknöpft war.

      „Ines, mir ist etwas Dummes passiert“, wandte er sich verlegen an sie.

      „Ach ja?“ Grinsend musterte sie ihn von oben bis unten. „Das ist kaum zu übersehen. Haben Sie voll bekleidet eine Fangopackung bekommen?“

      „Ich erinnere mich schwach, dass Sie mir angeboten hatten, für mich da zu sein, meine Wünsche im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zu erfüllen.“

      „Nun ja“, schäkerte sie, ohne ihren Blick von ihm zu nehmen, „dann lassen Sie mal hören, ob Ihr Wunsch in den Rahmen meiner Möglichkeiten gehört.“

      „Mein Wagen steckt im Schlamm am Beginn der Baustelle, wo die Straße abgesperrt ist. Er muss herausgezogen werden.“

      „Sofort? Sollen wir beide das jetzt in Angriff nehmen? Sie sind ja schon zweckmäßig dafür gekleidet, wie ich sehe. Aber ich hatte eher gedacht, ich sollte Sie vielleicht ein wenig … baden?“

      Bei diesen Worten zeigte sie wieder ihren betörenden Augenaufschlag, dem vermutlich kein Mann lange standhalten konnte. Ihn allerdings berührte er in dieser Situation peinlich und ließ ihn erröten.

      „Ich denke, Sie finden sicher eine Möglichkeit, dass jemand mir den Wagen wieder flottmacht. Es muss ja nicht sofort sein bei diesem Wetter. Mir persönlich reicht es für heute, wie Sie sich denken können.“

      „Schade“, sagte sie, „wirklich schade. Ich wäre gerne einmal mit Ihnen im Schlamm …“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende, fügte dann aber ernster hinzu: „Machen Sie sich keine Sorgen und geben Sie mir den Schlüssel. Morgen steht er wieder vor dem Hotel.“ Sie zögerte einen Moment. „Und legen Sie Ihre dreckigen Sachen ins Bad, ich kümmere mich darum.“

      Pascal wurde zwar das Gefühl nicht los, als könne er ihr nicht trauen, aber sie war die Einzige, die ihm Hilfe beschaffen konnte, nur das zählte im Moment.

      „Vielen Dank im Voraus“, sagte er kurz angebunden. „Sollten Kosten entstehen, werde ich selbstverständlich dafür aufkommen.“

      „Wo wollten Sie denn hin, bei diesem Wetter, falls ich das fragen darf?“ Neugierig hatte Ines den Kopf schief gelegt und sah ihn aufmerksam an.

      Pascal antwortete nicht sofort. Er überlegte, dass es vielleicht nicht schaden könne, ein wenig Druck auszuüben, denn er war überzeugt, dass sich alles, was er äußerte, im Dorf bei den interessierten Stellen schnell verbreitete.

      Daher sagte er: „Ich wollte ins Tal, in die nächstgelegene Stadt, um dort bei den Behörden vorstellig zu werden.“

      „So, so“, entgegnete Ines und ließ ihn stehen. Von der Türschwelle zur Gaststube rief sie ihm zu: „Morgen früh steht der Wagen vor der Tür, Monsieur. Versprochen.“

      Sophie schien noch immer auf ihrem Zimmer zu sein. Also stieg auch er nach oben, um sich erst einmal trockene Kleidung anziehen. Es fehlte noch, dass er sich eine Erkältung zuzog, die ihn bei seiner Suche behinderte.

      Von Sophie fand er unter der Zimmertür eine Nachricht vor. Sie bat ihn, sich zu melden, sobald er zurück sei. Zu ihrem Bedauern hätte sie den Termin verschlafen. Nachdem sie aufgewacht war, hätte sie nach ihm Ausschau gehalten und festgestellt, dass er augenscheinlich mit dem Wagen davonfahren wäre. Sie mache sich Sorgen.

      Pascal stieg unter die Dusche und ließ sich von dem warmen Wasserstrahl eine Zeit lang berieseln, bis er das Gefühl gewann, dass sein Körper sich wieder auf normale Temperatur erwärmt hatte. Er trocknete sich ab, zog eine bequeme Hose und einen Pullover an.

      Draußen regnete es immer noch in Strömen. Ein leichtes Hungergefühl machte ihn darauf aufmerksam, dass er den ganzen Tag so gut wie noch nichts gegessen hatte. Er verließ sein Zimmer und klopfte nebenan an Sophies Tür.

      „Wer ist da?“, hörte er ihre Stimme.

      „Ich bin’s, Pascal.“

      Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Sophie öffnete die Tür einen Spalt, überzeugte sich, dass er es war, der davor stand, ließ ihn eintreten. Er sah sich

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