Flut über Peenemünde. Rainer Holl

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Flut über Peenemünde - Rainer Holl

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Offizier als Vorsitzenden des Heimatvereins Peenemünde.

       Der Moderator löste die Situation auf, indem er die Anwesenden zum Büffet in den Nebenraum bat. Auf dem Wege dorthin trat ein elegant gekleideter etwa sechzigjähriger Mann zu Walter und sprach ihn direkt an. „Einen Moment bitte, Herr Walter.“ Er überreichte ihm seine Visitenkarte und blickte ihm in die Augen. Walter murmelte leise den Namen vor sich hin. „Erich Bernecker, Referent der Staatskanzlei…“, um dann mit fester Stimme zu fragen: „Was kann ich für Sie tun?“ Bei den letzten Worten blickte er sein Gegenüber neugierig an.

       Bernecker ignorierte die Frage. „Sie müssen unter allen Umständen dieses Gerücht über einen Deichabriss aus der Welt schaffen, ich werde darüber gleich nach dieser Veranstaltung noch mit Ihnen reden.“ Damit wandte sich Bernecker wieder ab, gerade rechtzeitig, um den Zwischenrufer Reinhard Henkelmann, der an Walter herantrat, nicht mithören zu lassen.

       Dieser sprach den neu gewählten Bürgermeister an: „Bitte entschuldigen Sie meine etwas forsche Art, aber was können Sie mir denn auf meine Frage antworten?“

       Walter hatte sich wieder völlig unter Kontrolle, schaute den Fragesteller mit entschlossener Miene an.

      „Sie können gänzlich unbesorgt sein, ich kenne keine solchen Pläne. Mich würde aber interessieren, woher diese Gerüchte kommen. Gerade in meiner Funktion habe ich ein großes Interesse daran, jegliche Unruhe zu vermeiden. Und ich hege übrigens große Wertschätzung für die Arbeit Ihres Vereins“, fügte er hinzu, ohne zu merken, dass es eine Floskel für solche Gelegenheiten war.

       Skeptisch blickte Henkelmann Joachim Walter ins Gesicht, konnte aber keinerlei Unsicherheit darin erkennen.

       Er hatte die Information aus ganz sicherer Quelle und wusste nun, dass sein Gegenüber entweder nichts davon wusste oder log. Beides sprach nicht für ihn.

      „Vielen Dank für diese Antwort, ich werde mich bemühen, Ihnen dazu die nötigen Informationen zu geben. Sie werden in jedem Fall noch von mir hören.“

       Mit diesen Worten drehte sich Henkelmann um und ließ den Bürgermeister stehen. Joachim Walter kannte frühere Pläne zum Deichrückbau. Nachdem jedoch 1999 die rasch gebildete Bürgerinitiative unter Vorsitz eben dieses Reinhard Henkelmann einen Sturm der Entrüstung dagegen entfaltete, wurde das Projekt in der Landeshauptstadt Schwerin sofort gestoppt.

       Walter sah in den Worten Henkelmanns eine Bestätigung für Gerüchte, von denen er gehört hatte. Er musste unbedingt die Aktionshoheit und die nötige Übersicht über diese Angelegenheit zurückgewinnen.

       Missmutig sah er Erich Bernecker auf sich zukommen. Sporadische Kontakte mit dieser Art von Beamten gab es je nach Bedarf, sie hatten bisher seiner Karriere nicht geschadet. Dennoch beugte sich Walter nur widerwillig solcher „indirekten Demokratie“, wie er es in höflicher Abwandlung für sich bezeichnete. Bernecker kam ohne Umschweife auf den Punkt.

      „Sie kennen die Erfahrungen mit dem ersten Versuch, dieses Projekt umzusetzen.“ Walter schwieg dazu mit eisiger Miene. Bernecker setzte fort. „Wir haben uns jetzt für einen anderen Weg entschieden. Details sind noch nicht festgelegt. Die Absichten haben aber offensichtlich schon den Weg nach außen gefunden, deshalb muss ich zu Ihnen jetzt ganz offen sein.“ Er ließ unausgesprochen, wer mit „wir“ gemeint war, Walter war sich jedoch darüber ziemlich sicher. „Mit dem Projekt sind wichtige Landesinteressen verbunden.“ Walter hörte immer noch schweigend zu, neugierig auf die Begründung. Der herablassende Tonfall in Berneckers Worten widerte ihn an. „Sie wissen, dass die Europäische Natur-Stiftung sich sehr für die Renaturierung von ehemaligen Moorgebieten einsetzt. Eine beträchtliche Summe an Fördermitteln kann im Zusammenhang damit ausgereicht werden.“

       Walter lächelte still in sich hinein, denn aus kurzzeitiger Tätigkeit in der Landesvertretung bei der EU in Brüssel kannte er Manuela Wellers, eine Mitarbeiterin dieser Stiftung. Und ihre Kontakte, an deren private Ausweitung er sich besonders gerne erinnerte, waren seitdem nie ganz abgerissen.

