Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

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Neues Leben für Stephanie - Lisa Holtzheimer

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schließlich hatte sie im Herbst zugesagt, mitzukommen.

      Zu Weihnachten hatte Michael seiner Freundin einen Gutschein für einen Skikurs geschenkt, und noch vor Silvester gingen sie gemeinsam in ein Sportgeschäft, um auch für Katrin das passende Outfit für einen Ski-Urlaub zu suchen.

      Während Michael zu Fuß zu seinem Urlaubsquartier ging, hing er seinen Gedanken nach. Selbst die strahlende Nachmittagssonne nahm er kaum wahr, und beim Überqueren der Straße wurde er beinahe von einem glücklicherweise langsam fahrenden Wagen erfasst. Das laute Hupen des erschrockenen Fahrers brachte ihn wieder zurück in die Wirklichkeit. Er sah sich um, bemerkte endlich die geliebten Berge, beobachtete eine Weile die kleine Seilbahn, die die Winterurlauber mitten aus dem Ort direkt auf den Obersalzberg brachte, und setze dann das letzte Stück Weg fort.

      Die herzliche Begrüßung von Pensionswirtin Christine ließ ihn erst einmal alle traurigen Gedanken vergessen. Dass Katrin doch nicht mitkäme, hatte er ihr schon am Telefon gesagt. Christine war diskret genug, nicht weiter nach den Gründen zu fragen. Sie kochte erst einmal eine Kanne Kaffee und lud Michael zu selbstgebackenem Kuchen ein. In den vergangenen Jahren, in denen Michael immer wieder in ihrem Haus abgestiegen war, hatte sich beinahe so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Sie selbst genoss es, eine Stunde Pause zu machen, bevor die nie enden wollende Arbeit in der Pension weiter ging. Sie erzählte von den neuesten Neuigkeiten in und um Berchtesgaden, zeigte ihm Fotos von Birgit, der 16-jährigen Tochter, die das Zeug hatte, sich einen Platz in der Ski-Nationalmannschaft zu erarbeiten, und erzählte von den immer neuen Ideen ihres Sohnes. Die Pensionsgäste hatten ihren Spaß an den Streichen des Zwölfjährigen; seine Eltern hingegen fanden seinen Übermut nicht immer nur witzig. Auch Peter, Christines Mann, schaute kurz vorbei, trank einen schnellen Kaffee, musste dann aber wieder weiter. Als selbständiger Taxi-Unternehmer hatte er in der Wintersaison nicht weniger zu tun als im Sommer, und ausgerechnet jetzt hatte sein Aushilfsfahrer einen Unfall mit dem zweiten Wagen gehabt. Peter klopfte Michael zur Begrüßung auf die Schulter und deutete auf die sich langsam in der Dämmerung verkriechenden Berge: „Schönes Wetter hast du mitgebracht. Bleib nur recht lange, damit es so bleibt.“ Michael grinste und versprach, sein Bestes zu tun.

      Eine Stunde später betrat er „sein“ Zimmer, begann, seine Kleidung in den Schrank zu hängen, und trat dann auf den Balkon, um jetzt erst einmal in Ruhe die Umgebung auf sich wirken zu lassen und die winterliche Bergluft zu atmen, um „im Urlaub anzukommen“.

      * * *

      Der „Soleleitungsweg“, von dem ein Teil über dem Städtchen verlief, war selbst an Winterabenden ein Geheimtipp. Die verschiedenen Aussichten, die sich von dort boten, riefen in Michael immer wieder ein Gefühl der Faszination hervor. Er hatte sich fast von Anfang an angewöhnt, den Urlaub in Berchtesgaden mit einem Spaziergang auf der ehemaligen Sole-Leitung von Berchtesgaden nach Bad Reichenhall zu beginnen. Hier konnte er seinen Gedanken Raum geben, hier konnte er den Zauber des schneebedeckten und hell erleuchteten Ortes genießen und die gute Bergluft atmen.

      Den Rückweg ging er durch den Ortskern, der auch zu recht später Stunde noch voller Leben war. Die Urlauber, die tagsüber sämtliche großen und kleinen Skipisten in der Umgebung mit Beschlag belegten, trafen sich nun in den zahlreichen Restaurants, Bistros und Wein- oder Bierlokalen im Zentrum der kleinen Stadt oder ließen sich bezaubern von deren so ganz eigenem Flair in der Winternacht. An einer Telefonzelle konnte Michael nicht widerstehen; er trat in das Häuschen, warf ein paar Münzen ein und wählte Katrins Telefonnummer. Nach zwei Klingeltönen jedoch legte er den Hörer wieder auf die Gabel zurück, nahm eilig das zurückfallende Geld aus der Schublade und verließ beinahe fluchtartig die Zelle. Mit einem Anruf bei ihr hätte er letztendlich sich nur selbst wehgetan. Wirklich begriffen hatte er immer noch nicht, was Katrin ihm vor knapp fünf Wochen offenbart hatte. Er hatte sie seitdem nicht wieder gesehen und auch nicht mehr mit ihr gesprochen.

