Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer
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„Jana, ich glaub, ich bin gerade dabei, einen Riesenfehler zu machen!“ Stephanie ließ die Wohnungstür ins Schloss fallen, warf ihre Jacke auf einen Sessel und schaute lange aus dem Fenster. Jana sah ihr eine Weile zu und platzte dann vor Neugierde. „Was ist passiert?“ Stephanie atmete tief durch: „Ich glaub, ich bin grad auf dem besten Wege, mich zu verlieben.“ Jana staunte nicht schlecht. So von jetzt auf gleich war das bei Stephanie eher ungewöhnlich. „Ein Kollege?“ Stephanie schüttelte den Kopf. „Schlimmer.“ „Ein Arzt?“ Wieder Kopfschütteln. „Noch schlimmer. Ein Patient.“ „Oh oh“, meinte Jana nur. Mehr fiel ihr nicht ein. Stephanie schien hier unten sämtliche Vorsätze zu brechen. Erst die Geschichte mit diesem merkwürdigen frommen Kreis, und nun auch noch ein Patient. Patienten waren für sie immer nur Patienten gewesen, zu denen man freundlich ist, aber persönliche Beziehungen waren absolut tabu. So etwas war noch nie passiert. Während ihrer Beziehung zu Carsten hatte es dazu freilich auch keinerlei Anlass gegeben. Hier aber hatten sich die Dinge geändert.
„Naja“, meinte Jana schließlich, „warum nicht? Ich mein’, ein Patient ist doch auch nur ein Mensch – in dem Fall ein Mann.“ Sie konnte sich ein hörbares Grinsen nicht verkneifen. „Jana! Patienten waren für mich immer tabu, sowas wie neutral!“ Stephanie war wirklich verzweifelt. „Ich weiß gar nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Und wenn die Stationsschwester das mitkriegt, dann Prost Mahlzeit.“ „Geht die das auch ‘was an?“ fragte Jana erstaunt zurück. „Na, immerhin ist sie meine Vorgesetzte. Und als Schwester muss ich mich neutral verhalten.“ „Okay“, meinte Jana gelassen, „sie muss es ja nicht mitkriegen. Du wirst es kaum an die Pinwand schreiben, und ewig wird der ja nicht Patient bleiben.“ „Nee, ewig nicht“, bestätigte Stephanie, „aber vermutlich noch eine ganze Zeit. Den hat’s bös’ erwischt. Und wenn er dann mal entlassen wird, ist er eh weg.“ Jana sah sie fragend an. „Wieso?“ „Urlauber“, sagte die Freundin nur, als sei es Selbstverständlichste von der Welt, dass hier im Krankenhaus nur Urlauber lägen.
Auch das fand Jana nicht unbedingt hinderlich. Schließlich befanden sie sich im Zeitalter von Telefon und eMail – jedenfalls die meisten. Manche Leute hätten den Anschluss bisher halt noch nicht bekommen, musste Stephanie sich jetzt wieder anhören. Wo er denn wohnte, wollte Jana wissen. Stephanie zuckte die Schultern: „Keine Ahnung. Jedenfalls spricht er nicht bayerisch.“ Das wiederum wertete Jana als absoluten Pluspunkt. „Wie alt? Was macht er? Wie ...?“ „JANA!“ Stephanie hielt sich die Ohren zu. „Ich weiß es doch nicht. Woher denn? Ich hab’ ihn nicht danach gefragt. Überhaupt – was mache ich nur, wenn ich wieder zu ihm muss?“ „Ihn freundlich anlächeln und ‘guten Morgen’ sagen“, grinste Jana mitleidslos, um dann zu fragen: „Hast du denn einen Hauch von Ahnung, wie er darüber denkt?“ Stephanie atmete tief durch: „Das ist es ja. Er hat mich auf eine Weise angesehen, dass ich überhaupt erst auf die Idee gekommen bin ...“. „Na, dann ...“ Für Jana war die Sache klar. Stephanie jedoch fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
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Die Visite war vorüber, und Dr. Bechstein hatte heute eine gute Nachricht für Michael gehabt. Sein Bein sah besser aus als erwartet, und wenn die Heilung jetzt so fortschreiten würde, wäre die dritte Operation vom Tisch. „Natürlich brauchen Sie trotzdem viel Geduld“, erklärte er seinem Patienten, „durch die Entzündung und die zweite Operation ist der Prozess ein ganzes Stück zurückgeworfen worden. Bis wir mit Ihnen wieder das Laufen lernen, wird es noch ein Weilchen dauern.“ Im Zusammenhang mit der ersten Nachricht fand Michael das überhaupt nicht mehr schlimm. Hauptsache, nicht noch eine Operation. Zwei hatten ihm gereicht. Für den späten Vormittag wurde eine Röntgenuntersuchung angesetzt, zu der er mit dem Rollstuhl gebracht werden würde. Endlich ging es aufwärts. Gerne würde er das jetzt Schwester Stephanie erzählen, doch die hatte er schon zwei Tage nicht mehr gesehen. Außerdem würde sie es sicher wissen, schließlich arbeitete sie hier und kannte die Diagnosen der Patienten. Vermutlich hatte sie frei. Er gönnte es ihr. Aber er freute sich auch darauf, wenn sie wieder da sein würde. Ihre fröhliche Art zog ihn an, und erstaunt und ein Stückweit erleichtert stellte er fest, dass noch eine andere Frau als Katrin ihn faszinierten konnte. Er ahnte nicht, dass Stephanie nicht frei hatte, sondern alles tat, um Zimmer 23 nicht betreten zu müssen.
