Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer

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Neues Leben für Stephanie - Lisa Holtzheimer

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Eine Stunde länger hätte sie gerne noch geschlafen, aber ein neuer Versuch lohnte sich nicht mehr. Also stand sie auf, füllte die Kaffeemaschine, bevor sie unter die Dusche stieg, um sich den Schlaf abzuspülen. Die gewonnene Zeit konnte sie nutzen, um endlich mal den Brief einer anderen Freundin zu beantworten, der schon lange auf ihrem Schreibtisch lag und sie jeden Tag vorwurfsvoll anschaute. Wenn Jana da war, würde sie sowieso nicht zum Schreiben kommen, und dann wären wieder mindestens zwei Wochen vergangen. Frisch geduscht mit ebenso frischem Kaffee schnappte sie sich einen Stift und Briefpapier. „Hallo, liebe Anja, ...“.

      9

      In Janas Schlafzimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Auf dem Bett lag ein Koffer, daneben und auf dem Fußboden ganze Stapel Pullover, Hosen, T–Shirts und andere nützliche Dinge, die man im Urlaub brauchen kann. Mittendrin saß Jana und überlegte krampfhaft, welche Ausstattung sie nun wählen sollte. Berge und Schnee waren Neuland für sie – Urlaub hatte für sie bisher bedeutet, sich auf Mallorca in die Sonne zu legen und nachts die Diskotheken zu erkunden. Bayern war etwas für Omas, war ihre eindeutige Meinung. Ob es in Berchtesgaden Diskotheken gab? Tatsächlich hatte sie Stephanie noch nicht danach gefragt, wurde ihr erst jetzt bewusst. „Das ist ein Urlaubsort, da wird‘s eine Disco geben“, entschied sie dann und warf Glitzer–Shirt und enge Hosen in den Koffer. Die entsprechenden Schuhe durften natürlich auch nicht fehlen. Bei dem Gedanken an den von Stephanie immer wieder erwähnten Schnee schüttelte sie sich. Wenn die Beschreibung stimmte, lag dieser dort immer noch meterhoch. Der März hatte begonnen, und ihr war entgegen ihrer kurzen Phase im Büro vor ein paar Tagen mehr nach Frühling zu Mute. Aber wer fragt schon nach dem Wetter, wenn es darum geht, die beste Freundin zu besuchen ... Also auch ein paar dicke Pullover und warme Jeans einpacken. Morgen Nachmittag ging ihr Flieger – dieses Mal nicht nach Palma de Mallorca, sondern nach Salzburg. Sie konnte es noch nicht wirklich fassen.

      * * *

      Stephanie wälzte sich von einer Seite auf die andere. 2 Uhr 28. Als sie vor Stunden das letzte Mal auf die Leuchtanzeige des Radioweckers geschaut hatte, war es 2 Uhr 12 gewesen. In weniger als drei Stunden würde sich das Radio einschalten und die Nacht beenden. Ihr grauste vor dem Gedanken, todmüde und fast ohne Schlaf 8 Stunden Dienst machen zu müssen; auf der anderen Seite hatte dann diese elende Warterei ein Ende. Die Umstellung zwischen Nachtwache und Tagdienst war sowieso schon nicht einfach, und ihre freudige Aufregung sorgte dafür, dass sie gar kein Auge mehr zubekam. Um 16 Uhr 12 würde Jana in Salzburg landen, gerade die richtige Zeit, damit Stephanie vorher noch beim Bäcker vorbeigehen konnte, um frischen Kuchen zu besorgen, und dann nach Salzburg zu fahren. Die Entfernung war nicht weit, bis zum Ortsanfang vielleicht 25 km. Der Flughafen lag jedoch genau am anderen Ende der Stadt. „Das wird ja spannend“, dachte sie. Bisher kannte sie Salzburg nur vom Hörensagen und von dem Besuch bei Brittas Hauskreis. Der allerdings war in einer Wohngegend vor der Stadt gewesen. Wenigstens wusste sie daher, welche Richtung sie einschlagen musste und wie lange Fahrtzeit sie bis zum Ortsanfang rechnen musste. Einen Stadtplan konnte sie auch lesen, und für eine Hamburgerin war Salzburg ein größeres Dorf. So traute sie sich zu, den Flughafen ohne größere Probleme zu finden.

      * * *

      „... und viel Sonne! Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Tag.“ Was war das? Wer sprach mit ihr mitten in der Nacht? Ach, nur das Radio. Letztendlich war Stephanie doch noch eingeschlafen und gar nicht begeistert, jetzt schon wieder aufstehen zu müssen. Aber es half nichts, die Patienten warteten – und die Kolleginnen auch. So schnell wollte sie nicht wieder zu spät kommen. Zudem hatte Margot heute auch Frühdienst – dieser Gedanke ließ Stephanie endgültig aus dem Bett steigen. Sie verstand sich recht gut mit der Stationsschwester, wollte sie aber trotzdem keine unnötigen Schnitzer erlauben, und dazu gehörte, dass sie pünktlich 2 – 3 Minuten vor sechs Uhr auf der Station erschien. Immerhin, der Mensch im Radio hatte gerade etwas von viel Sonne gesagt. Selbst das Wetter schien sich mit ihr zu freuen. Die Dusche – heute etwas kälter als sonst – sorgte dafür, dass auch der restliche Schlaf aus Stephanie verschwand. Kaffee würde sie auf Station bekommen, den bereitete die Nachtwache jeden Morgen für den Frühdienst vor.