      Der Gedanke an sie zerriss ihm beinahe das Herz. Um ihn herum überall Pärchen – Hand in Hand bummelten sie an den Schaufenstern vorbei, turtelnd saßen sie im Lokal, heftig diskutierend wohnten sie im Nebenzimmer in seiner Pension. Wie sollte er den Urlaub jemals genießen können? Nicht einmal hier würde er abschalten können.

      3

      Das Telefon klingelte. „Hallo? – Moment.“ Jana musste erst einmal das Radio leiser stellen, damit sie überhaupt verstand, wer am anderen Ende war. „So, jetzt kann ich ‘was verstehen. Wer? Steph! Hi! Mensch, am helllichten Tag. Hast du keinen Dienst?“ – „Grippe, na toll. Die ist an mir bisher vorüber gegangen. Hast du wenigstens eine gute Pflege?“ Jana grinste hörbar. „Nein“, hörte sie Stephanie mit kaum erkennbarer Stimme krächzen, „ich könnte dich gut gebrauchen.“ „Dabei bist du die Krankenschwester! Mensch, ich würde so gerne kommen, aber mein Chef lässt mich garantiert jetzt nicht weg.“

      Fast 1 ½ Stunden telefonierten die Freundinnen miteinander – selten schafften sie es, sich kürzer zu fassen. Jana fehlte Stephanie sehr, und die neuesten Neuigkeiten aus Hamburg wollte sie natürlich auch nicht verpassen. Während sich in ihrer neuen Heimat die Urlauber die Klinke in die Hand gaben, fegte ein handfester Sturm über die Hansestadt, deckte zum Teil Dächer ab und ließ das Wasser der Nordsee und damit auch das der Elbe gefährlich hoch steigen. „Naja“, dachte sie bei sich, „wenigstens wohnt Jana im 5. Stock, da wird kein Hochwasser sie erreichen.“ Und bis zum Dach waren noch einmal 4 Stockwerke über ihr. Aber aus ihrem Wohnzimmerfenster würde sie das schaurig–schöne Schauspiel aus nächster Nähe live beobachten können, denn sie blickte über die Landungsbrücken auf den Hamburger Hafen. Keine billige Wohngegend, aber als Assistentin des Geschäftsführers einer exklusiven Werft konnte sie sich diesen Luxus leisten. Jana liebte ihren Hafen, beobachtete gerne die Schiffe und hatte hier ihre Vorliebe mit ihrem Beruf verbunden.

      Stephanies und Janas Eltern hatten in derselben Straße im Hamburger Norden gewohnt. Die beiden Mädchen waren fast wie Schwestern aufgewachsen, fuhren zusammen in die Ferien und besuchten dieselbe Schule. Später kauften Janas Eltern ein Haus im äußersten Stadtteil, gleich an der Elbe. Der Freundschaft tat dies keinen Abbruch, und durch den nahen Fluss lernten Jana und Stephanie ganz selbstverständlich den Umgang mit dem Wasser, lernten Schiffe kennen und interessierten sich dafür, woher diese kamen und wohin sie fuhren. Oft hielten sie sich in der Hafengegend auf, und mehr als einmal hatten sie sich auf ein großes Frachtschiff geschlichen, dessen Ladung gerade gelöscht wurde. Erwischt wurden sie nie. Heute war Jana sich im Klaren darüber, welche Konsequenzen gefolgt wären, hätte jemand sie doch einmal gesehen. Dass sie irgendwann einmal nicht rechtzeitig von Bord kommen könnten, davor hatten die Mädchen nie Angst gehabt. Die Abenteuerlust war so viel größer als solche Überlegungen.

      Während Jana nachdenklich den stürmischen Wolken zusah, dachte sie daran, dass sie und Stephanie einmal während eines ähnlichen Sturms fast ertrunken wären. Sie wollten unbedingt das neue Segelboot ausprobieren. Es war Sommer, windstill, nur wenige Wolken tummelten sich am Himmel. Janas Vater hatte sich breitschlagen lassen und seiner einzigen Tochter zum Geburtstag die heiß ersehnte Segeljolle geschenkt. Drei Tage später endlich Sonnenschein, da hielt Jana nichts mehr. Und Stephanie musste natürlich dabei sein. Segeln konnten sie beide fast so lange, wie sie laufen konnten. Das Wasser und ein Boot waren keine Fremdkörper. Auch das Wetter konnten sie einigermaßen einschätzen, aber an diesem Tag hatten sie keinen Blick für den Himmel. Gleich nach der Schule fuhren sie mit der S-Bahn an die Alster, wo das Boot lag. Die Schwimmwesten übergezogen, die Leinen los und ab auf die Außenalster. Ein paar Stunden kreuzten sie auf dem Binnenmeer, als der Wind plötzlich drehte und dunkle Wolken schickte. Ihr Boot war mitten auf der Alster – mindestens eine halbe Stunde bis zum nächsten Ufer. In ihrem Eifer hatten sie kaum bemerkt, dass fast alle anderen Boote längst den Weg ans Ufer angetreten hatten. Jetzt waren sie völlig alleine auf dem immer mehr aufschäumenden Wasser, und zu regnen begann es auch. Am weit entfernten Ufer konnten sie jetzt die blinkenden Sturmwarnleuchten erkennen

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