Nr. 983. Yvonne Bauer

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Nr. 983 - Yvonne Bauer

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sodass er neben ihrem Kopf genügend Platz fand, um sich zu setzen.

       Für einen Augenblick überlegte er, wo er anfangen sollte, damit sie auch verstand, was in ihm vorging, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass wohl niemand sich in ihn hineinversetzen konnte, selbst Luise nicht. Seufzend begann er zu erzählen. »Nach dem Tod meines Vaters war es an mir, mich um Großmutter zu kümmern. Es lag in meiner Verantwortung, dass es ihr an nichts fehlt. Ich war nun der Mann im Haus und froh über die Anstellung als Pfleger in Pfafferode. Es gibt genügend Männer meines Alters, die entweder in einer der Rüstungsfabriken in der Stadt schuften oder an der Front, um für Volk und Vaterland kämpfen.« Er zögerte einen Moment, bevor er weiterredete. »Ich lehne jede Form der Gewalt ab. Ich würde niemals eine Waffe gegen einen Menschen richten, geschweige denn, ihn damit töten. Das tue ich aus tiefster Überzeugung. Umso schlimmer ist es für mich, dass ich indirekt dabei helfe, Menschen in den Tod zu schicken.«

       Hastig richtete sich Luise auf. Erneut wurde ihr für einen Moment schwindlig. Ihre Besorgnis über das, was Ernst ihr zu erzählen versuchte, überwog jedoch, sodass sie das Schwindelgefühl ignorierte und nach seiner Hand griff. Sie hätte ihm gern tausend Fragen gestellt, ahnte aber, dass sie ihn nicht unterbrechen durfte.

       »Morgen ist es wieder soweit. Gleich in der Frühe wird ein Bus vor dem Haus halten, in dem ich arbeite, und neunundzwanzig meiner Patienten abholen. Zusammen mit weiteren vierzehn aus anderen Abteilungen werden sie nach Altscherbitz gebracht.« Ernst holte tief Luft, bevor er weitersprach. »Von da aus werden sie weiterverlegt ... nach Bernburg, um dort getötet zu werden. Das ist, soweit mir bekannt ist, nun schon der sechste Transport dieser Art und ich weiß nicht, wie ich das mit meinem Gewissen ausmachen soll. Im Grunde mache ich mich doch genauso schuldig, als würde ich sie selbst töten.« Aufgebracht raufte er sich die Haare, sodass sie wild in alle Himmelsrichtungen von seinem Kopf abstanden. »Aber ich brauche diese Arbeit. Was soll ich denn sonst tun? Wie soll ich mich weiter um meine Oma kümmern und um dich, wenn ich kein Geld verdiene?«

       Luise schwieg. Sie hatte schon von den schlimmen Dingen gehört, die in Pfafferode zugingen, sie jedoch als ein Gerücht abgetan. Nun erfuhr sie aus erster Quelle, dass all das Gerede hinter vorgehaltener Hand wahr war.

       »Ich habe schon überlegt, Gustav um die Versetzung in eine andere Abteilung zu bitten, weiß aber, dass er die Betriebszelle der Nationalsozialisten in Pfafferode leitet. Ich fürchte, er würde meinen Wunsch als Widerstand gegen die Politik des Hauses und somit gegen die Partei und unseren Führer verstehen. Du weißt, was mit den Leuten passiert, die nicht die Linie halten?«

       Nickend sah Luise in seine Augen. Sie konnte all die Qualen, die er durchlitt, darin ablesen. Aber er hatte Recht. Wie sollte er sich dagegen wehren? Die Tatsache, dass Ernst mit Gustav befreundet war, durfte ihn nicht in Sicherheit wiegen. »Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?«

       »Ich hatte Angst, dass du dann nichts von mir wissen willst. Ehrlich gesagt fürchte ich mich auch jetzt davor, dass du die Hochzeit absagst.«

       Sein flehender Blick erreichte ohne Umwege ihr Herz. »Wie könnte ich? Du tust deine Pflicht. Du sorgst dich um deine Familie.«

       »Aber es sind kranke Menschen, die unter meiner Obhut stehen. Sie haben auch Familien ...«

       »Ja, Verwandte, die sie im Irrenhaus abgegeben haben, anstatt sich zuhause um sie zu kümmern.« Luises Gesichtszüge wurden hart.

