Neues Leben für Stephanie. Lisa Holtzheimer
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Was war das? Irgendetwas Hartes lag neben Michael im Bett. Er tastete danach und fand ein Buch. Eine Sekunde stutzte er, dann wurde ihm klar, wo es herkam. Er musste nach dem Mittagessen eingeschlafen sein, denn er hatte niemanden kommen gehört. Freudig griff er nach seiner neuen Bibel. Eine Haftnotiz in Form einer Musiknote klebte vorne auf dem Einband: „Viel Spaß beim Lesen“, stand handschriftlich darauf und ein gemalter Smiley lächelte ihn an. Ein warmes Gefühl durchflutete ihn. Da entstand gerade etwas, das über die reine Dienstleistung einer Krankenschwester hinausging. Er musste sich eingestehen, dass ihm das gefiel. Woher wusste Schwester Stephanie, dass er Musik liebte? Oder war es nur ein Zufall?
Eigentlich konnte es nicht anders sein, denn sie hatten nie darüber gesprochen, und mit seinen Personalien hatte das ja nun rein gar nichts zu tun. Ob sie auch Musik machte? Ob sie vielleicht sogar Christ war? Er wollte es nicht ausschließen. Seine Frage nach der Bibel hatte sie jedenfalls in einer Weise kommentiert, die Kenntnis in irgendeiner Form voraussetzte. Er ertappte sich dabei, dass er tief innen drin hoffte, es würde so sein. Stephanie war immer sehr freundlich zu ihm, und er fühlte sich zu ihr hingezogen. Ob sie vielleicht auch ... „Quatsch, Micha“, schalt er sich jetzt selbst, „es ist der Job einer Krankenschwester, freundlich zu den Patienten zu sein.“
Er wusste, dass das nur bedingt stimmte und es auch ganz andere Kaliber in diesem Berufsstand gab, aber zum Glück nicht auf dieser Station. Trotzdem – der Tag, an dem er mit den Nerven am Ende gewesen war, hatte irgendetwas zwischen ihnen wachsen lassen. Seither wechselten sie immer auch ein paar privatere Worte – freilich nicht so privat, dass er sich ernsthafte Hoffnungen machte. Ob Christ oder nicht – wahrscheinlich war sie sowieso gebunden. Krankenschwestern trugen auf Station keine Eheringe, da Schmuck aus hygienischen Gründen gänzlich untersagt war. Das hatte er einmal von einer Bekannten in der Gemeinde erfahren.
Sein Blick ging wieder zu der Bibel in seiner Hand. Er griff zur Klingel. Wenigstens bedanken wollte er sich – und natürlich bezahlen. Zwei Minuten später kam Stephanie durch die Tür. „Gott sei Dank!“ entfuhr es Michael. Stephanie hob fragend die Augenbrauen. Michael musste lachen. „Nun, wenn jetzt eine andere Schwester gekommen wäre, hätte ich ihr nicht sagen können, warum ich geklingelt habe. Das wäre bestimmt peinlich geworden.“ Dann hob er die Bibel hoch. „Danke!“ betonte er. „Sie wissen gar nicht, welche Freude Sie mir damit gemacht haben.“ „Das war keine große Leistung, und ich hab es gerne gemacht“, antwortete sie ehrlich. „Was bekommen Sie?“ Michael zückte schon seinen Geldbeutel, und Stephanie nannte den Preis. „Die ist auch nett“, wechselte Michael dann das Thema und zeigte auf die Note. „Machen Sie Musik?“ „Nee, nicht wirklich.“ Stephanie schüttelte den Kopf. „Ich hab’ als Kind ‘mal angefangen, Klavier zu spielen, aber nach einem halben Jahr hatte ich keine Lust mehr. Jetzt find’ ich’s schade, aber das ist wohl zu spät.“
„Gar nichts ist zu spät“, widersprach Michael energisch. Wenn ich nicht so weit weg wohnen würde, würde ich Ihnen jetzt anbieten, es zu erneuern.“ Stephanie wurde schon wieder rot. Schnell sah sie aus dem Fenster. „Ich glaube, das wäre hoffnungslos“, meinte sie, um dann den Faden aufzugreifen: „So weit weg? Wo wohnen Sie denn?“ „In Frankfurt.“ „Ja, das ist wirklich ein bisschen weit weg. Aber ich habe auch kein Klavier mehr, und das würde auch niemand in meine Dachgeschosswohnung bringen können.“ Sie musste lachen bei der Vorstellung: „Wendeltreppe.“ Michael stimmte zu: „Das geht dann wirklich nur als Kleinholz. Aber es gibt gute E–Pianos heutzutage. Die kriegt man auch über eine Wendeltreppe.“ Stephanie winkte ab. „Vielleicht. Aber dann hätte ich auch nur einen Staubfänger mehr.“ Dann wurde ihr bewusst, was er vorher gesagt hatte. „Aber Sie können offensichtlich mit so einem Ding richtig gut umgehen!?“ „Naja, was heißt schon richtig gut. Ich kriege ein paar Töne raus und kann auch ein paar Lieder begleiten.“ Er untertrieb maßlos, was Stephanie natürlich erahnte. „Nun ja“, meinte sie trocken, „wenn Sie es jemandem beibringen können, wird es wohl ein bisschen mehr sein.“ Michael grinste vielsagend, äußerte sich aber nicht weiter dazu.
