Flut über Peenemünde. Rainer Holl
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„Gut, Herr Waldeck, zunächst danke ich Ihnen für die Hilfe. Sie können dann gehen. Falls Ihnen doch noch etwas einfallen sollte, was uns weiter bringt, hier ist meine Karte. Und Sie werden sich bestimmt für weitere Fragen unsererseits bereithalten.“
Bock verwendete das Wort uns absichtlich in doppeldeutigem Sinne, denn er hatte sehr wohl den Ehrgeiz Waldecks bemerkt, als Partner anerkannt werden zu wollen.
„Selbstverständlich, Herr Kommissar“, erwiderte Hans mit innerlich zufriedenem Lächeln.
Die Leiche wurde nach einer vorläufigen Untersuchung des Umfelds geborgen und abtransportiert, mit dem Tageslicht am kommenden Morgen sollte die gründliche Untersuchung weitergehen.
Hans Waldeck begab sich auf dem kürzesten Weg zu seinem Auto. Für die Jagd war ihm die Lust vergangen, das Büchsenlicht auch zu schwach geworden. Enttäuschung über den misslungenen Jagdabend ergriff den Mann.
Plötzlich aufkommende Befürchtungen, welche Konsequenzen sein Fund für ihn persönlich haben würde, wollte er verdrängen, was ihm jedoch nicht gelang.
Als er seinen Hof erreicht hatte, dachte Hans Waldeck nochmals an die Fragen des Beamten. Ob der etwa meinte, gerade ich sollte gestern Abend an genau dieser Stelle die Leiche finden? Eine andere Erklärung fiel ihm nicht ein. Aber wer sollte das arrangieren können? Er hielt es für ein zu gewagtes Gedankenexperiment dieses jugendlichen Ermittlers.
Und die Frage nach dem dritten Oktober machte ihn erst nachträglich stutzig, als er sich daran erinnerte, dass sein ehemaliger Vorgesetzter genau an diesem Tag verschwunden war, was natürlich für Aufsehen gesorgt hatte. Der Schuss des Kommissars ins Blaue hinein bedeutete also, es gab noch immer keine Spur.
Als Arne Bock kurz vor Mitternacht nach Hause kam, lag das neu bezogene Haus im Wolgaster Ortsteil Mahlzow im Dunkeln, seine Frau Kerstin schlief schon.
Er ging leise in sein Arbeitszimmer, fuhr den Laptop hoch und loggte sich in seinen Chat ein. Er hatte Glück, die Nutzerin mit dem Nick Zauberfrau war noch online, obwohl sie sich schon für eine frühere Zeit verabredet hatten. Die folgenden Minuten gaben Arne die Gewissheit, dass seine Fähigkeiten, auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen die richtigen Worte zu finden, sich immer mehr verbesserten. Er würde diese Zauberfrau wohl nie treffen, kannte nichts von ihr als Worte. Die Umrisse und das Profil ihres Körpers entstanden nach seinen Wünschen ausschließlich in der eigenen Fantasie. Als er sich völlig in den Umgang seiner Hände mit der vollendeten Weiblichkeit und deren rauschhafte Reaktion versenkte, genoss er wie schon so oft diese faszinierende archaische Form der Erotik.
4 Donnerstag, 1. November, 7.55 Uhr
Kriminalhauptkommissar Arne Bock schlug fast übermütig die Autotür zu und betrat so gelöst wie lange nicht den modernen, quaderförmigen Bau der neu erbauten Polizeidienststelle an einer belebten Kreuzung in Wolgast. Er fühlte sich von elementarem Tatendrang getrieben.
Endlich eine Herausforderung!
In seinem Büro deponierte er nur die kleine Schultertasche und schlenderte sofort ins Chefzimmer des Dienststellenleiters zum morgendlichen Rapport. Wie erwartet erhielt er wenige Minuten später auch offiziell die Verantwortung für den Vorgang, wie es amtsdeutsch hieß, „Wasserleiche Peenestrom“. Es war nicht sein erster Fall als leitender Ermittler, aber der bisher schwerwiegendste. Unsicherheit ließ der schlanke dunkelhaarige Mann mit dem klitzekleinen Bauchansatz gegenüber Polizeidirektor Hartmut Westphal nicht erkennen.
