Finisterre. Claus Karst

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Finisterre - Claus Karst

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Leonie, was ist los mit dir? Bist du wieder auf den Geschmack gekommen? Übrigens, du warst großartig, falls du auf eine Bestätigung meinerseits Wert legst. Möchtest du es schriftlich?“

      Leonie ließ ihn nicht weitersprechen, sondern warf sich auf ihn, bedeckte ihn begierig mit Küssen und schnurrte: „Ach, das hast du mir ewig schon nicht mehr gesagt. Danke, mein Schatz!“ Dann setzte sie sich auf und sah ihn fragend an. „An welchen Umweg denkst du?“

      „Ich möchte doch gerne diesen neu entdeckten Bariton Samuel Godfree als Fliegenden Holländer mal live hören, erinnerst du dich?“

      „Das würde sogar gut passen. Soll ich mich um Karten und eine Übernachtung kümmern?“

      „Ja, gerne.“

      Bald darauf schliefen sie eng umschlungen ein und glitten sanft in ihre Träume. Besonders Pascal genoss das ungewohnte Glücksgefühl, das er zeitweilig schon verloren geglaubt hatte.

      Die nächste Woche verging wie im Flug. Pascal vervollständigte zwei Kolumnen, die abzuliefern er verpflichtet war. Leonie klärte mit Gitte, ihrer Partnerin, ab, was während ihrer Abwesenheit zu tun sei.

      Pascal hatte noch so viel zu erledigen, dass er sich keine Gedanken über den von Leonie vorgeschlagenen Ferienort machte. Sie hatte zumeist ihren Urlaub geplant. Er hatte nie einen Grund gefunden, unzufrieden mit ihrer Wahl zu sein. Im Grunde war er viel zu bequem, um sich mit derlei Banalitäten des Lebens abzugeben, zumal seine Frau ihm gerne diese Arbeit abnahm.

      Leonie war in diesen Tagen wie aufgedreht. So hatte Pascal sie schon lange nicht mehr erlebt. Sie sprühte vor guter Laune und überhäufte ihn mit Zärtlichkeiten. Er hoffte mit allen Sinnen, dass ihnen ein besonders schöner Urlaub bevorstand.

      Den wahren Grund, der Leonie ans Ende der Welt lockte, der sie dorthin zog wie ein Magnet, gegen den anzukämpfen ihr nicht glückte, gegen den sie auch nicht angehen wollte, verheimlichte sie ihm indessen. Sie vermutete zu Recht, dass er wenig Verständnis dafür aufbringen würde. Seit Wochen erreichte sie in fast jeder Nacht in ihren Träumen ein telepathischer Ruf, eine Aufforderung, sich auf den Weg zu begeben. Ein Mann erschien ihr, mit langen schwarzen Haaren, die bis auf seine Schultern fielen, hager sein Gesicht, stechend seine Augen. Er rief sie zu sich und versprach ihr Erlösung von allem Ballast des irdischen Lebens. Leonie wollte vermeiden, dass an ihrem Verstand gezweifelt wurde, konnte und wollte daher weder Pascal, noch sonst jemandem ihr Herz ausschütten.

      Pascal war den Fragen, die die Parapsychologie zu beantworten versucht, wenig zugänglich. Er zog es vor, allen Dingen auf den Grund zu gehen, sie mit dem Verstand zu erfassen.

      Leonie hingegen war seit ihrer Kindheit offen für das Geheimnisvolle, sie gierte förmlich danach. Nun fühlte sie sich auf dem Pfad angelangt, der sie zur Pforte ihrer unauslöschlichen Träume führen würde. Sie könnte endlich das Tor durchschreiten und den Geistern auf die Spur kommen, die seit Kindheitstagen in ihrem Kopf herumspukten, sich dort eingenistet hatten und nicht von ihr abließen.

      Kapitel 2

      Am Tag der Abreise frühstückten sie morgens in aller Ruhe. Die Koffer hatten sie bereits am Abend zuvor gepackt. Als Pascal das Gepäck ins Auto trug, fiel Leonie ein, dass sie ihre Eltern noch nicht über ihre Urlaubspläne informiert hatte. Sie griff nach dem Telefon, ihr Vater meldete sich.