11
Stephanie hatte es eilig. Schnellen Schrittes lief sie um die Ecke und wäre fast mit einem Rollstuhl zusammengestoßen. In letzter Sekunde blieb sie stehen und starrte den Patienten an, der laut lachen musste. „So eine stürmische Begrüßung hätte ja gar nicht sein müssen“, meinte Michael und sah ihr offen ins Gesicht. Stephanie wurde knallrot, murmelte nur etwas von ‘schnell wegbringen’ und rannte weiter. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Was würde Monika denken, die Kollegin, die den Rollstuhl schob? Selten war ihr etwas so peinlich gewesen. Dabei hatte Michael Aschmann das bestimmt gar nicht so gemeint. Er schäkerte gerne mit den Schwestern herum, das war eigentlich gar nichts so Neues. Wahrscheinlich hatte er sich überhaupt nichts dabei gedacht, und Monika auch nicht. Hoffentlich hatte niemand ihren roten Kopf gesehen. Dass sie das nicht abstellen konnte! Bei jeder – meistens unpassenden – Gelegenheit wurde sie, die dunkelblonde, aber hellhäutige Norddeutsche, krebsrot. Mehr als einmal hatte sie sich darüber schon geärgert, aber es ließ sich nicht steuern.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass Michael offensichtlich zum ersten Mal überhaupt das Bett verlassen hatte, wenn auch im Rollstuhl. Das bedeutete auch Besserung. Sie freute sich für ihn. Dann ging es aufwärts, und ihr Problem würde sich vielleicht schneller erledigen, als sie angenommen hatte. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich in die Herzgegend, aber auf der anderen Seite war es besser so. Lange würde sie sich sowieso nicht mehr um das Zimmer herumdrücken können, ohne dass es den Kolleginnen auffiel. Und spätestens jetzt wusste Herr Aschmann – ganz bewusst nannte sie ihn auch in Gedanken bei seinem Nachnamen – auch, dass sie auf Station war. Wenn sie auf einmal überhaupt nicht mehr sein Zimmer betrat, wäre dies vermutlich auffälliger, als wenn sie ganz normal ihren Dienst verrichten würde. Schließlich arbeitete sie hier, da war es nur normal, dass sie mehrmals am Tag in ein Patientenzimmer kam. Sie beschloss, sich so normal wie möglich zu verhalten, um keine Gerüchte aufkommen zu lassen. Wenn das nur so leicht getan wie gedacht wäre.
Heute war ihr Dienst bald vorbei, noch zwei Stunden, dann konnte sie gehen. Morgen würde sie Spätdienst haben, und am Tag darauf hatte sie es doch noch so drehen können, dass sie 2 Stunden früher gehen durfte. Die Spätschicht kam dann schon, und Jana musste zum Flughafen gebracht werden. Der Gedanke holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Die Zeit mit der Freundin war schon vorbei – wie im Flug waren die Tage vergangen. Durch den zusätzlichen Dienst hatten sie auch nicht mehr sehr viel unternehmen können. Morgen wollte Jana sich München ansehen, denn wenn Stephanie von 12 Uhr bis 20 Uhr 30 auf Station war, würde sie sich zu Hause nur langweilen. Mit dem Auto war man in knapp eineinhalb Stunden in München, und Stephanie konnte zu Fuß zur Klinik gehen, so dass Jana das Auto nehmen konnte. „Schade“, seufzte Stephanie halblaut vor sich hin. Sie hatte die Zeit mit ihrer engsten Vertrauten sehr genossen, und zweifellos würde sie ihr fehlen. Nach dem Dienst wieder in die leere Wohnung zu kommen, davor graute ihr ein bisschen. Hoffentlich war Britta bald wieder fit. Obwohl sie sich darüber im Klaren war, dass sie gerade diese Dinge, die sie mit Jana durchsprach, mit Britta nicht besprechen würde. Abgesehen davon, dass sie eine Kollegin war und den Patienten kannte, war sie zwar schon eine Freundin,