Einer von Zweien. E. K. Busch
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Zwar war ihr Haus auf das Penibelste geputzt und jedes Etwas schien einen eignen Platz zu besitzen, alles äußerst adrett und gepflegt, doch das Wohnzimmer befand sich dauerhaft im Ausnahmezustand. Um zum Klavier zu gelangen, musste man erst einmal über einige Kartons steigen, deren Deckel nur schräg auf den Kisten lagen, weil diese so voll mit Kram waren. Es folgten ein kaputter Plattenspieler, abgehängte Bilderrahmen mit alten Fotos hinter den staubigen Scheiben, einige vertrocknete Topfpflanzen, Aktenordner und schließlich ein Durcheinander an Papieren und Dokumenten, das sich über den Teppich ergoss. Nur wenn Frau Reger mich unterrichte, waren die Gardinen aufgezogen. Die Frau verbot mir, die schweren Vorhänge eigenmächtig zur Seite zu ziehen. So spielte ich Mittwoch bis Montag selbst bei helllichtem Tage im Licht einer staubigen Lampe. Auf der Fensterbank hatten zu Beginn meines Unterrichts genau drei tote Fliegen gelegen. Ich hatte damals Mühe gehabt, meinen Ekel zu verbergen. - Sauber war es bei uns daheim immer gewesen. Bei meinem letzten Besuch im Haus der alten Dame, mehr als zehn Jahre später muss das gewesen sein, hatte ich an die zwanzig Fliegen gezählt. Ich hatte mich bis zuletzt nicht an ihren Anblick gewöhnen können.
War Frau Reger einmal nicht daheim, versteckte sie einen Schlüssel für mich im Schuppen unter einer chinesisch anmutenden Porzellanvase. Unzählige Spinnen lauerten in diesem Bretterverschlag.
Nach einigen Jahren fleißigen Übens durfte ich jeden Sonntag die Kirchenorgel spielen. Das erste Mal wohl mit etwa dreizehn Jahren. Papa war sehr stolz, Mutter verbiss sich jegliche Worte des Lobes. Und tatsächlich war auch ich nie mit meinem niemals fehlerfreien Spiel zufrieden, das im großen Kirchenschiff besonders schauerlich erklang. Vor Frau Regers Kritik immerhin brauchte ich mich nicht zu fürchten, da sie zwar selbst einmal die Orgel gespielt hatte, sie jedoch nicht länger die Predigt besuchte. Mit dem Pfarrer hatte sie sich schon vor langer Zeit zerstritten. Gerüchten zufolge hatte er ihren Ehemann nicht auf dem Friedhof beerdigen wollen, nachdem sich dieser wohl eines schönen Tages im Schuppen erhängt hatte. Tatsache war zumindest, dass Herr Reger im Nachbarort beerdigt worden war und Frau Reger die Kirche mied wie Fred die Besenkammer.
An das Anrücken des Notarztes und der Polizei in jener Februarnacht vor fast zwanzig Jahren waren beinahe so viele Gerüchte im Umlauf, wie über jenen Tag, als Vater den toten Poko durchs gesamte Dorf geschleift hatte. Damals war er vielleicht sechs Jahre alt gewesen. Ein schmächtiger Junge.
Wie Poko den Tod gefunden hatte, der große schwarze Wachhund, der auf dem Hof ziemlich gefürchtet gewesen war, sollte für immer ein Rätsel bleiben. Fest stand lediglich, dass der kleine Jupp den toten Hund zum Friedhof gezogen hatte, ohne eine Miene zu verziehen. Den ganzen Hügel hinauf bei brütender Mittagshitze. Es wäre im Übrigen geschickt gewesen, Mutter hätte uns von Vaters großem Auftritt berichtet, bevor Tizian Effner uns als Söhne eines irren Bastards und Hundemörder bezeichnet hatte. Dass wir die dämlichen Söhne eines Idioten seien, waren wir zu hören gewöhnt, aber dass Vater nun auch noch verrückt und blutrünstig war, das war doch neu für uns. Und Schwachsinn ließ sich auch viel schlechter widerlegen als Dummheit.
Aber wollte ich nicht von Hannelore Reger erzählen? Meiner Klavierlehrerin?
Nun im Vergleich zu Doktor Eichinger war sie eine durchaus verträgliche Person. Sie war eine etwas dickliche, ziemlich große Frau – wobei ihre üppig gedrehten Locken sie noch größer erscheinen ließen - mit langen Fingernägeln, die jeden Ton, den sie auf dem Klavier spielte, mit einem Klicken untermalten. War es mal wieder soweit, so legte sie ihre qualmende Zigarette für einen Moment auf den Porzellanteller neben dem Notenständer und erklärte: „Konrad, höre jetzt Mal genau zu. Du musst hier staccato spielen und nicht alles legato. Wie klingt das denn sonst? Als ob einer besoffen wäre!“
Dann ließ sie ihre faltigen Hände über die Tasten fliegen und ich konnte ihrem Spiel nur staunend folgen. Trotzdem war dieses Klicken entsetzlich.
