Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer
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Stephanie war noch krankgeschrieben, aber heute traute sie sich endlich einmal wieder nach draußen. Die klare Winterluft würde ihr gut tun. Sie wickelte sich einen dicken Schal um den Hals, schlüpfte in die gefütterten Stiefel, zog den Reißverschluss des Anoraks bis oben hin zu und setze sogar eine Wollmütze auf. Eigentlich hasste sie Mützen, aber die letzte Woche im Bett hatte ihr gereicht. Eine Verlängerung der Erkältung konnte sie gar nicht brauchen. Noch zwei Tage, dann sollte und wollte sie wieder arbeiten.
Dicke Schneeflocken flogen ihr ins Gesicht, setzten sich auf die Augenbrauen und krochen in ihre Nase, als sie die Straße betrat. Sie hatte kein bestimmtes Ziel, wollte einfach nur frische Luft tanken, vielleicht ein paar notwendige Dinge einkaufen. Außerdem hatte sie Sehnsucht nach Menschen und Leben. Sie schlug den Weg zur Stadtmitte ein. Bei diesem Wetter waren nicht so viele Menschen auf der Straße. Die Einheimischen zogen es vor, es sich zu Hause gemütlich zu machen, doch viele Urlauber ließen sich nicht abschrecken und entdeckten das Bergstädtchen im Schneegestöber. An einer Bushaltestelle standen fast 10 Personen. Alles Touristen, vermutete Stephanie. Die wollten vermutlich aus dem vermasselten Skitag das Beste machen und ein bisschen Kultur im nahen Österreich schnuppern. Am liebsten würde sie mitfahren, Salzburg kannte sie noch nicht. Aber nach einer Woche im Bett mit noch leicht wackeligen Beinen war ihr das noch zu anstrengend. Und wenn sie zufällig jemand aus der Klinik sähe, würde das sicherlich auch nicht den besten Eindruck hinterlassen.
Krankgeschrieben heißt nicht, im Bett liegen zu müssen, das wusste sie nur zu gut, und ihre Kollegen natürlich auch. Gegen einen Spaziergang in Berchtesgaden war nichts einzuwenden, aber ein Ausflug nach Salzburg könnte leicht einen anderen Anschein erwecken. Ein Bus rollte langsam an die Haltestelle heran, schluckte die Menschenmenge und fuhr weiter. Stephanie spazierte weiter bis zum Marktplatz. Aus einem Café kamen verlockende Düfte, und sie stellte freudig erstaunt fest, dass sie diese schon wieder wahrnahm. Das war das Ende der Grippe! Sie öffnete die Tür und suchte sich einen Platz. Am späten Vormittag war noch nicht viel Betrieb hier, so dass sie die freie Auswahl hatte. Am Fenster hatte sie Gelegenheit, die Menschen zu beobachten, die vorbei gingen. Sie bestellte einen Cappuccino und ein belegtes Brötchen, entdeckte die ausliegenden Zeitungen und nutzte die Gelegenheit, einmal in der örtlichen Tageszeitung zu blättern und zwischendurch immer wieder einen Blick auf den Marktplatz zu werfen. Sie liebte es, die Menschen zu beobachten.
Touristen strömten auch im Winter in die Andenkenläden, ein alter Mann bewegte sich mühsam mit einem Stock über das glatte Pflaster, eine junge Frau schob einen Kinderwagen, ein etwa fünfjähriger Junge mit einem wuscheligen Hund an der Leine trabte hinter ihr her. Ab und zu blieb der Junge stehen und ließ sich von dem Hund über den Schnee ziehen. Stephanie musste lachen, als sie das Schauspiel beobachtete. Der Hund schien auch seinen Spaß daran zu haben und zog das Kind scheinbar mühelos über den Schnee. Die Mutter dagegen musste den Kinderwagen manchmal mit ziemlicher Anstrengung vorwärts bewegen. Ein bis zum Rand gefüllter Korb unter dem Wagen ließ auf einen größeren Einkauf schließen.
Eine Stunde später verließ Stephanie das Café, entschloss sich zu einem kleinen Einkauf und machte sich langsam wieder auf den Heimweg. Für den Anfang war dieser Ausflug genug.
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Der Anrufbeantworter zeigte an, dass jemand eine Nachricht hinterlassen hatte. Stephanie warf ihre Jacke achtlos auf einen Sessel, stellte den Einkaufsbeutel vor dem Küchentisch ab und drückte die Wiedergabetaste an dem Gerät. „Hallo Stephi, ich wollte mal hören, wie es dir im tiefen Süden geht.“ Der Anrufer hatte keinen Namen genannt, doch das war auch nicht nötig. Es verschlug Stephanie auch so die Sprache. „Melde dich doch mal. Vermisst du Hamburg nicht?“ „Doch“, dachte sie, „im Moment sogar sehr. Musst du ausgerechnet jetzt anrufen, wo ich dich fast vergessen hatte?“ Seit ihrem Umzug hatte sie von Carsten nichts mehr gehört. Woher hatte er überhaupt ihre Telefonnummer? Sie hatte sie ihm nicht gegeben. Schon vor 5 Monaten hatten sie sich getrennt, und Stephanie wollte ein ganz neues Leben beginnen. Da kam die Stellenannonce in der Zeitung gerade recht. Sie bewarb sich spontan, und kurz darauf fuhr sie nach einem Vorstellungsgespräch im Kreiskrankenhaus Berchtesgaden mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche zurück nach Hamburg. Bevor sie sich richtig besinnen konnte, wurde es Zeit, sich um Kündigung, Wohnung und Umzug zu kümmern, und zum Jahresbeginn hatte sie ihren ersten Dienst-Tag auf der chirurgischen Station im südöstlichsten Zipfel Bayerns angetreten.
