Zu dumm zum Beten. Heiko Rosner

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Zu dumm zum Beten - Heiko Rosner

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mit der Männerphantasie).

      Kajalauge merkte davon zum Glück nichts. Zumindest tat sie so. „Super“, sagte sie in Abweichung ihrer sonstigen Terminologie. Sie griff unter den Tisch, zog etwas Weißes, Rundes hervor und ratschte eine Klebefolie weg. „Dann schenke ich dir das. Damit man dich auch von vorne erkennt.“ Mit diesen Worten klatschte sie ihm den Aufkleber auf die Brust. „Miethaue raus aus Ottensen“, stand darauf. Ohne Forellenhai.

      Siebzehn war gerade im Begriff, die vermeintliche persönliche Adelung als Ausdruck einer außergewöhnlichen Wertschätzung zu inhalieren, als sich ein zitterrütteliger Renter mit Rollator neben ihn schob. Kajalauge sprang sofort auf ihn zu: „Hallo. Wohnst du hier in der Gegend?“

      So astrophysikalisch schnell konnte eine weibliche Aufmerksamkeitsspanne sich auf ein neues Ziel ausrichten. Nicht dass Siebzehn diese Erfahrung zum ersten Mal gemacht hätte. Es wunderte ihn nur immer wieder, dass Frauen offenbar über ein Gen pragmatischer Effizienz verfügten, wo Männer einen blinden Fleck hatten. Für das Manga-Mädchen war er Geschichte und eine Unterschrift auf einem Zettel. Die Männerphantasie ging nach Hause (leicht gekränkt). Den Aufkleber ließ er trotzdem dran, rein aus Trotz. Scheißmangas.

      Er trottete weiter und betrat das Mercado, das Ottenser Einkaufszentrum mit schicken Geschäften von Gucci und Flutschi und Elektronikgeräten von der letzten Weltraumaustellung. Als der riesige Geschäftsklotz 1992 eröffnet wurde, regte sich der Protest der Gutbürger, denn auf dem Baugelände befanden sich die Überreste eines jüdischen Friedhofs, der einst von den Nazis zerstört und zubetoniert wurde. Nach langen Verhandlungen brachten die Betreiber eine Gedenktafel im Untergeschoss an, was die moralischen Bedenken der konsumwilligen Ottenser schlagartig zerstäubte. Heute nahm keine Sau mehr Notiz von den historischen Totenplatten, an denen man vorbei musste, wenn man im Budni Badewannen-Ex oder Pfirsichshampoo erwerben wollte. Gelungene Integration, leicht gemacht.

      Im Mercado gab es nichts, was Siebzehns Kaufinteresse hätte wecken können. Überall dieselben Teenie-Läden und „Sale, sale“-Schickiboutiquen. Aber sie hatten eine sehr gute Pizza im Mercado. Grazzianos italienischer Imbiss befand sich inmitten der Obst-Gemüse-und-Blumen-Wandelhalle, die dem Einkaufszentrum seinen Namen gegeben hatte, eingeklemmt zwischen einem unverschämt teuren Weinhöker und einem Sushi-Stand für den gehobenen Rollmops-Ästheten. Die Pizza von Big G war weit und breit die Beste, ohne viel Schnickschnack, dünn, saftig, gut gewürzt, was wollte man mehr. Siebzehn war gern zu Gast am Pizzaofen, vor allem wenn Grazzianos bildhübsche Tochter Leitita bediente. Ein Traum von einer Frau. Langbeinig, schwarzhaarig, immer tief dekolletiert (darauf legte der Vater Wert). Nicht dass Siebzehn bei Leitita andocken wollte. Nein, er kam nur zum Gucken. In seinem Alter machte man sich wegen Frauen nicht mehr zum Vollhirsch. Außerdem hatte sie eine hohe, krähende Stimme und redete viel zu schnell - Italiener halt. Trotzdem war sie genau das, was Siebzehn in seinen Macho-Zeiten eine Pflaume zum Mitnehmen genannt hätte. Letitia selbst sendete übrigens durchweg empfangsbereite Signale, was die Sache für Siebzehn nicht leichter machte. Aber, Himmel, sie war die Tochter des Chefs, und er legte es nicht darauf an, eines Morgens mit einem abgeschnittenen Pferdekopf im Bett aufzuwachen. Dann lieber nur Gucken.

      Zügigen Schrittes passierte er der Douglas-Parfümerieabteilung, deren Gestank bei ungünstiger Belüftung bis zur Gedenktafel für die jüdischen Gasopfer wehte. Vorbei an H&M nahm er die Abkürzung links am gläsernen Fahrstuhl, wo er unversehens mit einem bösartigen Hindernis konfrontiert wurde: Ein Geschwader von Kinderwagenmüttern.

