Geh in die Wueste. Christine Jörg
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Zum x-ten Male stießen sie an und prosteten sich zu.
Plötzlich brach Ruth in Tränen aus und lallte mit undeutlicher Aussprache. „Aber ich liebe ihn doch. Ich kann ihn doch nicht einfach aufgeben.“
„Du musst!“, beharrte Gabi, die ebenfalls gut angeheitert war und legte den Arm um die Schultern ihrer Freundin. „Der Kerl ist verloren. Schließlich ist er ewig viele Kilometer von dir weg. An den kommst du nicht mehr ran.“
„Such dir einen von hier aus“, riet sie und zog Ruths Kopf an ihre Schulter, „dann weißt du, was du hast.“
Ruth machte sich frei und schaute Gabi aus ernsten Augen an. „Meinst du hier gibt es Männer, die es wert sind, dass man sie anschaut? Hast du schon mal einen gesehen?“
„Ja, meinen Stefan“, antwortete Gabi, ohne sich über Ruths Andeutungen zu ärgern. „Auch du wirst den Richtigen noch treffen. Da bin ich mir ganz sicher.“
Ruth setzte sich gerade auf und sagte: „Ich werde diesem Scheißkerl schreiben und ihm die Meinung sagen.“
„Gute Idee“, ermunterte Gabi sie.
Ruth stand auf, ging wackeligen Schrittes an den Schreibtisch und holte Papier und Stift. Gemeinsam setzten sie einen bitterbösen Brief an Fernando auf. Die Schrift war nicht mehr ganz deutlich. Beide Frauen hatten inzwischen einen hohen Alkoholpegel erreicht. Aber aufgesetzt war der Brief. Beide waren im Augenblick und in ihrem benebelten Kopf zufrieden mit dem Ergebnis. Ruth beschloss, den Brief morgen ins Reine zu schreiben und abzuschicken.
Der soll mich kennen lernen, dachte sie sich. Da kann ja jeder kommen und mich abservieren.
Weit nach Mitternacht war auch die zweite von drei Flaschen Wein zur Neige gegangen und die Mädchen beschlossen, sich den wohlverdienten Schlaf zu genehmigen.
Etwa eine Stunde später wurde Ruth wach. In ihren Kopf war ein fürchterliches Karussell eingezogen, in dem noch dazu jemand schrecklich fest hämmerte. Ruth erhob sich langsam und unsicher. Immer wieder musste sie sich an der Wand abstützen. Sie wollte ins Badezimmer gehen, doch das war besetzt. Durch die geschlossene Türe drangen laute Würgegeräusche.
Aha, stellte sie in ihrem umnebelten Kopf fest, Gabi ging es auch nicht besser.
Leider war die Badezimmertüre nicht zu öffnen. Gabi hatte sie fest verriegelt. Wo sollte sie hin? Ruth wusste es nicht so recht. Plötzlich fühlte sie, wie ihr kalt wurde. Sie zitterte am ganzen Körper, dazu gesellte sich kalter Schweißausbruch. Es blieb keine Zeit für lange Überlegungen. Sie raste mit vorgehaltener Hand zielsicher in die Küche und übergab sich über dem Spülbecken, in dem die Gläser vom Besäufnis standen.
Der Alkoholgeruch, der ihr entgegenschlug, machte die Sache nur noch schlimmer. Sie wusste nicht mehr, wie sie sich helfen sollte. Schließlich sank sie vor dem Spülbecken auf den Boden. Unter der Spüle stand der Putzeimer. Den zog sie heraus. Langsam und vorsichtig erhob sie sich. Mit dem Kopf knallte sie gegen den Griff eines Schränkchens. Scheiße! Der kräftige Stoß ernüchterte sie für einen Augenblick so weit, dass sie aufstehen und nochmals laut fluchen konnte.
Nun musste sie erst einmal die Sauerei aus dem Spülbecken entfernen. Diese Beschäftigung diente nicht gerade dazu, ihren Magen zu beruhigen. Immer wieder würgte es sie. Ruth fühlte sich schrecklich elend.
Als sie alles, ihren benebelten Augen gemäß, gesäubert hatte, trug sie die Bescherung zum Klo, das soeben frei geworden war. Gabi hatte sich nicht blicken lassen, sondern war postwendend in ihr Zimmer verschwunden. Als die Schweinerei beseitigt war, kehrte Ruth, den Eimer in der Hand schwenkend, in ihr Bett zurück. Dort stellte sie den Kübel so, dass sie ihn jederzeit griffbereit hatte. Wer wusste schon, was noch alles passieren würde?