Erinnerungen kamen hoch, Erinnerungen an schöne Zeiten mit Carsten, an Urlaub an der Ostsee, in Spanien und auf Mallorca. Immer musste es am Wasser sein, Carsten konnte ohne dieses Element nicht leben. Auch Stephanie mochte das Wasser, doch für sie war es nicht derartig lebensnotwendig. In ihrer neuen Heimat hatte sie gleich am ersten freien Wochenende den Chiemsee besucht und festgestellt, dass dieser ausreichend groß war, um ihr Wasserbedürfnis zu stillen. Eine knappe Stunde Autofahrt war eine angemessene Entfernung. Für sie war schon klar, dass sie im Sommer öfter einmal dort zu finden sein würde. Für Carsten jedoch würde das niemals ausreichen.
Im letzten halben Jahr ihrer Beziehung hatten beide gemerkt, dass sie sich immer mehr voneinander entfremdeten. Jeder begann mehr und mehr, seine eigenen Wege zu gehen, seine eigenen Interessen stärker zu verfolgen, ohne auf den Partner zu achten. Als sie es endlich merkten, war es im Grunde schon zu spät. Alle halbherzigen Versuche, die Beziehung wieder zu kitten, blieben am Ende erfolglos. Eines Tages setzten sie sich zusammen und beschlossen offiziell, als Freunde auseinander zu gehen.
Während Carsten mit diesem Status weniger Probleme zu haben schien und sich auch ab und zu bei Stephanie meldete, fiel es ihr sehr schwer, plötzlich eine lockere Freundschaft zu ihrem ehemaligen Partner zu unterhalten. Sie ging ihm lieber aus dem Weg, das ermöglichte ihr, die Trennung erst einmal zu begreifen und auch zu akzeptieren. Seitdem sie 1000 km von Hamburg entfernt war, fiel ihr das ein bisschen leichter, zumal Carsten sich seitdem auch nicht mehr gemeldet hatte. Und nun diese Nachricht. Stephanie entschloss sich, den Anruf erst einmal zu ignorieren und nicht zurückzurufen. Sie drückte die Löschtaste an dem Gerät.
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„Die Stadt der Liebe“, dachte Michael bitter, als er durch die schöne Innenstadt Salzburgs bummelte. Wie gerne hätte er diese Stadt mit Katrin erkundet, hätte ihr die Plätze gezeigt, die er so liebte, wäre mit ihr zur Festung hinaufgestiegen, hätte ihr das große Naturkunde–Museum gezeigt und die Gemütlichkeit der österreichischen Kaffeehäuser nahegebracht. Heute machte Salzburg ihm keine Freude. Gedankenversunken ließ er seinen Blick hoch zur weißen Festung schweifen, die im immer noch fallenden Schnee kaum zu sehen war. Der Weg hinauf würde heute gesperrt sein, außerdem war bei dem Wetter auch keine gute Aussicht zu erwarten.
Michael betrat das nächste Café, bestellte sich eine Melange und hing seinen Gedanken nach. Katrin wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen. Er griff nach einer der Ansichtskarten, die er vorher gekauft hatte, und schrieb ihr einen Urlaubsgruß. „Wer weiß, vielleicht wirkt das ja doch“, hoffte er im Geheimen. Er konnte es immer noch nicht glauben, dass eine Freundschaft nach zwei Jahren von einem Tag auf den anderen zu Ende sein sollte, ohne Hoffnung auf eine Wiederbelebung. Thomas, der zusammen mit Katrin im Gospelchor Frankfurt sang, hatte es geschafft, dass sie alles über den Haufen warf und sich nicht mehr sicher war, ob sie Michael wirklich liebte. Thomas faszinierte sie, auch wenn sie, wie sie sagte, nicht direkt in ihn verliebt sei. Aber alleine, dass er diese Faszination in ihr auslöste, brachte sie dazu, über ihre Beziehung zu Michael nachzudenken. Sie wollte Michael nicht betrügen, auch nicht mit falschen Karten spielen, deshalb schenkte sie ihm sofort reinen Wein ein. Auf der einen Seite war Michael dankbar für ihre Ehrlichkeit, aber auf der anderen Seite tat es einfach nur weh. Er liebte Katrin, er hatte sie heiraten und mit ihr eine Familie gründen wollen.