Ich verbrachte aber nicht all meine Freizeit im Laden, bei Doktor Eichinger, Frau Reger oder beim Beten. Manchmal nahm mich Fred auch mit in sein Baumhaus oder zum Fußball spielen. Allerdings, und das dürfte wohl keine große Überraschung sein, stand ich dort immer außen vor. Zum einen schloss ich mich selbst aus, denn weder mochte ich mich über andre lustig machen, noch beteiligte ich mich an jedweden Streichen, zum andren aber konnten mich Freds Freunde schlicht nicht leiden.
Zwar gab es einige wenige Beschäftigungen, denen ich mich nicht verwehren musste: Das Baumhaus umbauen oder ausbauen, draußen mit den Fahrrädern umherfahren, den Schiedsrichter geben für jegliche Spiele, aber mir war stets bewusst, dass ich nur meinem Bruder zuliebe geduldet wurde. Auf ihn wollte man nicht verzichten, auch wenn ich nie verstand, warum eigentlich. Fred hatte weder die ausgefallensten Einfälle, noch war er besonders sportlich oder tatkräftig. Trotzdem war er sehr beliebt. Nicht nur bei den Kindern im Dorf, auch die Erwachsenen schätzten ihn. Mein Bruder war sehr ungezwungen, spontan, offen, redselig. Selbst seine Ungeschicklichkeit schien niemanden zu stören, machte ihn nur liebenswerter. Stolperte er mal wieder über eine Türschwelle, lachte er so herzlich, dass man nicht anders konnte, als ihn anzulächeln. Auch fanden die Leute seine Bemerkungen erheiternd. Er war witzig. Ganz offensichtlich besaß er Geist, mein Bruder. Selbst die Lehrer konnten sich, hatte er mal wieder einen seiner klugen aber doch so geerdeten Bemerkungen gemacht, ein Lächeln nicht verkneifen. Er hatte einen ursprünglichen, naiven Charme, der so gar nicht aufdringlich war. Wie neidisch ich auf ihn war! Mein Hang zur Perfektion hatte mich jedweder Ungezwungenheit beraubt. Ich mochte Fred zwar in allem übertrumpfen, aber sobald er den Raum betrat, interessierte sich niemand mehr für meine Glanzleistungen. Dabei war er ebenso hässlich wie ich. Ich fühlte mich immer schrecklich unwohl in seiner Gegenwart. Ein latentes Minderwertigkeitsgefühl und doch verachtete ich ihn zutiefst, verachtete ich ihn für seine Faulheit, Bequemlichkeit, Unwissenheit. Und im Grunde auch dafür, dass er mich abgöttisch liebte. Es erstaunt daher wohl nicht, dass ich ihn nur ungern begleitete. Zumal seine Freunde mich wie gesagt nicht ausstehen konnten, besonders Thomas. Einmal bekam ich dessen Hass sogar am eigenen Leib zu spüren. Da war ich vierzehn. Es war das letzte Mal, dass ich Fred begleitete.
Thomas, Karl und Robbi saßen bereits im Baumhaus als Fred und ich eintrafen. Es war Dienstag und eigentlich hätte ich Klavierunterricht gehabt, doch Frau Reger war krank und so hatte ich mich schließlich von Fred überreden lassen, ihn zu begleiten. Ohnehin gehörte es sich für einen anständigen Jungen, auch etwas Zeit unter Gleichaltrigen zu verbringen! Und Fred? Aus irgendeinem Grund schätzte mein Bruder tatsächlich meine Gesellschaft.
Als ich hinter ihm die wild baumelnde Strickleiter hinaufkletterte, da wuchs in mir bereits der Unmut. Aber ich würde mich zusammennehmen! Wieso hätte ich meine Freunde denn nicht gerne treffen sollen? Doch tatsächlich waren dies nicht meine Freunde und die schmutzige Strickleiter allein war mir bereits zuwider. Und auch wenn ich mir meine Abneigung nicht eingestehen wollte, so wuchs mit jeder weiteren Sprosse der widerliche Klos in meinem Bauch. Ich griff mit schlammbeschmierten Fingern nach den Holzbrettern, aus denen der Boden zusammengeflickt war und zog mich nach oben. Es war augenscheinlich, dass ich nicht willkommen war. Ich blickte in ablehnende Gesichter. Doch Fred streckte mir seine Hand entgegen und zog mich grinsend nach oben. Er schien völlig blind für den Missmut seiner Freunde. Ich setzte mich auf den letzten verbliebenen Platz auf dem Boden: zwischen Fred und die Luke.
„Ihr seid zu spät“, erklärte Karl, der immerhin ein falsches Lächeln zustande brachte, und klopfte auf seine Armbanduhr. Diese Geste hatte er sich bei seinem Vater abgeschaut. Der stand auch immer vor dem Laden und klopfte auf die Anzeige, während seine Frau sich mit Vater unterhielt.
„Tut