Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held
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Es waren einmal mehrere Schwestern, die gehörten
den Hereros an. Als sie mit ihren Eltern an einen
Platz gekommen waren, der sehr schöne Weiden und
viele Bäche und Flüsse hatte, fingen sie an, sich hübsche
kleine Hütten an den Ufern des Wassers zu
bauen, und in ihnen wohnten sie. Bald aber waren die
Weiden von ihrem Vieh abgegrast, und die Hereros
zogen deshalb weiter und nahmen auch ihre Kinder
mit sich. Indessen waren sie noch nicht weit gewandert,
als die Mädchen, welche sich die Hütten gebaut
hatten, beschlossen, wieder zurückzugehen; denn sie
sehnten sich nach ihrem alten Spielplatz. Deshalb
gaben sie die Lasten, welche sie zu tragen hatten, und
die in Tüchern, Kochgeräten und Schemeln bestanden,
an ihre Eltern und traten den Rückweg an. Als
sie zu ihren Hütten gekommen waren, fanden sie, daß
Bergdamaras Besitz von ihnen genommen hatten. Da
fürchteten sich die Mädchen und versteckten die älteste
Schwester. Sie hieß Cnihova. Als die Bergdamaras
die Mädchen sahen, beschlossen sie, dieselben zu
Weibern zu nehmen.
»Diese gehört mir,« sagte der eine.
»Und diese hier mir,« sagte ein anderer.
Schließlich war nur ein alter Mann übrig, der noch
keine Frau hatte. Zufällig fand er die versteckte älteste
Schwester und rief:
»Diese gehört mir!«
»Nein,« rief der Häuptling. »Sie soll auch noch mir
gehören; denn ich bin euer Häuptling.«
Dann begaben sie sich zur Ruhe. Am folgenden
Tage gingen die Damaras auf die Jagd. Nur der alte
Mann blieb zurück. »Ich werde euch bewachen,«
sagte er zu den Mädchen und legte sich quer vor die
Schwelle der Hütte. »Solange ihr hört, daß ich grrrr,
grrr, grrr sage, wißt ihr, daß ich noch nicht fest schlafe;
hört ihr mich aber pfuh, pfuh sagen, dann bin ich
fest eingeschlafen.« Da warteten die Mädchen, bis sie
den Alten »pfuh, pfuh« sagen hörten. Dann standen
sie auf, befestigten allen Zierat an den Gewändern,
damit er keinen Lärm machen konnte und horchten
noch mal, ob der Mann auch wirklich schliefe. Als sie
dessen ganz sicher waren, schritten sie über ihn fort
aus der Hütte hinaus, nahmen Asche und bestrichen
sich mit ihr gegenseitig die Gesichter.
Der Häuptling der Damaras hatte einen großen
Stein vor der Hütte liegen, den benutzte er als Sitz.
Diesen Stein nahmen die Mädchen und zerschmetterten
mit ihm den Kopf des schlafenden Mannes. Dann
gingen sie eilends fort und folgten den Spuren der
fortgewanderten Hereros; denn sie wollten nicht bei
den Damaras bleiben. Bald kamen sie an einen großen,
flachen Felsen, der wie ein Haus aussah. Vor
ihm stand das älteste Mädchen, welches Cnihova
hieß, still und rief:
»Felsen, öffne dich!«
Darauf tat der Felsen sich auf und ließ die Mädchen
eintreten, voran die, welche gerufen hatte.
Die jüngste der Schwestern hieß Cahavandye und
folgte nach. Als sie alle in dem Felsen waren, schloß
er sich wieder; aber der Raum in ihm war etwas eng
für sie alle.
»Wenn es sehr eng hier wird,« sagte Cnihova zu
ihren Schwestern, »so dürft ihr nicht schelten«.
»Wie,« rief Cahavandye, »nicht genug Raum will
er uns geben, und wir sollen nicht einmal schelten? Es
ist ein ganz abscheulicher Felsen!«
Dann schwiegen sie alle.
Als die Bergdamaras zurückkamen, fanden sie, daß
die Mädchen alle verschwunden waren und den alten
Mann getötet hatten. Sofort machten sie sich auf den
Weg, um die Entlaufenen zu verfolgen. Als sie zu
dem großen flachen Felsen kamen, konnten sie die
Spuren nicht mehr sehen und fragten einander:
»In welcher Richtung mögen sie weitergegangen
sein?«
Da hörten sie den leisen Klang der Glocke, welche
das älteste Mädchen an ihren Kleidern trug.
»Was war das?« riefen die Damaras. »War es nicht
der Klang einer Glocke? Oder war es die Stimme
eines Vogels, die wir gehört haben? Sind sie aber
fortgenommen, so war es der Klang einer Glocke, und
die Mädchen waren hier versteckt.«
Dann gingen sie wieder zurück zu den Hütten.
Sobald die Mädchen merkten, daß die Damaras
fortgegangen waren, sprach Cnihova zu dem Felsen:
»Öffne dich!«