       »Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie krank sind und meine Hilfe brauchen.«

       »Du hast Recht. Wer legt denn fest, welche Patienten in die anderen Anstalten verlegt werden?«

       »Erinnerst du dich an den Brief, den du mir vor vier Wochen gebracht hast?«

       Luise versuchte, ihre Erinnerungen zu sortieren. »Den aus Berlin, auf den du so ... eigenartig reagiert hast?«

       Ernst nickte. »Genau der. Darin war sorgfältig aufgelistet, welcher der Patienten für den morgigen Transport vorgesehen ist. Ich habe heute die wenigen Habseligkeit der Menschen gepackt, die morgen abgeholt werden.« Erneut wanderte sein Blick in die Ferne.

       Luise verstärkte den Druck ihrer Hand auf seiner. »Du darfst dich nicht so quälen! Du warst es doch nicht, der bestimmt hat, wer verlegt wird und wer nicht.«

       »Trotzdem fühle ich mich wie ein Erfüllungsgehilfe des Teufels.«

       Sie war sicher, dass es keine Worte gab, die ihn trösten konnten. »Glaubst du, dass ich aufhöre, dich zu lieben, weil du diese Arbeit tust?«

       »Ehrlich gesagt, war es das, was ich am meisten gefürchtet habe.«

       »Du tust, was du musst, wie jeder in diesen furchtbaren Zeiten. Dennoch kann ich deine Gewissensbisse verstehen. Es wird langsam dunkel, lass uns heimgehen. Mutter wartet gewiss schon mit dem Abendessen.« Luise erhob sich und griff nach dem Mantel, auf dem sie gelegen hatte, um ihn glatt zu streichen, bevor sie ihn Ernst reichte.

       »Lasst es euch schmecken!« Minna Seidenstücker füllte die Teller mit einer Schöpfkelle.

       »Es duftet köstlich.« Ernst wedelte den aufsteigenden Dampf in Richtung seiner Nase. »Ich liebe Graupensuppe.«

       Mit einem Lächeln nahm Luises Mutter das zur Kenntnis. »Heute konnte ich sogar etwas Rindfleisch hineintun. Zwei Stunden habe ich beim Fleischer angestanden. Ich habe die Fleischmarke eingelöst, die sie mir vorige Woche gegeben haben. Hier ist ein wenig Mostrich. Damit schmeckt die Suppe noch besser.« Sie stellte einen Bottich mit feinem Senf vor ihn hin.

       »Wollen sie mich nicht endlich duzen? Schließlich werde ich in drei Wochen ihre Tochter heiraten.« Ernst sah sie eindringlich an.

       »Sicher. Ich werde mich schon daran gewöhnen. Es ging nur alles so schrecklich schnell.« Unsicher tastete sie nach ihrem Haarknoten, um vermeintliche Strähnchen, die sich daraus hätten gelöst haben können, wieder hineinzuschieben.

       »Mama, hat Vati denn schon auf meinen Brief geantwortet?« Luises erwartungsvoller Blick wurde jedoch durch das Kopfschütteln ihrer Mutter enttäuscht.

       »Lass mal Kind, ich bin mir sicher, dass er nichts dagegen hätte, dass du so einen netten und fleißigen jungen Mann heiratest. Wahrscheinlich ist dein Brief irgendwo auf dem Weg zur Front verloren gegangen.«

       »Vielleicht schreibe ich ihm einfach noch einen. Ich wünsche mir so sehr, dass Papa an meinem Glück teilhaben kann, auch, wenn er nicht hier ist.« Gedankenverloren löffelte Luise ihre Suppe, als sie erneut Zeugin davon wurde, wie ihre Mutter ihre Neugier befriedigte.

       »Sagt mal, seid ihr eigentlich auf dem Amt gewesen?«

       »Letzte Woche. Die Dame im Rathaus war sehr zuvorkommend. Sie wird den Antrag bearbeiten, sobald sie unsere Deutschblütigkeit geprüft hat. Mein Ehetauglichkeitszeugnis vom Gesundheitsamt habe ich schon eingereicht.« Stirnrunzelnd sah Ernst zu seiner zukünftigen Schwiegermutter. »Es ist heutzutage nicht so einfach, eine Heiratsgenehmigung zu erhalten.«

       Sie nickte. »Das glaube ich gern. Nun, bei Luise wird das kaum ein Problem sein. Ihre Vorfahren sind seit mindestens acht Generationen alle hier in Mühlhausen geboren und deutschstämmig. Auch Erbkrankheiten sind in unserer Familie nie aufgetreten.«

       »Auch meine Ahnen sind arischen Blutes und körperlich sowie geistig gesund. Deswegen glaube ich, dass die Standesbeamtin keine Schwierigkeiten haben wird, uns den Antrag zu genehmigen.« Der Löffel klapperte auf dem Porzellan, als Ernst versuchte, selbst die letzten Graupen vom Teller zu schöpfen.

       Als Minna Seidenstücker das

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