Einer von Zweien. E. K. Busch
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Читать онлайн книгу Einer von Zweien - E. K. Busch страница 11
Ich flüsterte heiser, das Blut abschluckend: „Falls ich dich gekränkt habe, möchte ich mich dafür entschuldigen.“
„Du bist doch total irre!“
Er wandte seinen Blick angewidert von mir, ließ mich einfach im nassen Laub liegen und kehrte dann stapfend zum Baumhaus zurück. Dabei rempelte er noch meinen Bruder an, der starr dastand und die ganze Vorstellung wohl völlig regungslos beobachtet hatte.
Karl und Robbi hatten dem Geschehen vom Baumhaus aus zugesehen. Ich richtete mich auf und endlich half mir Fred. Noch immer war er völlig verdutzt.
Auf dem Weg nach Hause bemerkte er dann: „Er hat dich ganz schön erwischt. Was für ein Idiot! Ich hätte etwas tun müssen, dir helfen müssen! Und was mache ich? Stehe nur dumm herum wie ein vollkommener Trottel. - Tut mir leid.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, und ich schniefte und versuchte mir mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht zu wischen, verteilte es jedoch nur großflächig.
„Es war meine eigne Schuld“, setzte ich hinzu: „Ich hätte ihn nicht reizen sollen.“
„Na, ich hätte ihn wenigstens für dich verhauen können!“
Ich sah Fred ermahnend an.
„Na, wenn du dir die Finger nicht schmutzig machen willst... Ich hab‘ damit kein Problem.“
Er lachte laut auf. Doch wir beide wussten, dass er sich nur ungern prügelte. Wir beide waren viel zu schmächtig für unser Alter.
Vermutlich hätte ich Thomas von diesem Tag an verabscheuen müssen. Ehrlich gesagt hegte ich aber immer große Bewunderung für diesen Kerl, der sich weder um Regeln noch Gebote scherte. Seine Ursprünglichkeit gefiel mir. Sie hatte etwas Reines.
Ein wenig erinnerte Thomas mich an die Halbgötter der Griechen, an den jungen Herakles ganz besonders. War dieser denn in seiner Jugend nicht ebenfalls stark, wild und ungezügelt gewesen? Und doch würde er triumphieren. Immer wieder. Über menschenfressende Tiere, blutrünstige Frauen, Riesen und sogar über den Kerberos, den dämonischen Hund, der die Unterwelt bewachte.
Mir hatte es viel Freude bereitet, die Heldentaten des größten unter den Heroen zu lesen. Unglücklicherweise hatte Doktor Eichinger nicht allzu viel Zeit für eine Besprechung aufgewandt.
Vielleicht inspiriert durch dieses doch folgenreiche Ereignis, immerhin ließ sich meine gebrochene Nase nicht mehr in den ursprünglichen Zustand zurückversetzen und war von diesem Tag an nicht nur krumm sondern auch bucklig, nahm ich mir zum Ziel, groß und stark zu werden. Meinen Körper hatte ich bisher vernachlässigt, streng hatte ich mich auf die Ertüchtigung meines Geist konzentriert. Und da man das Groß-Werden nicht erzwingen konnte, nahm ich mir erst einmal das Stark-Werden zum Ziel. Natürlich wollte ich kein Ringer werden oder gar ein Boxer. Einer friedlicheren Disziplin würde ich mich zuwenden und so trat ich schließlich der Leichtathletik-Gruppe im Ort bei.
Selbst bei sengender Hitze konnte man nun diesem schmächtigen Jungen dabei zusehen, wie er sich schwitzend und taumelnd über den Platz quälte. - Ich war ein ganz passabler Läufer. Immerhin der zweitschnellste. Dabei war ich der kleinste im Verein, hatte die kürzesten Beine. Aber auch hier war ich fleißig, sehr fleißig. Schon bald überließ Herr Frank mir den Schlüssel.
„Du bist ein guter Junge, Konrad. Ich vertraue dir vollkommen!“
Aber ich war nie der schnellste. Zu kränklich, zu körperfremd.