      Eine gemeingefährliche Brut. Wenn sie im Rudel auftraten, waren sie aggressiv und unberechenbar wie extremistische HSV-Fans Samstagnachmittags um viertel nach fünf. Siebzehn zählte mindestens zehn, wenn nicht zwölf Kampfmütter. Alle mit beleidigt verschraubten Gesichtern, als wäre es ihr gutes Recht, an den engsten Stellen eines Kaufhauses die Durchgänge zu blockieren, um Aufmerksamkeit für ihr kreischendes Gebälgertum zu erzwingen. Verweigerte man ihnen diese, fühlten sie sich von der nichtgebärenden Mehrheit böswillig diskriminiert und biologisch auf ihr Frausein reduziert. Dann drehten sie errst recht durch und belagerten mit ihrem Geschiebsel auch die letzten Fluchtwege. An ihren Knotenpunkten diskutierten sie gern ebensolche in der Brust, aber auch die splatterigsten Einzelheiten des Geburtsvorgangs, die zeitsparenden Vorteile eines Kaiserschnitts („Einmal ratsch, alles raus und zu.“) oder die Wunder des Langzeitstillens („Meiner ist fünf und nimmt nur die linke“). Wer als unbeteiligter Mann in so einen Mutter-Mob reingeriet, war ganz schön verratzt. Es half auch nichts, so zu tun, als würde man die Scheißbabys niedlich finden. Das machte die Mütter erst recht misstrauisch, denn die meisten waren alleinerziehend und extrem empfindlich für die ersten Anzeichen sexuellen Missbrauchs. Dann setzten sie schnell diesen schwer beleidigten Alimente-Blick auf. Da half nur nur die Flucht. Nur wohin? Einige Lokale in Ottensen waren mittlerweile treppengeschützt, aber selbst das bot keinen ausreichenden Schutz vor dem Einfall der Kiwamüs. Sie wuchteten ihr vierrädriges Geschreisel einfach kollektiv die Stufen hoch und machten sich demonstrativ vor den Singletischen breit. Die schnell frei wurden, weil niemand das Gekreische und Hapa-Happa-Gejuckele ertrug. Ein Elend. Überall sonst starben die Deutschen aus. Nur nicht in Ottensen.

      Siebzehn wollte keinen Ärger riskieren. Er reduzierte sein Tempo trotzdem nicht, denn er erspähte eine Lücke. Die Frauen hatten eine Wagenburg gebildet, einen undurchdringlichen Kordon ineinander verkanteter Babykübel. Annähernd perfekt. Nur an einer Stelle klaffte ein Loch, bedingt durch die Nachlässigkeit einer Mutterwachtel von der Statur einer Gewichtheberin, die in ein Gespräch mit einer fernsehzeitungsbunten Paris Hilton vertieft war. Siebzehn legte einen Zahn zu und schoss wie ein Rennfahrer auf die Lücke zu.

      Noch drei Meter. Noch zwei Meter. Paris Hilton sah auf und sagte etwas. Die Gewichtheberin schob ihren Wagen vor. Der Aufprall war unvermeidlich.

      Siebzehn drehte in letzter Sekunde ab, um nicht den Kinderwagen zu rammen, dafür knallte er frontal in die schwarzhaarige Dicke, die nur kurzfristig wankte, aber dennoch schnell genug reagierte, um im Augenblick der Kollision von ihrem Obelix-Bauch Gebrauch zu machen, der den fast halb so schweren Siebzehn wie ein Fliegengewicht in die Gegenlaufrichtung katapultierte.

      Chaos, Tumult, umfallende Kinderwagen, dazu setzte ein Geschrei wie tausend Frühgeburten ein und irgendwo flog ein Baby durch die Luft.

      Mist, das hatte ihm gerade noch gefehlt.

      Siebzehn war im Grunde ein friedfertiger Mensch. Als liberaler Rechthaber ging er Streitereien grundsätzlich aus dem Weg. Ob Neonazis, Krötenschützer oder Kämpfer für ein befreites Tibet, einen Knall hatten sie alle, sonst würden sie ihre Freizeit sinnvoller verbringen. Ganz anders die Kinderwagenmütter. Frauen waren zu viel „Lindenstraße“. Zu Gabi-Zencker-mäßig. Die nahmen alles persönlich. Hinzu kam, dass gewordene Mütter sich ihrer sexuellen Attraktivität beraubt fühlten, was sie in einen Zustand permanenter Gereiztheit versetzte. Das griechische Wort „hysteria“ bedeutete nicht umonst „Gebärmutter“. Freud hatte das rechtzeitig erkannt, aber nichts dagegen unternommen und den Männern dummes Zeugs eingeredet. Als ob man beim Anblick von diesen Gabi Zenckers Lust auf einen Ödipus-Komplex kriegen würde.

      „Du Arschloch, kannst du nicht aufpassen?“, kreischte die Obelixfrau, wohl die Anführerin des Haufens. „Wir sind MÜTTER und KIIIIINDER!“

      „Schwein“, zischelte eine andere.

      „Also so was.“

      „Hat der keine Augen im Kopf?“

      „Was für ein Drecksgammeler, wie der schon aussieht.“

      Es prasselten noch andere Höflichkeiten auf Siebzehn herab, die er geduldig über sich ergehen ließ, während ihm der Chor der traumatisierten Krähzwerge wie abgebrochene Kreide in den Ohren schrillte. Luistrenker wäre wahnsinnig geworden. Die Stimmung kippte derweil ins Inquisitorische.

      „Männersau.“

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