Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer
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Eine Viertelstunde später begann Stephanie strahlend, das Frühstück für die Patienten vorzubereiten. Margot hatte ohne viel Aufhebens ein paar Dienste getauscht, und tatsächlich bekam Stephanie einmal 4 Tage und einmal 2 Tage frei – dazwischen musste sie 3 Tage arbeiten, doch das war nicht weiter tragisch. Frühdienst – da blieb der halbe Tag, um mit Jana etwas zu unternehmen. Sie hatte sich beherrschen müssen, Margot nicht um den Hals zu fallen – das wäre doch etwas befremdend gewesen. Doch offensichtlich hatte Margot verstanden, dass mit Stephanie in den bewussten Tagen sowieso nicht sehr viel anzufangen gewesen wäre, wenn sie normal hätte arbeiten müssen. Ihre freudige Aufregung sprach Bände.
* * *
Birgit Mooser stellte ihre Skier in den Abstellraum und ließ sich in der Küche auf die Eckbank fallen. Christine sah ihre Tochter an. „Was ist los, Biggi? Schon zurück?“ Wenn Birgit zum Ski fahren ging, kam sie nie vor Eintritt der Dunkelheit zurück. „Das Wetter dreht. Es dauert nicht mehr lange, bis da gewaltig ‘was runterkommt.“ Christine sah auf die Uhr. Kurz nach 15 Uhr. Michael konnte noch nicht wieder unten sein, wenn er die Tour gemacht hatte, die er geplant hatte. Hoffentlich konnte er die Zeichen der Natur auch einschätzen und fand eine Möglichkeit, den Berg so schnell wie möglich zu verlassen. Wenn er inzwischen bei der Mittelstation des Jenner angekommen war, würde er es vielleicht noch schaffen, eine Seilbahn zu bekommen, bevor deren Betrieb eingestellt wurde. „Weißt du, wie es an der Mittelstation aussieht? Verkehrt die Seilbahn noch?“ fragte Christine ihre Tochter. „Michael ist unterwegs vom Obersalzberg zum Jenner, und er ist ziemlich spät los gekommen.“ „Ich schätze, eine halbe Stunde fährt sie noch“, überlegte Birgit. „Michael ist so oft im Winter hier, dass er eigentlich wissen müsste, was sich da zusammenbraut. Aber wir sollten trotzdem die Uhr im Auge behalten.“ Christine nickte nachdenklich. Schon einmal war ein Pensionsgast bei einem plötzlichen Wetterumbruch schwer verunglückt. Solche Ereignisse blieben in den Bergen nicht aus, trotzdem nahmen sie einen immer wieder mit. Und Michael gehörte schon fast zur Familie.
Christine machte sich ernsthafte Sorgen. „Tine, er wird ankommen!“ Birgit benutzte in solchen Momenten gerne die Anrede, mit der sonst nur ihr Vater seine Frau ansprach. Es hatte etwas Beruhigendes. „Ja, er wird es schaffen. Er hat genug Erfahrung und ist vorsichtig und vernünftig genug.“ Christine sagte es mehr zu sich selbst als zu Birgit. „Wo steckt eigentlich Flori?“ wechselte sie dann das Thema. Ihren Sohn hatte sie schon seit Stunden nicht mehr gesehen – nach dem Mittagessen war er mit einem flüchtigen „Servus“ verschwunden. In letzter Zeit hatte er sich abgewöhnt zu sagen, wohin er ging. Meistens war er mit seinem Mountainbike über alle Berge, bevor man ihn noch fragen konnte, wohin er ging und wann er sich wieder sehen lassen würde. „Ist der nicht bei Timo? Die versuchen sich doch mit ein paar anderen neuerdings als Band im Keller bei Timos Eltern. Ich vermute ihn dort.“ „Bitte ruf einmal dort an“, bat Christine, „ich möchte wissen, wo er steckt.“ Birgit erkannte die Sorge ihrer Mutter und holte das Telefon aus der Diele. Drei Minuten später wussten beide, dass Florian tatsächlich im Keller seines Freundes ein Schlagzeug bearbeitete.
* * *
Florian und Birgit deckten den Abendbrot-Tisch ab, als es an die Küchentür klopfte. Auf Peters Aufforderung hin steckte Michael seinen Kopf zur Tür herein. „Grüß dich, Michael, meine Frau hat sich schon ernsthafte Sorgen um dich gemacht“, begrüßte ihn Peter. „Komm doch herein.“ „Nein, lieber nicht, ich bin der leibhaftige Schneemann. Aber nach einer heißen Dusche sehr gerne. Wollte mich nur zurück melden.“ „Schön, dass du heil wieder da bist“, rief Christine aus dem Wohnzimmer. „Hast du noch die Seilbahn bekommen?“ „Ja, die allerletzte Gondel! Das war wirklich knapp.“ Vom Königssee war er zu Fuß durch den inzwischen aufgekommenen Schneesturm bis zur Pension gelaufen, nun sehnte er sich nach einer heißen Dusche und etwas zu essen. Das würde er nachher von Christine bekommen, das wusste er.
