Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

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Neues Leben für Stephanie - Lisa Holtzheimer

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dass in so gemütlicher Atmosphäre und unter viel Fröhlichkeit und auch Gelächter über Gott geredet wurde. Das letzte Mal, dass sie eine Kirche betreten hatte, war bei der Konfirmation ihrer jüngeren Schwester gewesen. Das war viele Jahre her. Sie hatte nie das Bedürfnis verspürt, ohne Grund zu irgendetwas Kichenähnlichem zu gehen. Dort war es immer nur kalt, dunkel und so still, dass man kaum zu atmen wagte. Während der Zeit ihres eigenen Konfirmanden-Unterrichts nahm sie gerade so oft am Gottesdienst teil, dass sie noch die Zulassung zur Konfirmation bekam, und sie konnte sich kaum erinnern, sich irgendwo mehr gelangweilt zu haben als in diesen Stunden.

      Aber das hier war völlig anders. Nichts, absolut nichts hatte Ähnlichkeit mit dem, was sie bisher mit Kirche verbunden hatte. Selbst die Lieder, die an diesem Abend gesungen wurden, waren frisch, peppig und sogar Englisch. Sie erinnerte sich dunkel an Liedzeilen wie „Großer Gott, wir loben dich“, die sie damals hatte auswendig lernen müssen und die sie ebenso schnell wieder vergessen hatte. Hier hieß das dann „Lord, I lift your name on high“ – und wenn man es genauer betrachtete, ähnelten sich die Textzeilen sogar ein bisschen – nur das eine war altes Deutsch, das andere neues Englisch. Mehr Gemeinsamkeiten konnte sie allerdings nicht feststellen.

      Dann schlug ein junger Mann aus der Runde, Konrad, ein Buch auf. Erst als er ein paar Zeilen vorgelesen hatte, merkte Stephanie, dass es wohl eine Bibel sein müsste. Richtig, deshalb waren sie ja hier, erinnerte sie sich an Brittas Einladung auf Station. Auf die Idee wäre sie nie gekommen – der bunte Einband erweckte eher den Eindruck eines Romans. Sie schaute sie vorsichtig in der Runde um und merkte plötzlich, dass die verschiedenen Bücher, die sie zu Anfang registriert hatte, auch Bibeln waren – und fast alle sahen anders aus. Sie traute sich nicht zu fragen, ob es da Unterschiede gäbe – alle gingen so selbstverständlich damit um, als hätten sie nie etwas anderes getan. Konrad nannte einen Namen und ein paar Zahlen, und alle blätterten in ihren Bibeln und fanden offensichtlich die Seite, die er meinte. Britta schob ihr ihre aufgeschlagene Bibel herüber und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle, und so konnte Stephanie mitlesen, was Konrad vorlas.

      Ja, es war ein interessanter und eigentlich schöner Abend gewesen. Trotzdem – ihr war ein bisschen komisch zumute. Alle waren wirklich sehr nett gewesen, aber dennoch hatte sie hatte sich ein Stückweit ausgeschlossen gefühlt. Das, über das die anderen redeten, war ihr fremd; und wenn es auch interessant klang, so wollte sie doch den nötigen Abstand wahren. Ein bisschen auf Distanz zu bleiben, schien ihr sicherer sein.

      „Wir sind zu Hause“, riss Britta sie aus ihren Gedanken. „Schlaf gut, wir sehen uns morgen. Hast du Frühdienst?“ „Ja, leider“, antwortete Stephanie mit einem Blick auf die Uhr. „Ich auch. Da können wir uns ja gegenseitig aufmuntern. Gute Nacht.“ „Gute Nacht! Komm gut nach Hause.“ Stephanie stieg aus dem Wagen, schlich die Treppe zu ihrer Wohnung hoch und spazierte ohne große Umwege ins Bett.

      * * *

      Jana versuchte, den Wecker auszuschalten, aber das penetrante Geräusch, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte, ließ sich nicht abstellen. Genervt öffnete sie schließlich die Augen. Das Klingeln kam aus dem Wohnzimmer vom Telefon. Sie warf einen Blick auf den Wecker. 9 Uhr 13. Und das am Samstagmorgen. Wer um alles in der Welt war diese Nervensäge? Das Klingeln hörte einfach nicht auf, und so warf Jana die Bettdecke zur Seite und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. „Hallo?“ bellte sie in den Hörer – der Anrufer sollte ruhig merken, dass er störte. Doch am anderen Ende meldete sich niemand mehr. Jetzt war sie so richtig geladen. „Wenn dieser Unmensch schon so dreist ist, mich zu dieser nachtschlafenden Zeit aus dem Bett zu holen, soll er wenigstens den Mut haben, so lange zu warten, bis ich aufgestanden bin!“ schimpfte sie halblaut vor sich hin, während sie in der Küche die Kaffeemaschine anstellte. Kaum hatte sie das Wasser eingefüllt und das Kaffeepulver in die Filtertüte geschüttet, klingelte der Apparat wieder. Schnell drückte sie den „Ein“–Schalter der Maschine, dann nahm sie das schnurlose Telefon von der Halterung.