      „Auf diese finanziellen Mittel wollen und können wir nicht verzichten, zum Wohle der Region“, setzte Bernecker fort. „Ihnen sollte auch klar sein, in welchem Maße die gesamte Insel Usedom davon profitieren kann. Das ist übrigens nicht schlecht für Sie als Amtsträger. Voraussetzung ist allerdings, dass nichts davon vorher nach außen dringt. Sie müssen unbedingt alle Gerüchte abweisen und die Öffentlichkeit in Sicherheit wiegen.“

       Joachim Walter war entsetzt darüber, wie direkt sein Gegenüber ein Handeln forderte, das ganz offensichtlich weit abseits der Gesetze angesiedelt war.

      „Herr Walter, ich sehe in Ihrer Mimik einen Ansatz, der mir nicht gefällt.“

       Erschrocken unterbrach Walter seine Gedankengänge. Hatte er Bernecker unterschätzt? „Wir haben für Sie in unseren Plänen eine aktive Rolle vorgesehen.“ Bernecker blickte Walter durchdringend an, verzog keine Miene.

      „Details werden Sie rechtzeitig erfahren, wir wissen aber genau, dass Sie die Aufgabe, die wir für Sie vorgesehen haben, erfüllen können.“

       Er glaubte, immer noch Ablehnung in Walters Blick zu erkennen und fügte hinzu: „Und auch erfüllen werden.“

       Die unverhüllte Drohung, in entsprechend machtbewusstem Tonfall vorgetragen, ließ jede Sicherheit aus Walters Gedanken weichen, was auch seine Körpersprache nicht verbergen konnte. Den letzten Rest an Selbstsicherheit trieb ihm Bernecker aus, indem er ein Schriftstück hervorholte und es Walter so nahe vor die Nase hielt, dass dieser das Entscheidende erkennen konnte.

       Es war ein handgeschriebenes Blatt, mit seiner Unterschrift, datiert vom Juli 1987, überschrieben mit dem Wort „Verpflichtungserklärung“.

       Den Rest kannte er.

       Sie hatten ihn also in der Hand. Mühsam behielt Walter die Kontrolle über seine Bewegungen und seine Worte.

      „Ich sehe, Sie haben die Situation erfasst. Also kann ich etwas konkreter werden.“ Bernecker überreichte ihm so unauffällig wie möglich einen Chip, wie er auch für Digitalkameras verwendet wird.

      „Auf diesem Datenträger befindet sich ein Dokument. Zum Öffnen benötigen Sie ein Passwort, das Sie von uns unmittelbar vorher bekommen. So erfahren Sie genau, wie Sie vorzugehen haben.“

       Wortlos nahm Walter den Chip entgegen. „Vergessen Sie nicht die Unterstützung der Landesregierung bei Ihrer Wahl. Wir bauen auf Sie, setzen Sie einfach Ihre bisherige, sagen wir, Aufgeschlossenheit gegenüber den Wünschen der Politik fort. Das wird an oberer Stelle geschätzt und wird weiterhin nicht zu Ihrem Nachteil sein.“

       Dieser Hinweis auf seine bisherigen engen Kontakte zur Landespolitik steigerte Walters Wut, die aber sofort in einem Moor von Hilflosigkeit versank. Walter vermied es, Bernecker beim Abschied die Hand zu geben und erwiderte auch dessen Gruß nicht. Er verstaute die Speicherkarte in einem verschließbaren Fach seiner Brieftasche.

       Joachim Walter hatte verstanden. Dann aktivierte er den Mechanismus, den er meist in solchen Situationen in Anspruch nahm. Ein Rädchen darin hatte sich als besonders erfolgreich erwiesen. Sobald Bernecker außer Hörweite war, wählte Joachim die Nummer von Viola Kübeck. Sie betrieb ein Kosmetik- und Massagestudio

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