„Konrad“, pflegte Herr Frank zu sagen: „Konrad, es zählt nur die Freude. Und du hast doch Freude am Laufen, oder?“
Er erwartete keine Antwort, sondern fuhr mir auf die Schulter klopfend fort: „Sieh dir den Heinz an. Der läuft wie ein Gott. Aber hat er Freude dabei? Und darum geht es doch. Um die Freude! Und du bist doch ein sehr kluger junger Mann, wirst einmal Arzt werden oder Anwalt. Da reicht es doch, wenn du fit und gesund bist und wenn du Freude hast. Ja, Freude am Sport!“
Ich hatte keine Freude am Sport. Hatte ich nie. Von Natur aus schon nicht geeignet für körperliche Betätigung. Meine Bewegungen unbeholfen oder, wie Herr Frank quer über den Platz zu schreien pflegte: „Wenk, Konrad Wenk! Du läufst schon wieder, als gehörten deine Beine deiner Großmutter! So steif können deine Gelenke doch noch gar nicht sein!“
Jeden Abend rannte ich meine Runden. Fieberhaft, bis zur völligen Erschöpfung. Kriechend kam ich in meinem Zimmer an, meist später als Fred, der die Abende zunehmend bei Freunden verbrachte.
„Mann, Konrad! Was soll’n das? Du übertreibst es völlig mit dem Sport.“
Er betrachtete mich kopfschüttelnd. Seine Haarfransen wackelten hin und her.
Er hatte kurz nach unserem fünfzehnten Geburtstag angefangen, sich eine ungepflegte Mähne wachsen zu lassen. Jetzt war sein Haar fast schulterlang. Grauenhaft sah er aus. Aber immerhin war dieser ungepflegte Kerl, der hin und wieder nach kaltem Rauch stank, nicht mit meiner sittsamen Erscheinung zu verwechseln.
*
Als mein Bruder Marion mit in den Laden brachte, da war er achtzehn, wusste ich augenblicklich, was er für sie empfand. Ich sah es in seinen Augen, konnte die Wärme spüren, die er in ihrer Nähe empfand. Er liebte dieses Mädchen. Nicht so, wie ich ein Mädchen geliebt hätte, wie ich in all den Büchern darüber gelesen hatte: leidenschaftlich und aus einem Gefühl der Wahrhaftigkeit heraus, sondern auf seine etwas unreife Art liebte er sie. Und war es zu Beginn noch eine harmlose Liebelei, so verwandelte sich seine naive Zuneigung schließlich in eine völlige Hingabe, ja sogar Selbstaufgabe. Noch jedoch verband die beiden nicht mehr als ein Kuss, der sich einige Tage zuvor ereignet hatte. Auf einer Faschingsparty und beide waren wohl ziemlich betrunken gewesen.
Wie dem auch sei: Selbstverständlich freute ich mich aus tiefstem Herzen für meinen Bruder.
Marion war nicht unbedingt eine klassische Schönheit, aber mit Sicherheit eines der hübschesten Mädchen, das ich bis dahin gesehen hatte. Groß und schlank, blaue Augen, langes rotes Haar. Meist zu einem dicken Pferdeschwanz gebunden, der mit jedem ihrer Schritte hin und her schwang. Sie hatte einige Sommersprossen auf der zierlichen Nase und die großen Augen, die etwas zu rund waren, leuchteten unter dichten Wimpern und wohlgeschwungenen Brauen. Manchmal schielte Marion ein wenig, besonders, wenn sie müde war, und auf der Stirn besaß sie eine kleine Pockennarbe. Sie hatte auch eine winzige Zahnlücke. - Ihr Lippenbändchen war wohl schuld daran. - Man sah den Spalt nur, wenn sie lachte, was in Freds Gegenwart jedoch häufig geschah. Dieses Lachen war dann laut und hatte etwas sonderbar Männliches an sich. Hin und wieder jedoch kicherte Marion auch wie ein kleines Mädchen.
Es war äußerst verwirrend.
Marion war nicht dumm, ganz und gar nicht dumm, und widersprach so gut wie immer, manchmal aus purem Trotz heraus. Dennoch war sie eine gute Schülerin und ganz die Freude ihres Vaters. - Sie unterschied sich mit alledem auf jeden Fall deutlich von Freds bisherigen Freundinnen. Auch war Marion nicht jünger als er, besuchte eine Parallelklasse auf unserem Gymnasium. Ich kannte sie nur vom Sehen, als Fred uns vorstellte. Ich hatte mit den Mitschülern nicht viel am Hut. Oder sie nicht mit mir.
Natürlich wusste Marion, dass Fred einen Zwillingsbruder hatte. Schließlich wussten alle im Umkreis von mehreren Kilometern Bescheid. Dennoch fand sie es erschreckend, wie ähnlich wir uns auch aus nächster Nähe noch sahen. Sie musterte mich sehr lange, wie ich da hinter der Theke stand, ließ