Als Stephanie das Zimmer wieder verließ, war Michael ein bisschen schlauer geworden. Sie hatte von ihrer Wohnung in der Einzahl gesprochen, das klang nicht nach Ehemann oder gar Familie. Wieder spürte er ein wohliges Gefühl in der Herzgegend. Wohin würde das jetzt führen? Er rief sich selbst zur Vernunft. Erst einmal herausfinden, ob es nicht doch einen Partner in ihrem Leben gab. Sollte sie wirklich Christ sein, würde sie vermutlich nicht mit diesem zusammen wohnen. Und er wollte auf keinen Fall in eine Partnerschaft eindringen – noch nicht einmal in Gedanken. Und ob sie Christ war, wusste er ja auch überhaupt noch nicht. Wenn nicht, dann hätte eine Beziehung keine Chance. Eine Ehe ohne Gott konnte und wollte er sich nicht vorstellen. Und eine Beziehung würde er wiederum nur mit dem Ziel Ehe eingehen wollen – für andere „Spielchen“, wie er es nannte, war er zu alt, fand er. „Ehe! Jetzt ist aber wirklich Schluss!“ Er hatte laut mit sich selbst geschimpft und war im selben Moment froh, dass niemand anders im Zimmer war. Da lag er im Krankenhaus, eine Schwester war nett und wechselte ein paar private Worte mit ihm, und er dachte an Ehe. Er griff zur Bibel und schlug sie auf. So würde er am ehesten wieder auf vernünftige Gedanken kommen.
12
„Ich krieg’ heute Abend bestimmt einen Einsamkeitsanfall, wenn ich nach Hause komme!“ Stephanie versuchte, witzig zu sein, aber sie kämpfte mit den Tränen. Unablässig umarmten sich die beiden Hamburgerinnen, von denen eine in wenigen Minuten die Sperrzone des Salzburger Flughafens betreten und die andere alleine zurück nach Berchtesgaden fahren würde. Immer wieder versprachen sie sich, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich wiedersehen würden. Jana startete einen letzten Versuch in eine ganz andere Richtung: „Wenn du wenigstens endlich eMail hättest – oder noch besser ein Programm zum Chatten ...“ Ein Blick auf die Uhr ließ sie abbrechen. „Ich erkläre dir am Telefon, was das ist – und dann kriegst du endlich einen Computer.“ Stephanie zuckte resigniert mit den Schultern. Sie hatte wenig Lust auf diese technischen Dinge, aber sie begann, die Vorteile einzusehen. „Mal sehen“, gab sie deshalb zurück, „aber nun vergiss nur nicht, ordentlich in die Pedale zu treten, sonst stürzt ihr gleich ab.“ Jana strampelte mit einem Bein in der Luft auf einem fiktiven Fahrrad, verlor das Gleichgewicht und fiel ihrer Freundin in die Arme. Dann musste sie durch die Schranke, ging rückwärts winkend langsam weiter und verschwand schließlich hinter einer großen Milchglastür.
Stephanie schaute die Tür noch lange an, dann drehte sie sich langsam um und ging durch die Flughafenhalle. Sie sah sich verschiedene Läden an, aber bald stand sie wieder an der Ausgangstür. Draußen entdeckte sie einen Treppenaufgang mit dem Hinweis: Besucherterrasse. Sie hatte nichts mehr vor heute, und nach Hause wollte sie gar nicht so gerne. Also stieg sie die Treppe hinauf und trat auf eine Dachterrasse mit Blick über den kleinen Flughafen. Sie war erstaunt, wie nah hier alles beieinander lag. Einige kleinere Maschinen standen an den Andockplätzen, ein Flugzeug setzte gerade zur Landung an, und ein Bus brachte einen Schwung Passagiere zu einem Flieger fast unter ihr. Als sich die Türen öffneten, hielt Stephanie sich die Hand über die Augen, um die Sonne abzuwehren und etwas erkennen zu können.
Tatsächlich, aus der hinteren Tür stieg jetzt Jana aus. Stephanie formte die Hände zu einem Lautsprecher, legte sie vor den Mund und schrie so laut sie konnte: „JAANAA!!!“