Anne und die Horde. Ines Langel

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Anne und die Horde - Ines Langel

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Augenblick zum anderen verflog Annes Zorn. Sie war sprachlos vor Staunen.

      Zankintos nickte. „Ja, klar, Mädchen bei uns haben Flügel.“

      „Flügel?“

      Zankintos nickte wieder. „Ja, ganz allein Mädchen. Noch keinem Heinzelmann Flügel gewachsen. Jeder hat seins. Ist doch gerecht.“

      Anne nickte. Sie schämte sich etwas, weil sie so vorschnell geurteilt hatte. „Wohin gehen wir?“, fragte sie schnell.

      Zankintos zeigte in Richtung Kinderspielplatz. „Dort lang.“

      Sie stapften los. Zankintos lief ziemlich schnell für seine Größe. Anne konnte kaum mithalten. Hinter dem Spielplatz begann ein Wäldchen. Zankintos verschwand plötzlich im Unterholz. Anne, völlig außer Atem, konnte ihren Begleiter nirgendwo sehen.

      „Zankintos!“, rief sie erschrocken. Sie bekam keine Antwort. Wieder: „Zankintos!“ Wieder keine Antwort. Wo konnte er nur sein? Eben war er noch neben ihr gewesen. Zögerlich lief sie weiter.

       Was wenn er abgehauen ist?

      Ihr wurde ganz schlecht bei diesem Gedanken. Wie sollte sie ins Haus zurück- kommen ohne dass ihre Eltern was mitbekamen? Und würde sie je ihren Kompass wiedersehen? Außerdem, Zankintos könnte so ein toller Freund sein, aber nicht, wenn er sie hereingelegt hatte. Dann nicht.

      Anne blieb stehen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie hatte Zankintos freigelassen. Sie hatte ihm vertraut und war mit ihm losgezogen mitten in der Nacht. Und jetzt?

      Anne war drauf und dran, umzukehren, da hörte sie Zankintos Stimme.

      „Anne?“

      „Hier!“, rief sie. Ein Stein fiel ihr vom Herzen.

      Zakintos Kopf erschien im Gestrüpp.

      „Wo du bleiben?“

      „Du warst plötzlich weg.“

      Zakintos nahm sie an die Hand. „Schnell, komm.“

      Anne hatte das Gefühl, dass sie an seiner Hand viel rascher vorankam. Hinter dem Wäldchen lag ein weites Gelände, in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Nur einen kleinen See glaubte Anne zu sehen. Das ganze Gelände schien eingezäunt zu sein. Dort, wo sie standen, rieb Zankintos seine Hände und legte sie auf den Maschendraht, der sogleich flüssig wurde. Zankintos zog Anne hinter sich her, und schon standen sie auf einem sehr kurz geschnittenen Rasen.

      Anne blickte sich um. Sie sah ein paar Erdhügel. Es schien nicht nur diesen einen See zu geben. Buschwerk und wenige Bäume hoben sich schwarz gegen den Nachthimmel ab. Der helle Fleck ließ erkennen, wo sich hinter der Wolkendecke der Mond verbarg.

      „Was ist das hier?“, fragte Anne.

      „Ist Golfplatz“, sagte Zankintos. „Wohnen noch nicht so lange hier.“

      „Ihr wohnt auf einem Golfplatz?“

      Zankintos nickte. „Genug Platz, verstehst du? Und am Abend nichts los hier. Heinzel ganz ungestört. Ist schwer, Platz zu finden in Köln, um Bau zu graben. Menschen machen sich überall breit mit ihre Häuser und Parks und U-Bahnen, vertreiben Heinzel. Überall Menschengewimmel, über der Erde, unter der Erde.

      „Verstehe“, nickte Anne.

      „Komm, ich dir zeigen meinen Bau. Dann Kompass zurückgeben.“

      Anne folgte ihm schweigend. Der dunkle Golfplatz war ihr unheimlich. Deswegen versuchte sie, so nah wie möglich bei Zankintos zu bleiben. Der Mond war inzwischen aus seinem Wolkenbett herausgekommen. Vollmond – alle Gruselgeschichten spielten unter dem Vollmond. Zankintos ging zügig vornweg. Er gruselte sich natürlich nicht, er war ja hier zuhause. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, überlegte Anne, wie das Gedicht von den Heinzelmännchen begann. Sie hatte es in der ersten Klasse auswendig lernen müssen. Anne mochte das Gedicht, und sie brauchte nicht lange, um die einzelnen Zeilen in ihrem Gedächtnis zusammenzusetzen.

       Wie war zu Köln es doch vordem

       Mit Heinzelmännchen so bequem

       Denn, war man faul, legte man sich

       Hin auf die Bank und pflegte sich

       Da kamen bei Nacht

       Eh man´s gedacht,

       Die Männlein und schwärmte

       Und klappten und lärmten

       Und rupftenUnd zupften,

       Und hüpften und trabtenUnd putzten und schabten...Und eh ein Faulpelz noch erwacht,War all sein Tagwerk... schon gemacht

      Wie oft hatte Anne davon geträumt, ebenfalls ein Heinzelmännchen zu haben. Wäre es nicht wunderbar, jemanden zu haben, der alle Arbeiten erledigte, das Zimmer aufräumte, die Hausaufgaben machte und natürlich beim Abwaschen half?

      Jetzt kannte sie einen Heinzelmann. Aber anders als im Gedicht schien Zankintos keiner zu sein, der sich als dienstbarer Geist verstand. Nicht zum ersten Mal machte Anne die Erfahrung, dass zwischen Fantasie und Wirklichkeit ein Riesenunterschied bestand.

      Ohne es zu merken, war Anne stehen geblieben . Schnell rannte sie hinter Zankintos her. Der Heinzel war an einem Sandloch stehen geblieben. Plötzlich hörte Anne Stimmen.

      „Horch!“, flüsterte Zankintos, „Brüder und Schwestern von mir. Schnell, verstecken“.

      Verwirrt sah Anne sich um. „Wo denn? Hier ist gibt es kein Versteck.“

      Es stimmte, weit und breit nur Rasen, hin und wieder ein Hügel, und hinter dem einzigen Erdbuckel in ihrer Nähe tauchten gerade zehn kleine Gestalten auf. Sie lachten und alberten herum. Dann sahen sie Anne, die wie erstarrt im hellen Mondlicht stand. Nicht minder erschrocken waren die Heinzel.

      „Ein Mensch!“, schrie einer entsetzt.

      „Verstecken!“, schrie ein anderer.

      „Zu spät“, rief ein dritter. „Hat uns schon gesehen.“

      „Keine Angst“, rief da Zankintos. „Ist doch bloß Anne, tut uns nichts.“

      Plötzlich brach ein heilloses Durcheinander aus. Alle schrieen gleichzeitig. Einer lief aus der Gruppe heraus, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

      „Zucker!“, brüllte er. Und immer wieder „Zucker!“

       „Nicht“, rief Zankintos, „nicht rufen. Nicht Angst haben. Will Anne nur den Kompass zurückgeben.“

      Doch es war zu spät. Schon liefen weitere Heinzelmännchen und –mädchen herbei. Im Nu war der vermeintliche Eindringling umringt. Anne schlotterte vor Angst. Zankintos nahm ihre Hand. Die Horde war außer sich. Alle redeten durcheinander. Verzweifelt versuchte Zankintos, über den Tumult hinweg zu erklären, wer Anne war und was sie hier wollte.

      „Ruhe!“,

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