      „Hallo, Paps“, begrüßte sie ihn fröhlich. „Weißt du, wozu wir uns spontan entschlossen haben?“

      „Ich bin doch kein Hellseher, mein Kleines“, antwortete ihr Vater, der sich längst an die Überraschungen seiner Tochter, die er über alles liebte, gewöhnt hatte. „Spann mich nicht auf die Folter!“

      „Wir fahren ein paar Tage weg und holen unseren Hochzeitstag nach.“

      „Das ist eine gute Idee. Wo soll es denn hingehen, falls ich dich erreichen muss?“

      „Wir fahren ans Ende der Welt, Paps. Meine Handynummer hast du, falls du sie benötigst.“

      „Ende der Welt? Das kann überall sein. Wohin genau?“, wollte ihr Vater wissen.

      „Das Ende der Welt befindet sich für mich in der Abgeschiedenheit der Berge. Ich bin gespannt, wie es dort aussieht. Hoffentlich ist die Erde wirklich eine Kugel und keine Scheibe, damit ich nicht über den Rand falle, ins Weltall plumpse und mir den Kopf an einem Meteoriten stoße.“

      „Was hast du dir in den Kaffee geschüttet, mein Kind?“ Ihr Vater lachte laut. „Aber mal im Ernst: Solltest du dennoch über den Rand stolpern, so würdest du mit Sicherheit der schönste und hellste Stern werden, der nachts am Firmament leuchtet.“

      „Paps, rede nicht solchen Unsinn!“, maulte Leonie. „Ich möchte noch ein wenig meine Kreise auf dem Erdball ziehen, hier strahlen und nicht im All. Aber danke für diese charmante Illusion.“

      „Dass du aber so einfach wegfährst, ohne mir einen Abschiedskuss zu geben, werde ich dir nie verzeihen“, schmollte der Vater.

      „Ach, Paps“, schmeichelte sie.

      „Kommst du endlich?“, rief Pascal in diesem Moment mit einer Stimme, die leichten Ärger verriet. Er konnte zu warten gar nicht leiden, insbesondere wenn Leonie am Telefon kein Ende fand. „Ich bin schon lange fertig mit Packen. Telefonieren kannst du auch im Auto, wie du weißt.“

      Zur gleichen Zeit sagte ihr Vater: „Ich wünsche euch einen schönen Urlaub. Melde dich bitte von dort, damit ich weiß, dass es dir gut geht. Und grüße Pascal von mir.“

      „Mach ich, Paps, und gib Mama einen Kuss von mir!“

      Leonie legte schnell den Hörer auf, ergriff ihren Reiserucksack und stürmte die Treppe hinunter aus dem Haus. Pascal stand wartend am Wagen und knurrte: „Dass ich das noch erleben darf …“

      Anstatt einer Antwort gab Leonie ihm einen zärtlichen Kuss und stieg ein.

      „Nichts vergessen?“, fragte Pascal überflüssigerweise, denn Leonie galt als Organisationswunder, wo immer etwas auszurichten war.

      „Mein Vater klang so irritiert am Telefon darüber, dass wir nichts haben verlauten lassen. Lass uns noch bei meinen Eltern vorbeifahren, um uns zu verabschieden. Es ist doch kein großer Umweg.“ Bittend sah Leonie ihren Mann an.

      „Wenn das kein längerer Aufenthalt wird, meinetwegen“, grummelte Pascal. Er wollte die gute Stimmung nicht gefährden.

      Ihr Vater begrüßte sie erfreut an der Haustür: „Ich hätte dir nie verziehen, meine kleine Löwin, wenn du diesen unwesentlichen Schwenker nicht noch vollzogen hättest.“

      Er nahm sie in den Arm, strich ihr über ihre rotblonde Löwenmähne und gab ihr einen Kuss.

      „Ach, Paps, du wirst doch wohl ein paar Tage ohne mich auskommen.“

      Inzwischen war auch ihre Mutter aus dem Haus gekommen.

      „Ihr fahrt in Urlaub?“, fragte sie, „einfach so? Müssen wir uns um euer Haus kümmern, Blumen gießen? Wie lange bleibt ihr denn?“

      Pascal unterbrach ihren Redeschwall: „Es ist alles geregelt, Mutter, mach dir keine Sorgen. Wir sind

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