An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ruth wagte es nicht, die Augen zu schließen. Das Karussell drehte sich einfach zu schnell und zu stetig. Also beschloss sie, nur mit offenen Augen in ihrem Bett zu liegen und sich nicht zu bewegen. Vielleicht ließ dann auch das Hämmern nach.
*
Am nächsten Morgen liefen sich die zwei Freundinnen über den Weg. Der Aufenthalt im Bad war für jede eine Tortur und beide fragten sich, ob sich dieses Besäufnis wirklich gelohnt hatte. Jetzt, da sie mit den Nachwehen kämpften, ärgerten sie sich über die eigene Dummheit. Zum Frühstück gab es Schwarztee und Zwieback. Um ehrlich zu sein, jede der Frauen frühstückte zweimal, weil der Magen das erste postwendend an den Absender zurückschickte.
Gabi war jetzt noch unglücklicher, weil sie Angst hatte schwanger zu sein und Ruths Liebeskummer war präsent wie eh und je, oder sogar noch stärker.
Den Brief, den sie am Vorabend für Fernando aufgesetzt hatten, war jetzt nichts wert. Ruth beschloss, sich nicht mehr bei Fernando zu melden. Einen gewissen Stolz hatte sie schließlich!
Natürlich war sie sehr unglücklich, aber sollte sie ihr Leben aufgeben, nur weil sie von ihrer großen Liebe verlassen worden war. Sie würde sich mit aller Energie in ihr Studium hängen. So wie sie es für Chile vorgehabt hatte.
Der Schmerz in ihrem Herzen blieb jedoch. Die Gedanken an Fernando kehrten immer wieder zurück, aber damit musste sie fortan leben.
4
„Ihre Fahrkarte, bitte“, Ruth fährt zusammen, als eine männliche Stimme direkt neben ihr nach dem Fahrschein fragt. Mit einem Plumps fällt die Tasche, die sie auf dem Schoß festgehalten hat, auf den Boden. Sie bückt sich und hebt sie eilig auf. Nun beginnt sie zu kramen. Wo hat sie den Fahrschein hineingesteckt? Im Seitenfach kann sie sie nicht finden. Auch in der vorderen kleinen Tasche ist er nicht. Schließlich öffnet sie den Geldbeutel. Da, zwischen den Geldscheinen zieht sie die Fahrkarte heraus und reicht sie dem Zugbegleiter.
„Hier, bitte“, Ruth lächelt den Mann nervös an.
„Danke“, antwortet dieser mit ungerührter Miene und setzt seinen Weg durch den Zug fort.
Ruth schaut aus dem Fenster und stellt fest, dass sie gleich Kempten erreichen. Während sie in den Bahnhof einfahren, wirft sie einen Blick auf den herannahenden Bahnsteig. Kempten hat sich verändert. Dort wo der große Parkplatz am alten Bahnhof angelegt war, befindet sich jetzt das Forum, ein Einkaufszentrum. Ein paar Mal hat Ruth das Einkaufszentrum besucht, doch sie zieht es nach wie vor in die Fischerstraße, wenn sie in Kempten einkaufen möchte.
Während sie die Reisenden beim Ein- und Aussteigen beobachtet, überlegt sich Ruth, dass sie hier mit Fernando auch schon war. Ja, in den glücklichsten Zeiten ihres Lebens.
Bevor er ihr den Dolchstoß verpasste, indem er ihr mitteilte, dass er geheiratet hatte.
*
Ruth sonderte sich nach Erhalt der Nachricht von Fernandos Hochzeit vollkommen ab. Mit ihren Kommilitonen unternahm sie nichts. Wenn sie eingeladen wurde, lehnte sie dankend ab.
Von Atilio und Oscar hörte Ruth nichts mehr. Und von sich aus meldeten sich die Beiden nicht. Nun ja, nachdem Fernando nicht mehr da war, interessierten sich die zwei Männer nicht für Ruth. Sie waren Fernandos Freunde.
Die Peseta Loca besuchte Ruth nicht mehr. Zu viel erinnerte sie hier an Fernando und