Einer von Zweien. E. K. Busch

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Einer von Zweien - E. K. Busch

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Gespräche mit Doktor Eichinger ließ sich Stunden grübeln oder über die Texte, die ich kürzlich gelesen hatte. Blickte man aus dem Fenster konnte man zudem das große Haus auf dem Hügel sehen. Wahrscheinlich hätte man diesem Haus einen schwülstigen Namen geben müssen: Geistervilla zum Beispiel. Aber für uns Kinder war es schon immer das große Haus auf dem Hügel gewesen.

      Solange ich denken konnte, hatte das Gebäude leer gestanden. Dabei war es wohl einst das herrschaftlichste Bauwerk im Ort gewesen. Mittlerweile aber war es ziemlich heruntergekommen. Einige Dachziegel hatten sich gelöst und entblößten ein morsches hölzernes Gerippe, die Fensterscheiben waren größtenteils zerbrochen und in den Dachrinnen spross das Unkraut. Da oben auf dem Hügel, etwas abseits vom Dorf, verfaulte das Gebäude langsam aber doch irgendwie ehrerbietend. Eine etwa fünfzig Meter lange Zufahrt rückte es in die gebührende Entfernung zu den schäbigen Häusern, die das Dorfbild prägten.

      Das große Haus auf dem Hügel, das wohl Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet worden war - angeblich von einem reichen Fabrikanten aus der Stadt, der sich eine Art Landgut in mitten der Wälder hatte errichten wollen -, verlieh dem ganzen Dorf einen morbiden Anstrich. Düster und herrisch thronte es über den kleinen und schiefen Fachwerkhäusern. Uns Kindern freilich diente es hervorragend zum Versteckspiel; das rostige Schloss am Dienstboteneingang war längst einem Stein erlegen.

      Wenn ich nun im Klassenzimmer meine Zeit absaß und das große Haus auf dem Hügel betrachtete, dann träumte ich nicht davon, später einmal in ihm zu leben – wie es Fred manchmal tat - und ich stellte mir auch nicht vor, wie die Bewohner dort einst ihre Tage zugebracht hatten.

      In der ersten Klasse, da zählte ich: Türen, Fenster, Dachziegel, Holzlatten, Gitterstäbe. Bis ich selbst die Anzahl der Zaunpfosten auswendig kannte: 43. Dann - in der zweiten Klasse – multiplizierte ich die Zahlen miteinander, teilte sie durcheinander. Mutter hatte mir dies beigebracht, damit ich sie im Laden recht gut vertreten konnte, war sie gerade am Bügel oder Nähen im oberen Stock. - Vater war nicht gut im Rechnen, weshalb sie ihn nur ungern an die Kasse ließ.

      Ich war nicht gut im Kopfrechnen, hätte gerne Stift und Papier genutzt. Aber ich wollte keine der albernen Klassenregeln verletzen, die auf dem großem gelben Plakat aufgelistet waren. Drohend und mahnend starrte es mir entgegen. Mit vielen Klebestreifen hatte Frau Tann das Papier an der Wand befestigt und trotzdem löste sich dessen obere linke Ecke fortwährend vom Putz. Sehr zur Erheiterung der Schüler wohlgemerkt. Ich rang mir zumindest ein Lächeln ab, vergrub das Plakat Gunni zum wiederholten Male unter sich. Der Rest der Klasse johlte.

      In der vierten Klasse machte ich mich daran, die Geometrie zu erkunden. Ich kannte die platonischen Körper und wusste, welches der vier Elemente dem Ikosaeder und welches dem Hexaeder zugeordnet war und dass der Dodekaeder für den Äther stand. Auch wenn mir die Logik der alten Griechen nicht recht einleuchten wollte und ich nicht wusste, wie die chemischen Elemente aus dem Periodensystem ins Bild passen wollten.

      Jedenfalls kannte ich schon lange den Unterschied zwischen Raute, Parallelogramm und Trapez. Wenn Frau Tann von Vierecken sprach und damit Quadrate meinte, dann deprimierte mich das. Ich wartete auf etwas, das einfach nicht eintreffen wollte: Dass Frau Tann oder ein anderer Lehrer mich beiseite nahm und erklärte: „Für dich ist es jetzt genug hier – du bist zu gut für die anderen.“

      Wie gesagt blieb eine solche Bemerkung jedoch aus und so saß ich, wenn ich meine Aufgaben erledigt hatte, weiterhin still auf meinem Stuhl und dachte nach. Auch wenn ich die Mathematik am liebsten hatte, so ließen sich bei Betrachtung des großen Hauses auf dem Hügel noch gänzlich andere Überlegungen anstellen. Es gab zum Beispiel drei Fenster im dritten Stock. Drei. Drei griechische Götterbrüder: Zeus, Poseidon, Hades, die sich die Welt hatten teilen müssen. Auch wenn Hades den kürzeren gezogen hatte und Poseidon, obwohl er als erster hatte wählen dürfen, doch nicht Göttervater war. Drei nordische Nornen gab es dann, die das Schicksal regierten: Urd, Verdandi, Skuld. Die eine für das Gewordene, die andre für das Werdende und die dritte schließlich für das Werdensollende. Und natürlich die drei Formen meines Gottes: Die Dreifaltigkeit. Der Vater, der Sohn, der heilige Geist. Auch wenn ich nie recht verstehen konnte, was es damit eigentlich auf sich hatte.