      „Schlafstudio Berghüser!“ Jana war immer noch sauer, dass ihr jemand das Ausschlafen vermasselt hatte, und konnte sich diese Anspielung nicht verkneifen. „Und dies ist der telefonische Weckdienst. Sie wollten geweckt werden!“ hörte sie eine vergnügte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mensch, Frau Harmsen! Aber nicht mitten in der Nacht! Seit wann gehörst du zu den Frühaufstehern?“ „Es ist halb zehn in Deutschland – Zeit fürs Frühstück“, grinste Stephanie hörbar. Sie kannte Janas Schlafrhythmus recht gut. Aber sie wollte endlich ihre Neuigkeiten loswerden, außerdem hatte sie Spätdienst und musste um 12 Uhr auf Station sein. „Wenn man dich auch nie erreicht! Wo treibst du dich denn immer rum abends?“ „Musst du alles wissen?“ Jana hatte ihre gute Laune mit einer Tasse schwarzem Kaffee geweckt. Bei aller Störung – ihrer besten Freundin konnte sie nicht wirklich böse sein. „Aber was ist so wichtig? Hast du einen Mann kennen gelernt?“ „Du denkst auch wohl an nichts anderes! Nein, ich habe auch keinen Bedarf. Der Letzte reicht mir fürs Erste.“ Jana kannte Carsten und natürlich die ganze Geschichte bis in alle Einzelheiten. „Obwohl“, hörte sie Stephanie dann nachdenklich sagen, „der hat sich vor ein paar Tagen auf meinem AB verewigt. Ich hab’ aber nicht zurück gerufen. Ich will das einfach nicht mehr.“ „Gratuliere!“

      Jana wusste, wie es einem nach einer solchen Trennung ging. Auch sie kannte das Gefühl in diesem Zustand. „Nee, Jana, Männer – nein danke. Jedenfalls im Moment. Aber weißt du, wo ich am Mittwochabend war?“ „Nee, woher? Etwa Ski laufen?“ „Klar, am Abend bei Vollmond! Du lebst zu lange in der Großstadt! In – und vor allem auf – den Bergen ist es abends wirklich dunkel“, klärte sie Jana scherzhaft auf. „Ich war bei einem Hauskreis.“ „Bei einem – was?“ „Hauskreis. Das sind ‘ne Menge Leute in unserem Alter, zu irgendwelchen Freikirchen gehören.“ So ganz genau hatte Stephanie gar nicht verstanden, was genau das war – aber es klang einfach zu gut, um Jana zu irritieren, denn selbstverständlich konnte Stephanie sich die Reaktion ihrer Freundin an fünf Fingern abzählen. Diese kam dann auch prompt: „Freikirche? Seit wann gehst du zur Kirche? Und was ist eine Freikirche?“ „Das kann ich dir auch nicht so genau erklären, hab’ ich selber noch nicht so richtig verstanden. Auf jeden Fall war es ganz anders als die Kirche bei uns. Und soll ich dir was sagen: Das war richtig gut!“ „Willst du jetzt etwa fromm werden?“ Jana war überhaupt nicht begeistert. „In der Kirche verbieten sie dir doch nur alles, was Spaß macht.“ „Also, hier hat mir niemand irgendetwas verboten. Außerdem war ich ja überhaupt nicht in der Kirche. Nur bei diesem Hauskreis.“

      „Und was habt ihr da gemacht?“ „Tee getrunken, Lieder gesungen und über irgendwas aus der Bibel diskutiert.“ „Bibel. Du??“ Jana prustete vor Lachen. „Sorry, aber die Vorstellung ist zu witzig! Dieses alte Märchenbuch!?“ „Du kannst lachen, Jana, aber die Leute dort scheinen das wirklich ernst zu nehmen, was darin steht.“ „Aber du hoffentlich nicht!“ Jana bekam langsam Angst, dass Stephanie es ernst meinen könnte. Bisher waren beide sich immer einig gewesen, dass Kirche und alles, was damit zu tun hat, total verstaubt war und in der heutigen Zeit nichts mehr verloren hatte. „Ich weiß nicht, Jana, eigentlich nicht. Aber andererseits machen die allesamt nicht den Eindruck, als würden sie spinnen. Eine von ihnen ist meine Kollegin. Britta, von der ich dir schon erzählt habe. Sie ist wirklich nett, gar nicht weltfremd, und spinnen tut sie ganz bestimmt nicht.“ „Ist das nicht die, die nicht mit ihrem Freund zusammen in einem Zimmer schläft?“ erinnerte Jana sich an ein früheres Gespräch.

      Brittas Freund Oliver war Assistenzarzt in Innsbruck, lebte aber seit kurzem in den USA, wo er einen Teil seiner Facharztausbildung absolvierte. Britta hatte kurz nach Stephanies Arbeitsbeginn auf Station von ihrem Besuch über Weihnachten bei Oliver erzählt und dabei erwähnt, dass sie im Gästezimmer übernachtet habe. Dieses für Stephanie ungewöhnliche Detail hatte sie seinerzeit Jana erzählt. „Genau die“, antwortete Stephanie jetzt, „aber die ist echt schwer in Ordnung.“ „Naja, aber meinst du nicht, dass genau das das Ergebnis dieser Kirche ist?“ „Kann sein, aber auf der anderen Seite ist es schließlich ihre eigene Entscheidung. Ich würde das sicher anders entscheiden, aber das muss sie

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