Neeltje - Kirschenmund. Swantje van Leeuwen

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Neeltje - Kirschenmund - Swantje van Leeuwen

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sinnlos. Sie war sich sicher, dass niemand jemals ihre Arbeit gelesen hatte – und es war sogar noch schlimmer geworden, als sie erfuhr, dass die Daten nicht einmal ins firmeninterne Netzwerk hochgeladen wurden. Die meisten ihrer Transkriptionen fanden hier auf ihrem Computer statt, und es konnten Wochen vergehen, ohne dass jemand eine Kopie anforderte. Was ihr die Firma zahlte reichte kaum aus, um die Miete für ihr kleines Appartement zu bezahlen. Nicht einmal ihr Arbeitsplatz bot ihr so etwas wie eine gewisse Sicherheit. Sie erwartete jeden Tag, dass in der Buchhaltung irgendjemand darauf aufmerksam wurde, dass sie nicht gebraucht wurde. Alles in allem war es ein fürchterlicher Zustand.

      Nach weiteren zwanzig Minuten war sie mit der Fehlerkorrektur endlich fertig. Währenddessen hatte sie sich immer wieder zu motivieren versucht und sich eingeredet, dass ihre Arbeit vielleicht doch eines Tages gewürdigt würde. Sie hat die Datei auf dem Firmenserver gespeichert und eine Projektbestätigung in die oberen Etagen gesendet. Wenn jemand eine Kopie wünschte, bekam sie eine entsprechende Anfrage, aber dieses geringe Interesse brachte sie auch nicht dazu, mal den Atem anzuhalten. Der einzige Grund noch solange zu bleiben und die Arbeit zu erledigen lag darin, dass sie morgen von mindestens fünf Vorgesetzten Anrufe und E-Mails bekommen würden, die sich darüber negativ ausließen, dass sie ins Hintertreffen geraten war.

      *

      Während sie wie immer zum Dienstschluss den Gesundheitszustand einer Kaktee überprüfte, die Willem ihr geschenkt und die seitdem auf der Fensterbank ihres Büros stand, hatte sie einige Minuten nachdenklich hinaus und nach unten gesehen, wo gerade eine große, elegante dunkelblaue Limousine mit Chauffeur vorgefahren war. Sie sah, wie der Fahrer, der einen Anzug in Wagenfarbe trug, ausstieg, wohl um darauf zu warten jemand den Schlag zu öffnen.

      Die Gänge waren jetzt leer. Inzwischen war es fast sieben Uhr. Um diese Zeit arbeitete in diesem Teil des Gebäudes niemand mehr. Die Jobs derjenigen, die in dieser Etage arbeiteten, waren einfach nicht wichtig genug, als das sie Mehrarbeit erforderten.

      Neeltje schaltete das Licht aus und schloss das Büro hinter sich ab, bevor sie sich auf den Weg zu den Aufzügen am Ende des Korridors begab. Sie warf einen Blick auf die Anzeigen – alle drei Aufzüge waren aktuell im Erdgeschoss, aber der ›Executive‹-Lift der Vorstandsetage fuhr gerade nach unten. In diesem Augenblick befand er sich in der fünfzehnten Etage. Einem spontanen Impuls folgend, drückte sie dessen Anforderungstaste, wenngleich sie wusste, dass das Personal unter dem zwanzigsten Stockwerk diesen Lift nicht benutzen sollten. Es war eine Express-Kabine, die den ›Höheren‹ vorbehalten war, aber ihr Stockwerk war nicht gesperrt, denn von Zeit zu Zeit kam damit eine der Führungskräfte auf ihre Etage herunter. Sie konnte sie immer an ihren teuren Maßanzügen erkennen und ihrem gehetzten Gang. Sie grinste, als sie sich erinnerte, wie Willem vor kurzem gewitzelt hatte, dass sie wohl Sorge hätten, dass sich ihre Seidenkrawatten in billigen Polyester verwandeln würden, wenn sie zu viel Zeit in den Abgründen der unteren Etagen verbrachten.

      Der Aufzug stoppte und ein Piepton ertönte. In dem Augenblick, da sich die Türen zu öffnen begannen, geriet Neeltje in Panik. Plötzlich realisierte sie, dass die Kabine sehr wahrscheinlich besetzt sein würde. Für den Bruchteil eines Moments überlegte sie, schnellstens zu verschwinden und sich hinter einer der zahlreichen großen Topfpflanzen zu verstecken, bis sich der Aufzug wieder schloss.

      Aber dazu war es bereits zu spät.

      Wer auch immer sich drinnen befand, konnte bereits sehen, wie sie in ihrem billigen Second-Hand-Laden-Look im Flur stand – und aussah, wie ein kleines Mädchen, dem es Spaß machte, sich mit den Sachen der Mutter zu verkleiden.

      »Möchten Sie nach unten?« Der Mann, der sich lässig gegen die rückwärtige Wand der Kabine gelehnt hatte, hob eine Braue und schaute sie fragend an.

