Nr. 983. Yvonne Bauer
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»Warte einen Moment! Ich bringe dich zur Tür.« Luise sprang auf.
Verständnisvoll sah Frau Seidenstücker die beiden Verliebten an. »Macht nur, ich räume noch schnell den Tisch ab.« Lächelnd, aber auch ein wenig wehmütig, schickte sie sich an, die Teller aufeinanderzustapeln. In den letzten Wochen dachte sie, das Bild der unübersehbar ineinander vernarrten Kinder vor Augen, ständig daran, wie sie und ihr Mann sich kennengelernt hatten. In diesen Momenten fehlte ihr Friedrich so sehr, dass es sie beinahe körperlich schmerzte. Jeden Tag lief Minna zum Briefkasten, in der Hoffnung, endlich Nachricht von ihm zu erhalten. Die Enttäuschung war groß, wenn sie abermals ohne Post mit leeren Händen ins Haus zurückkehrte.
Minna setze einen Flötenkessel auf den Herd, um heißes Wasser für den Abwasch zu kochen. Dann schaltete sie, wie jeden Abend, das Radio ein. Nach kurzem Rauschen ertönte die liebliche Stimme von Marika Rökk »So schön wie heut`, so müsst` es bleiben ...«, einem ihrer Lieblingsschlager. Mit jedem Takt der Musik besserte sich Minnas Stimmung. Während sie sich die Schürze umband, summte sie die Melodie vor sich hin. Sie zog das schwere Gestell mit den beiden großen Emailleschüsseln unter dem Tisch hervor und stapelte das schmutzige Geschirr in der einen, bevor sie das heiße Wasser aus dem Kessel darübergoss. Nach und nach verschwanden die sehnsuchtsvollen Gedanken. In ihrem Kopf war nur noch die Musik, sodass sie erschrak, als Luise in die Küche kam, nach dem Geschirrtuch griff und sich ans Abtrocknen machte. Die Suppenkelle glitt ihr aus der Hand und versank spritzend in dem heißen Aufwaschwasser. »Meine Güte, du hast mich erschreckt!«
»Kein Wunder, die Musik ist so laut, dass du wahrscheinlich nicht einmal einen Elefanten durchs Haus hättest trampeln hören können.« Die junge Frau betrachtete ihre Mutter von der Seite. Sie sah müde aus. »Soll ich den Abwasch fertig machen und du ruhst dich ein wenig aus?«
»Ach was, zu zweit geht es schneller. Was hältst du davon, noch einen Tee zu trinken, wenn wir nachher die Abendnachrichten hören?«
»Gute Idee!« Während Willi Forst im Äther von der Liebe sang, rieb Luise einen Löffel trocken. Es war schön, wieder einmal einen unbeschwerten Abend zu genießen. Die Musik im Radio trug das ihre dazu bei. In letzter Zeit wurden kaum noch Lieder gespielt, vielmehr wurden immer häufiger Ansprachen des Führers und seiner Generäle verlesen und die Bevölkerung über die Erfolge der Wehrmacht informiert. Auf dem Leipziger Reichssender war fast ausschließlich das zentrale Reichsprogramm zu hören.
Klappernd verschwand auch der letzte Löffel im Besteckkasten, als Minna die Schüssel mit dem Abwaschwasser nach draußen trug, um sie im Hinterhof in den Abguss zu schütten.
Luise platzierte erneut den Pfeifkessel auf dem Herd und schüttete getrocknete Blätter ihrer Lieblingsteemischung in ein Teesieb, während sie auf die Rückkehr ihrer Mutter wartete. Sie wunderte sich, wofür sie so lange brauchte. Wahrscheinlich hatte sie die Gelegenheit genutzt und war noch kurz auf der Toilette verschwunden.
Wenig später, als Luise gerade dabei war, die Teetassen auf den Tisch zu stellen, raschelte es an der Tür. Als sie sich umdrehte, sah die junge Frau, dass ihre Mutter Schwierigkeiten hatten, die Tür hinter sich zu schließen, weil sie in der einen Hand die große Emailleschüssel und in der anderen einen riesigen Kleidersack trug. Sie eilte Minna entgegen, um ihr die Schüssel abzunehmen. »Was hast du denn damit vor?« Fragend zeigte Luise auf die raschelnde Hülle.
»Ich dachte, wir ändern mein Hochzeitskleid für dich ab.«
Vor lauter Aufregung brachte Luise kein Wort hervor.
