Zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Hans Müncheberg
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Kurz bevor sie das Krankenhaus erreichten, hörte sie Malte aufschluchzend fragen: „Muss ich jetzt sterben?“
„Aber nein!“ Es schrie aus Helga in tiefstem Erschrecken. Es durfte nicht sein, dass sie erneut ein Kind verlor! Was hatte sie auf sich genommen, um mit Malte und Georg endlich in einer glücklichen Familie zu leben. Wenn Malte dieses Unglück nicht überleben würde, wäre ihr eigenes Leben sinnlos geworden. Nein, nein, es durfte nicht sein!
Vor der Notaufnahme wurden sie bereits erwartet. Frau Neusche hatte das Krankenhaus informiert. Ein kräftiger Pfleger hob Malte von Helgas Schoß und bettete ihn bäuchlings auf eine fahrbare Liege.
Ein Arzt kam hinzu, begrüßte Herrn Neusche mit einem knappen Kopfnicken und ordnete an: „Gleich in den OP!“ und zu Helga, die sich aus dem Auto quälte: „Wie ist es geschehen?“ Er lief mit ihr eilig dem immer wieder aufschreienden Kind hinterher, hörte konzentriert zu, fragte dann knapp nach dem Alter Maltes und eventuellen allergischen und anderen Unverträglichkeiten. Abschließend erklärte er ihr und dem ihnen hinterhergeeilten Georg: „Sie dürfen hier warten!“
Wie betäubt abwartend blieben beide vor der Tür zum Operationsbereich stehen. Georg zog Helga an sich.
„Das Auto muss jetzt aber von der Auffahrt weg!“ Eine Krankenschwester von der Aufnahme kam heran. „Und außerdem brauchen wir einige Angaben von Ihnen.“
Georg nickte, löste sich mit einer liebevollen Geste aus der Umarmung. „Bin gleich wieder da.“ Er eilte ins Freie.
Helga folgte der Krankenschwester, die ihr bedeutete, vom Gang aus vor ein Schiebefenster zu treten. Sie konnte ihren Sozialversicherungsausweis nicht vorweisen. Sie bat um etwas Geduld. „Mein Mann hat bestimmt seine Papiere bei sich.“
Es stimmte. Georg konnte alle gewünschten Daten nennen. Dann blieb auch ihm nichts weiter übrig als Geduld zu haben.
Nach einer Zeitspanne, die Helga unendlich lang erschienen war, kam der Oberarzt zu ihnen. „Ihr Junge hat Verbrühungen zweiten und dritten Grades. Wir haben unter Narkose die zerstörten Hautpartien abgetragen, um die tieferen Schichten mit einem Panthenol-Schaum erreichen zu können. Natürlich wird er stationär aufgenommen.“
„Ich möchte bei ihm bleiben, bis er aus der Narkose erwacht“, bat Helga.
„Ihr Sohn wird über Nacht auf unserer Wachstation bleiben, da darf nur unser Fachpersonal hinein. Und außerdem, Frau Berger, wenn Sie mir die Anmerkung erlauben, wäre es auch für den Jungen besser, wenn Sie es ihm gleichtäten und die Nacht zum Sammeln neuer Kräfte nutzten.“
Die Rückfahrt nach Schmöckwitz verlief erst in tiefem Schweigen, dann gelang es dem hilfsbereiten Herrn Neusche, die bedrückt schweigenden Eltern mit praktischen Fragen aus ihrer seelischen Schreckstarre zu lösen. Das Besuchskind könnte bis morgen bei ihnen im Vorderhaus bleiben. Sie hätten dann etwas Ruhe miteinander. Und ob der Junge den Sonntag über dableiben solle?
„Nein!“ Georg entschied es spontan. „Ich bringe ihn wieder zurück, allein ... Helga“, mit einer fragenden Geste wandte er sich halb zu ihr um, „du wirst sicher im Krankenhaus bei Malte sein wollen.“
„Aber ja.“ Mehr sagte sie nicht.
Helga und Georg fanden lange keinen Schlaf. Auf ihnen lastete die Überzeugung, an dem Unglück schuld zu sein. Leichtfertigkeit, mangelnde Aufsicht, falsch organisierter Ablauf! Der verfluchte Wasserkocher, die Konsole, der enge Raum ...