Westphal hatte den Wechsel von der grünen zur blauen Uniform gleich zu einer Größenanpassung genutzt, was Arne Bock nur ein Schmunzeln entlockte. Nach seinem Verhalten als Chef der Dienststelle zu urteilen, strebte Westphal offenbar an, dass diese Position in Wolgast nicht die letzte seiner Laufbahn werden sollte. Arne Bock behielt seine Meinung dazu lieber für sich. Erst seit einem Jahr war der Dreiunddreißigjährige hier in der nordostdeutschen Provinz. Nach der Ausbildung hatte er sich zunächst dagegen gewehrt, in diese abgelegene Region versetzt zu werden, was vor allem an seiner Familiengeschichte lag. Als Kind war der kleine Arne aus seinem Wohnort Berlin regelmäßig zu Besuch auf Usedom. Arne gewann damals diese schöne Insel lieb. Und die schmucke Uniform seines Großvaters Reinhard Henkelmann, der ihm noch mehr zur vertrauten Bezugsperson wurde, nachdem sein Vater tödlich verunglückt war.
Später kam der jugendliche Arne allmählich in Konflikt mit dem früheren Idol. Was als normale Distanzierung eines Teenagers zur älteren Generation begann, verstärkte sich noch, als sein Großvater die neuen Bedingungen nach der politischen Wende völlig ablehnte. Arne suchte nach einer eigenen Meinung über die untergegangene DDR, erkannte neue Möglichkeiten und geriet so manches Mal in eine fruchtlose Diskussion mit dem Ex-Offizier.
Mit wachsender Reife setzte Arne auf die Vernunft beider Seiten. Erfolgreich, wie sich bald zeigte. Er stellte schließlich selbst den Versetzungsantrag nach Wolgast und begann sich seinem Großvater wieder zu nähern.
Vom Umzug an die Küste war seine Frau Kerstin zunächst begeistert. Schon bald hatte sie ihre Entscheidung aber bereut. Ihre bayrische Heimat rangierte hier an der Ostsee unter den beliebtesten deutschen Dialekten eher im hinteren Viertel, und ihre Schüler vor allem in den mittleren Klassen waren dieser Tatsache gegenüber mindestens ebenso rücksichtslos und ungebildet wie so mancher Erwachsene. Sogar als „Schwäbin“ wurde sie bereits denunziert. Und die immer noch enge Verbindung von Arnes Großvater zu seinem früheren Staat ging ihr bald nur noch auf die Nerven.
Ergebnis war schließlich eine sich verstärkende Distanzierung, verbunden mit einer immer mehr körperlosen Partnerschaft mit Arne, wozu auch die noch sehr betreuungsbedürftigen Kinder ihren Teil beitrugen.
„Ich setze großes Vertrauen in Sie, Bock“, hatte ihm Westphal Mut gemacht. „In der Vermisstensache Bornhöft kommen wir im Moment nicht weiter, sie steckt immer noch in der Sackgasse, ohne verwertbare Hinweise. Also volle Kraft auf diesen Fall. Zunächst haben Sie die Kollegin Mesing und den Kollegen Reuschel als Unterstützung, sie sind bereits informiert worden. Heute Abend erwarte ich Ihren ersten Bericht.“
Das spurlose Verschwinden eines früheren hohen Offiziers aus Karlshagen hatte einige Tage lang Wellen geschlagen, danach verloren sich die Reaktionen in Mutmaßungen und Gerüchten ohne Substanz. Arne vermutete jedoch etwas Großes hinter dieser Vermisstensache, ja er wünschte es sich sogar, natürlich nur aus beruflichem Ehrgeiz.
Zunächst befasste er sich mit den vorliegenden Informationen des Vorabends und ließ auch sein Gespräch mit Hans Waldeck nochmals Revue passieren. Als die Spurensicherer gegen 9 Uhr vom Fundort eintrafen, staunte deren Leiter Erwin Meister nicht schlecht, mit welcher Ungeduld er von Arne Bock noch auf dem Flur empfangen und zu den Ergebnissen ausgefragt wurde.
„Willst du einen neuen Ermittlungszeit-Ergebnisrekord aufstellen, lieber Arne?“ Arne Bock mochte den in sich ruhenden Erwin Meister, der oft mit klugen Hinweisen die Ermittlungen beförderte.
„Ich will dir nur den Weg in mein abgelegenes Eckbüro abnehmen und dir jetzt gleich die Zeit für einen entspannenden Morgenkaffee ohne Zeitdruck geben.“
Beide lächelten wortlos, gaben damit ihrem gegenseitigen Respekt Ausdruck. Arne nahm die Unterlagen entgegen und vertiefte sich in die mageren Ergebnisse. Danach bat er die beiden ihm zugeteilten Kollegen zu sich.
Schon nach kurzer Dienstzeit in Wolgast