»Oder wolltest du dir Eines nähen lassen? Ich dachte, die Zeit wäre zu knapp dafür.«
Die junge Frau schüttelte den Kopf und schluckte ihre Tränen herunter, bevor sie antwortete. »Dein Kleid ist wunderschön. Ich würde es wirklich gern zur Hochzeit tragen.«
»Na dann ist doch alles gut.« Minna hängte den Bügel, der Hochzeitskleid und Umhüllung trug, von innen an die Küchentür. »Wir trinken jetzt unseren Tee und hören die Abendnachrichten, und danach stecken wir das Kleid für dich ab. Ich werde noch etwas Spitze kaufen müssen, die wir im Mieder einsetzen können. Du bist um die Brust herum ein wenig fülliger, als ich es in deinem Alter war.« Sie schmunzelte bei den Worten, die ihrer Tochter die Röte ins Gesicht trieben. »Nun mal nicht so schüchtern, mein Schatz. Wenn du erst verheiratet bist, ist der Umfang deiner Oberweite noch das Harmloseste, worüber du dir Gedanken machen musst.«
Bei den Worten ihrer Mutter verschluckte Luise sich dermaßen an dem Tee, dass die einen Hustenanfall bekam, der ihr Tränen in die Augen trieb. Als sie wieder Luft holen konnte, schüttelte sie ihren Kopf und bedachte Minna mit einem tadelnden Blick. »Also Mutter!« Insgeheim wusst Luise, dass die Frau, der sie ihr Leben verdankte, Recht hatte. Im Unterricht wurde von der Pflicht der Frau gesprochen, gemeinsam mit ihrem Mann reinblütigen Nachwuchs zu zeugen und so die Rasse und die Volksgesundheit der Deutschen zu stärken. Über die Details hatte die Lehrerin freilich nicht so viel erzählt, aber in den Pausen wussten einige ihrer Klassenkameradinnen zu berichten, wie es war, einen jungen Mann zu küssen. Oft hatte sie sich gefragt, welche Dinge wohl nötig wären, ein Kind auf den Weg zu bringen. Ihr war jedoch nie der Gedanke gekommen, zu diesem Thema ihre Mutter zu befragen.
Minna drehte die Lautstärke des Transistorradios nach oben. Der Nachrichtensprecher war gerade dabei, von der Invasion der deutschen Truppen in Griechenland und im Königreich Jugoslawien zu berichten. Vor zwei Tagen hatte mit dem Luftangriff auf Belgrad der Balkanfeldzug begonnen. Während die Stimme im Radio von den siegreichen deutschen Truppenverbänden sprach, die von ihren italienischen und ungarischen Alliierten bei den Gefechten unterstützt wurden, entglitten Minnas Gesichtszüge. »Ob es deinem Vater wohl gut geht?« Mit zitternden Fingern griff sie nach der Teetasse. »Wenn doch nur endlich ein Brief eintreffen würde.«
»Es ist ihm bestimmt nichts passiert. Wahrscheinlich braucht die Feldpost nur ein wenig länger, um die Kampflinien zu umgehen.«
»Ich hoffe, du hast Recht, mein Schatz.«
Für eine Weile schwiegen die beiden Frauen. Jede hing ihren eigenen Gedanken nach, als die Nachrichtenübertragung beendet war und Ilse Werner von Küssen im Mondenschein sang.
Seufzend erhob sich Minna. Sie zog den Stuhl, auf dem sie eben noch gesessen hatte, in die Mitte der Küche. »Zieh das Kleid an und stell dich hier drauf!« Sie half ihrer Tochter, das Hochzeitskleid aus der Umhüllung zu schälen, und schloss das Mieder am Rücken, nachdem Luise es angezogen hatte. »Ich kann mich gar nicht erinnern, dass mein Brautkleid so viele Knöpfe hatte. Die oberen muss ich auflassen. Es ist so, wie ich es mir schon gedacht habe. Es ist obenrum zu eng.« Minna trat einen Schritt zurück und betrachtete ihre Tochter nicht ohne Stolz. »Du siehst wunderschön aus! Dreh dich mal!«
Luise tat, wie ihr geheißen. Ihr Blick glitt an dem elfenbeinfarbenen engen Spitzenmieder herunter, das ihre schmale Hüfte betonte. Ein Traum aus Tüll, der von einer Lage aus feinster Spitze bedeckt wurde, umspielte in verschwenderischen Bahnen ihre Beine.
»Ich wünschte, dein Vater könnte dich jetzt so sehen.« Tränen liefen Minna die Wangen herunter. »Er wäre so stolz auf dich.«
Nun weinte auch Luise. Sie stieg vom Stuhl, um ihre Mutter zu umarmen. »Meinst du?«
Unfähig, ein weiteres Wort hervorzubringen, nickte Minna nur.
»Glaubst du, er würde Ernst mögen?«
Die ältere der beiden Frauen tupfte mit dem Saum ihrer Schürze, die sie noch immer nicht abgelegt hatte, ihre Augen trocken. »Dessen bin ich mir