Helga weinte sich voller Verzweiflung in einen Erschöpfungsschlaf, Georg litt unversehens unter Atemnot, schlich hinaus, ging ans Ufer und setzte sich auf den wulstigen Rand des Schlauchbootes. Was hatten sie hier am Nachmittag mit den Knaben geübt, wollten sicher sein, dass nichts Arges passiert. Da hatten sie an mögliche Gefahren gedacht. Warum am Abend nicht? Er fand keine Antwort.
Am Sonntagmorgen ging Georg zu Neusches, um Thorsten abzuholen.
„Wo is’n der Junge?“ fragte Thorsten noch halb verschlafen. Er hatte das Ausmaß des abendlichen Unglücks nicht begriffen, konnte es auch nicht erfassen.
„Malte muss leider im Krankenhaus bleiben. Noch lange. Und dich bring ich jetzt zu Frau Schultes zurück.“
Erschrocken rief er: „Schooon?“ Er war nicht bereit, mit in die Sommerwohnung zu gehen, um seine Sachen in den kleinen Rucksack zu packen. Bockig setzte er sich vor Neusches Wohnung auf eine Treppenstufe.
Georg hatte weder die Zeit noch die Nerven, um Thorsten die Situation begreiflich zu machen. Er ließ ihn sitzen, lief in den Seitenflügel und packte in fliegender Eile zusammen, was ihm mitgegeben worden war. Dann ging er, den Rucksack in der Hand, wieder ins große Wohnhaus, wo Frau Neusche geduldig versuchte, mit Thorsten über das Geschehene zu sprechen.
„So, und jetzt bedanken wir uns beide bei Frau Neusche für ihre Hilfe.“ Georg reichte Frau Neusche die Hand. „Wir bringen zuerst meine Frau ins Krankenhaus und fahren dann gleich weiter.“ Und zu dem Jungen gebeugt: „So, Thorsten, jetzt bist du dran, danke zu sagen.“ Georg musste den unbeweglich Sitzenden von der Treppenstufe hochziehen.
Der Junge stand nun mit gesenktem Kopf da. Erst als Georg ihn mahnend anstieß, gab er Frau Neusche die Hand, sagte „Tschüs!“, drehte sich gleich wieder um und ging ins Freie.
Georg nahm vor dem Haus Thorstens Hand und zog ihn mit sich auf die Straße. Erst als der Knabe sah, dass Helga bereits neben dem Auto stand, lief er zu ihr. Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest, bis er sicher war, im Auto hinten neben ihr zu sitzen.
Vor dem Haupteingang zum Krankenhaus Köpenick gab es an diesem Morgen Platz genug, um mit dem Auto dort zu halten. Als Helga ausstieg, wollte Thorsten mit ihr gehen. Sie mussten ihm klarmachen, dass es nicht möglich war. Dennoch blieb er ganz dicht neben ihr stehen.
Georg umarmte seine Frau und flüsterte ihr zu: „In zwei Stunden bin ich wieder hier, spätestens.“ Dann aktivierte er die sogenannte Kindersicherung an den beiden hinteren Türen seines Wartburg, packte Thorsten, setzte ihn wieder auf die hintere Sitzbank und schlug die Türen ins Schloss.
„Fahrt vorsichtig!“ mahnte Helga. „Ein Unglück ist schon mehr als genug!“
Georg nickte ihr zu, stieg ein und fuhr sofort los. Ihn würgte es in der Kehle. Thorsten saß da, hielt seinen Rucksack auf dem Schoß und starrte nach vorn auf die Straße, sagte kein Wort.
Über den gestrigen Tag und sein unseliges Ende mochte Georg nicht mit ihm reden. Es fiel ihm aber auch schwer, jetzt über Belanglosigkeiten zu plaudern, also schaltete er das Radio an und ließ Musik eine akustische Decke über alles Ungesagte legen.
Voller Furcht, Malte könnte doch schwerer geschädigt worden sein, als es die Ärzte am gestrigen Abend auf ihre zurückhaltende Art übermittelt hatten, erkundigte sich Helga bei der Anmeldung des Krankenhauses, auf welcher Station sich ihr Sohn nach überstandener Operation befinden würde.
Es war die Chirurgie und nicht die Intensivstation, doch auch dort hatte man den Jungen in ein Einzelzimmer gelegt.
„Damit ihn in seinem Wärmebett nichts ablenkt und zu unbedachten Bewegungen verleitet“, sagte der Stationsarzt, während er Helga zu dem Zimmer führte. „Er muss noch eine längere Zeit auf dem Bauch liegen. Das ist für ein Kind seines Alters