7
Michael fuhr mit einem Schwung an den Rand der Skipiste und zog sein Handy aus der Hosentasche. Es gab Freunde, die ihn belächelten, dass er das Telefon sogar mit auf die Piste nahm – aber er fand, er habe es schließlich, um erreichbar zu sein oder um in Notfällen ein Telefon zur Hand zu haben. Und Notfälle kamen eben gerade auf Skipisten öfter vor. „Michael Aschmann, hallo?“ Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. Am anderen Ende meldete sich sein jüngerer Bruder. Wenn sich die beiden auch recht gut verstanden, so war es wirklich nicht an der Tagesordnung, dass sie miteinander telefonierten, schon gar nicht während seines Urlaubs. Wenn Stefan anrief, hatte das einen tieferen Grund. „Ich will dich nicht unnötig beunruhigen“, hörte Michael seinen Bruder sagen, „aber vielleicht solltest du wissen, dass Vater ins Krankenhaus gekommen ist.“ „Schon geschafft“, antwortete Michael. „Was ist passiert?“ Nichts Schlimmes, wie ihm Stefan versicherte. Ein harmloses Magengeschwür, das aber entfernt werden sollte. Der Bruder konnte ihn schließlich davon abhalten, den Urlaub Hals über Kopf abzubrechen, der in 3 Tagen sowieso zu Ende war. Michael blieb noch eine Weile am Rand der Piste stehen und sah gedankenverloren den anderen Sportlern zu, die wie er das wunderschöne klare Wetter zu einer ausgiebigen Skitour genutzt hatten. Lange würde es nicht mehr dauern, dann war es für diese Saison mit dem Wintersport vorbei. Nein, Michael wollte die letzten Tage wirklich noch genießen, bevor der Alltagsstress ihn wieder voll mit Beschlag belegte. Sein Vater war gut versorgt, und er selbst würde vermutlich mit seinem Sohn schimpfen, wenn dieser wegen einer harmlosen Geschichte den Urlaub abbrechen würde.
Alltag – in diesem Alltag würde auch Katrin wieder auftauchen. Er hatte es in diesen drei Wochen tatsächlich geschafft, nicht pausenlos an sie zu denken. Zu schön war die Umgebung, zu freundlich und liebevoll der Familienanschluss an die Familie Mooser – Ablenkung gab es hier tatsächlich genug. Doch mit einem Schlag stand Katrin ihm wieder vor Augen. Wie würde das werden? Sie würden sich zwangsläufig begegnen, sie gingen in dieselbe Gemeinde, hatten teilweise einen gemeinsamen Freundeskreis, und dazu wohnten sie auch nur drei Straßen voneinander entfernt. Was am Anfang ein glücklicher Zufall zu sein schien, wurde nun zum Alptraum. Er wusste nicht, wie er reagieren würde, wenn er Katrin auch noch mit Thomas sehen würde. Daran durfte er gar nicht denken. Ob der Schmerz, den er jetzt wieder verspürte, jemals nachlassen würde? Er konnte es sich nicht vorstellen. Liebe ließ sich eben nicht abstellen wie ein Radio. Bei diesen Gedanken schien sein Herz sich immer fester zuzuschnüren, und nichts würde es schaffen, den Knoten wieder zu lösen.
Langsam ließ er sich wieder auf die Piste gleiten. Er hatte Katrin das Skifahren beibringen wollen, und er war sich sicher, dass sie es sehr schnell gelernt hätte. Sportlich genug war sie. In Gedanken malte er sich aus, wie viel Spaß sie gehabt hätten. Plötzlich spürte er einen heftigen Stoß, hörte Menschen erschreckt aufschreien und verspürte einen brennenden Schmerz im Bein.
Das Nächste, an das er sich erinnern konnte, waren viele Menschen um ihn herum, einer davon drückte ständig auf seinem schmerzenden Bein herum und stellte ihm Fragen. Kurz darauf hoben zwei weitere Männer ihn auf eine Trage, mit der sie ihn zu einem in der Nähe gelandeten Hubschrauber brachten.
* * *
Stephanie schlüpfte durch die Drehtür der Klinik ins Freie. Feierabend. Sie war müde, gestern Spätdienst, heute Frühdienst – das war anstrengend, aber das strahlende Wetter lud dazu ein, noch etwas zu unternehmen. In den letzten Wochen war es oft genug trübe gewesen – heute schien die Sonne aus vollster Kraft und ließ die schneebedeckten Berge im Hintergrund in einem ganz besonderen Licht erstrahlen. „Ich glaube, ich fahre mal an den Königssee“, überlegte Stephanie halblaut. Ihre Gedanken wurden unterbrochen von einem immer lauter werdenden Geräusch über ihr. Sie sah nach oben. „Christoph. Wieder ein Skifahrer.“ Das war eine glatte Feststellung. In der kurzen Zeit, in der sie in den Bergen lebte und arbeitete, hatte sie schnell gelernt, dass ein Großteil der Hubschraubereinsätze verunglückte Skifahrer bergen musste, jedenfalls jetzt im Winter.