      Ich hatte schon recht bald verstanden, dass in der Schule eigenes Denken unerwünscht war. Es handelte sich um einen Ort der Wiedergabe. Ob es sich dabei nun um das Wissen handelte, was im Schulbuch zu finden war, oder das Wissen, das der Lehrer verkündete: Mein Verstand war nicht beteiligt. Die Erkenntnis, dass eigenes Denken fehl am Platze war, kam mir bereits in der ersten Klasse. Da zeigte sich Frau Tann als völlig uneinsichtig. Als ich ihr klarzumachen versuchte, dass der 17. Buchstabe des Alphabets, das Q, doch auch anders geschrieben werden könnte, da diese Schreibweise einfacher, ebenso lesbar und überhaupt praktischer wäre, nahm sie meinen Kommentar nicht einmal ernst und lächelte lediglich müde. So setzte es sich in einem fort. Man beharrte stur auf Regeln, so sinnlos und unergiebig sie auch sein mochten. Mathematikaufgaben durften nur auf dem vorgeschriebenen Weg gelöst, Ereignisse nur bewertet und Texte nur interpretiert werden, wie der Lehrer es verlangte und zu begreifen vermochte.

      Es stand für mich bald eindeutig fest: Hier waren eigene Ideen nicht erwünscht und der begrenzte Horizont der Lehrer müsste fürs nächste auch der meine werden. Meine Aufgabe als guter Schüler bestand demnach darin, die Gedanken und Ideen der Männer und Frauen dort vorne zu erahnen. Und bald schon erwies ich mich als wahrer Meister in dieser Disziplin.

      *

      Fred hatte die Gymnasialempfehlung trotz seiner offensichtlichen Mittelmäßigkeit wohl erhalten, da man annahm, er wäre als mein Zwillingsbruder zu ebensolchen intellektuellen Leistungen fähig wie meine werte Wenigkeit. Das war er aber nicht! Nicht, dass er dümmer gewesen wäre! Ehrlich gesagt hatte ich sogar häufig den Eindruck, er war um einiges klüger. Aber er war faul. Und eine Erkenntnis fußte nun mal auf der anderen. Wissen um Fakten und Zusammenhänge musste man sich hart erarbeiten, da halfen auch alle Geistesblitze und originellen Einfälle nichts.

      Aber konnte man dem Jungen verübeln, dass er lieber mit seinen Freunden hatte Fußball spielen oder schwimmen gehen wollen, er lieber Baustein-Städte errichtet oder in seinem Baumhaus gesessen und gefaulenzt hatte?

      Tatsache war auf jeden Fall: Ich hatte nach wenigen Jahren schon so viel Vorsprung im Denken, dass Fred mich nie mehr hätte aufholen können, selbst wenn er sich tüchtig ins Zeug gelegt hätte. Doch selbst damals schon dachte ich hin und wieder, dass ihm seine Faulheit nur zugute kam. Denn Fred, der jeden Morgen Mühe mit dem Aufstehen hatte, stets verkündete, er bliebe lieber Zuhause und die Schule sei blöde, fühlte sich dort tatsächlich weit wohler, als ich es jemals tat. Er war unter den Klassenkameraden sehr beliebt und sogar die Lehrer hatten ihn gern. Ich dagegen hatte stets das Gefühl, dass mich weder Lehrer noch Schüler leiden konnten. Natürlich schätzte man meine Freundlichkeit, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft, meine Kameradschaftlichkeit, denn eine Petze war ich nie. Aber niemand konnte mein fortwährend beispielhaftes Verhalten ertragen. So war ich meist allein.

      Doch um ehrlich zu sein: Ich hätte ohnehin keine Zeit gehabt, mich mit Freunden zu treffen. Schließlich wollte ich meine Hausaufgaben gründlich und ordentlich erledigen, hatte ich mich vorzubereiten auf meine Gespräche - Auseinandersetzungen - mit Doktor Eichinger und im Laden zu helfen. Denn Vater konnte, wenn ich im Laden die Stellung hielt, im Hof sitzen und schnitzen, Mutter hatte dann Zeit zur Haus- und Handarbeit. Seit ein Supermarkt im Nachbarort eröffnet worden war, warf der Laden nicht mehr sonderlich viel ab. Ich versuchte meinen Teil beizutragen, in dem ich meinen Eltern zur Hand ging, wo ich nur konnte. Meist erledigte ich meine Hausaufgaben hinter der Ladentheke. Und Samstagmorgen war ich es, der pünktlich um 7:00 Uhr öffnete, damit der Rest der Familie ausschlafen konnte. Noch vor der Schule verkaufte ich die ersten Zeitungen.

      Ich pflegte innige Beziehungen zu vielen Rentnern im Dorf, denen ich auch die Einkaufstaschen nach Hause trug. Hier und da gab es ein

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