      Dick eingepackt verließ sie kurze Zeit später das Haus. Sonne hin oder her – noch schlief diese und überließ ihrem Kollegen Mond die Wache am Himmel. Dementsprechende Temperaturen hatten wieder einmal alle Scheiben ihres Autos mit einer dicken Eisschicht überzogen – also kratzen. Jana hatte ihre ganz eigene Methode, mit solchen Unannehmlichkeiten umzugehen – sie goss einfach warmes Wasser über die Scheiben, stellte den Scheibenwischer an und hatte freie Sicht. Obwohl die Freundin seit Jahren erfolgreich mit dieser Methode war, traute Stephanie sich nicht, es ihr nachzutun. Bestimmt würde ihre Scheibe platzen. Somit kratzte sie auch an diesem Morgen so viel wie nötig und so wenig wie möglich, um zu sehen, was der um diese Zeit spärliche Verkehr um sie herum tat. Auch dies war eine gute Methode zum Wachwerden.

      Sechs Minuten vor 6 betrat sie die Eingangshalle des Krankenhauses, weitere drei Minuten später verließ sie den Fahrstuhl im dritten Stock und öffnete die Tür zum Schwesternzimmer, wo die Nachtwache gerade die Kaffeemaschine einschaltete. „Guten Morgen, Martina. Super, dass es gleich frischen Kaffee gibt. Sonst lege ich mich in das nächste freie Bett ...“ Martina grinste: „Genau das werde ich gleich tun – aber in mein eigenes.“ „Beneidenswert“, stöhnte Stephanie und hoffte einmal mehr, dass nichts Außergewöhnliches passieren würde heute. Ein paar ruhige Stunden am Schreibtisch wären genau das, was sie heute brauchen könnte. „Hoffentlich haben die Patienten ein Einsehen mit mir“, dachte sie.

      * * *

      „Oh nein, nicht schon wieder“, jammerte Michael gespielt, als Dr. Matthias Bechstein ihn freundlich um ein paar Milliliter Blut bat. Gestern hatte er diese Prozedur gleich dreimal über sich ergehen lassen müssen, und wenn es auch erträglich war, so reichte es ihm doch langsam. Seit Tagen kämpfte Michael mit leichtem Fieber, und das gefiel weder ihm noch den Ärzten. Über verschiedene Bluttests versuchten sie, die Ursache zu finden, kamen aber bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis. Dazu kam, dass die Schmerzen in Michaels Bein einfach nicht nachlassen wollten – die Ursache hierfür lag offenbar an den Nägeln und Schrauben, die ihm in der Operation nach dem Unfall eingesetzt worden waren. Irgendetwas war dort nicht in Ordnung. Dr. Bechstein setzte sich auf die Bettkante, um seinem Patienten zu erklären, dass sie vermutlich nicht um eine zweite Operation herum kommen würden.

      Diese Nachricht begeisterte Michael nur wenig. Er hatte gehofft, in ein paar Tagen wenigstens einen Gehgips zu bekommen, um endlich dem Bett entfliehen zu können. Doch die von Anfang an kaum nachlassenden Schmerzen in seinem Bein gaben dem Arzt Recht. Nach außen hin hatte er seinen Humor bisher wahren können – es machte ihm auch Spaß, mit den Schwestern herumzualbern oder seinen Mitpatienten Rätsel aufzugeben. Doch jetzt war ihm nicht mehr nach Lachen oder Herumalbern zumute. Eine weitere Operation bedeutete nicht nur eine erhoffte Besserung seines Zustandes, sondern natürlich auch eine noch nicht abzusehende Verlängerung seines unfreiwilligen Aufenthaltes hier. Wie gut, dass er einen verständnisvollen Chef hatte, der ihm am Telefon als erstes gesagt hatte, er solle auf keinen Fall auch nur einen Tag zu früh wieder mit der Arbeit beginnen. Der Tag würde bestimmt kommen, an dem sein Vorgesetzter diese Aussage bereuen würde. An Arbeit würde mindestens die nächsten 2 Monate nicht zu denken sein, wenn das hier so weitergehen würde. Von Stefan wusste er, dass sein Vater seinen Eingriff längst gut überstanden hatte und schon wieder zu Hause in seinem geliebten Schaukelstuhl saß. Derweil versuchte er, im Berchtesgadener Krankenhaus die Zeit totzuschlagen.

      Außer einem fast rund um die Uhr laufenden Fernsehgerät gab es kaum eine Abwechslung. Bücher hatte er keine dabei, denn er war zum Skilaufen und nicht zum Lesen in den Urlaubsort gekommen. Das einzige Buch, das er im Gepäck hatte, lag in seinem Koffer im Abstellraum von Christine und Peter Mooser. Diese hatten sein Zimmer ausräumen müssen, um für den nächsten Gast Raum zu schaffen. Dabei hatten sie alles in den Koffer gelegt und diesen zur Aufbewahrung in den Abstellraum gelegt.

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