      Neeltje blieb stumm. Ihr hatte es wortwörtlich die Sprache verschlagen. Der Mann im Aufzug war jemand, den sie bislang nur zweimal zuvor zu Gesicht bekommen hatte, aber seitdem immer wieder eine gewichtige Hauptrolle in ihren Träumen spielte. Er war groß und gut gebaut, mit einem Granitkiefer gesegnet – so, wie der Fremde ausgesehen hatte, als sie ihn zum ersten Mal durch die Hallen schreiten sah. Er hatte auf sie gewirkt, als wäre er gerade von einem Casting für einen Superhelden-Film gekommen.

      Diese Ähnlichkeit mit Superman und Batman war auch einigen anderen Kollegen nicht entgangen. Sogar Willem, der sich nur selten über Mitarbeiter äußerte, nannte ihn den Mann aus Stahl – allerdings nicht ohne einen gewissen Anflug neidischen Sarkasmus, denn er stellte alles dar, wovon jeder Mann insgeheim träumte. Seine kräftige, gemeißelte Gestalt war unter seinen wunderschön geschnittenen Anzügen deutlich zu erkennen, und in den äußerst seltenen Fällen, da er die unteren Stockwerke mit seiner Anwesenheit beehrte, hatte jede Frau verstohlen zu ihm aufgesehen. Und jede, die in diesem Augenblick das Pech hatte, einen Bleistift im Mund zu haben, als der geheimnisvolle Fremde vorbeiging, hätte den Rest des Tages damit verbracht, sich die Splitter aus dem Mund zu fischen.

      Alle Versuche, die Identität des schönen Unbekannten aufzudecken, waren gescheitert. Die leitenden Angestellten in den oberen Etagen mischten sich nicht unter die der tiefer gelegenen. Sie lebten in verschiedenen Welten, getrennt durch einen unausgesprochenen Code, der sich auf wenige Worte beschränkte: ›Wir sind besser als ihr und stehen über euch. Denkt nicht einmal darüber nach!

      Als Neeltje stumm in die Kabine des Fahrstuhls starrte, setzte ihr Verstand aus – alles an diesem Mann war stimmig. Sein dunkelgrauer Dreireiher war perfekt geschnitten, unauffällig, aber eindeutig aus der teuersten Preisklasse. Die nüchterne Seidenkrawatte fiel tadellos zwischen seine ausgeprägten Brustmuskeln, die der Schnitt seines Hemdes verriet, und seine Schuhe und Aktentasche sahen aus, wie jene, die sie nur in den Schaufenstern exklusivster Luxusboutiquen zu sehen bekam – Einzelobjekte, immens teuer und immer ins beste Licht gerückt. Er hätte ohne Frage ein Mannequin in einem exquisiten Geschäft der Reichen und Schönen sein können, wo man nach einer ›No-Limit-Creditcard‹ fragte, noch bevor man einen überhaupt eintreten ließ.

      Seine Kleidung war jedoch nichts im Vergleich zu seinem Gesicht. Sein Kiefer wirkte seltsam, ja fast schon komisch rechteckig. Als Neeltje ihn zum ersten Mal sah, verstand sie sofort, warum Superhelden im Cartoon all gleich aussehen. Die Stärke und das Selbstvertrauen, das dieses Gesicht ausstrahlte, reichten aus, um jeder Frau und jedem Mann das Gefühl zu geben, sicher und beschützt zu sein. Nichts und niemand konnte einem Mann mit einem derartigen Kiefer schaden. Es war ein Kiefer, der Kugeln nur so von sich abprallen ließ. Aber sogar sein markant männlicher Kiefer war seinem Blick nicht gewachsen.

      Neeltje war sicher, das er mit diesem Blick wie Clark Kent alias Superman in der Lage war durch Kleidungsstücke und andere Objekte, außer Blei, hindurchzusehen. Schon als sie dort vor der offenen Kabine stand, war ihr bewusst, dass sie ihn anstarrte, und sich in tiefe, dunkle Strudel verirrte, aus denen keinerlei Hoffnung auf Flucht bestand. Sie konnte spüren, wie ihre Knie bebten, als sie ihn so begeistert anstarrte, und sie hörte ihn erst sprechen, als er seine Frage wiederholte.

      »Möchten Sie nach unten mitfahren?«

      Neeltje brachte es kaum fertig, die einfachsten Worte zu finden.

      »Ja«, flüsterte sie mit trockener Kehle. Noch immer stand sie wie angenagelt da. Sie kämpfte darum ihre schwachen, zitternden Beine unter Kontrolle zu bekom-men, und es brauchte einen Moment, ehe sie in der Lage war einzutreten und sich die Türen wieder zu schließen begannen. Sie schaffte es gerade noch, ihre Handtasche durch den verbleibenden Spalt zu ziehen, aber nicht ohne den Sicherheitssensor auszulösen – weshalb sich die Türen noch einmal kurz öffneten, ehe sie die Kabine endgültig verriegelten.

      Mein Gott, das ist so peinlich!, dachte Neeltje, während sich der Lift schloss. Ich muss für ihn wie eine Landpomeranze aussehen. Selbst seine Geschirrtücher dürften besser aussehen wie mein Kleid. Sie stand direkt vor der

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