Schmutzige Hoffnungen. Myron Bünnagel
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Читать онлайн книгу Schmutzige Hoffnungen - Myron Bünnagel страница 4
„Ich warte unten auf Sie, Ray.“ Wieder klang es, als bette sie seinen Namen auf ihrer Zunge. Dann schloss sie die Tür.
Sein Ebenbild im Spiegel warf ihm einen fragenden Blick zu. Er zuckte die Schultern und ließ kaltes Wasser in die Schüssel laufen. Er erinnerte sich daran, dass Jasper Reed viel Geld dafür ausgegeben hatte, fließendes Wasser und Strom in dieses Haus zu kriegen. Nach den Schützengräben in Frankreich hatte sich Jasper geschworen, niemals mehr einen Tag lang ungewaschen zu bleiben. Ray wusch Hände und Gesicht und versuchte sich seinen Freund in diesem Badezimmer vorzustellen. Es fiel ihm schwer. Sieben Jahre verwischten die Bilder in seinem Kopf. Er ließ die Hände im kalten Wasser und legte die Stirn gegen das kühle Glas des Fensters über dem Waschbecken.
Die Anstrengungen der Reise machten sich bemerkbar. Als wäre er zu Fuß die Jahre bis vor dem Krieg zurückgegangen, um festzustellen, dass es das Damals nicht mehr gab. Erinnerungen an Jasper und Eve stiegen in ihm auf, aber sie blieben unscharf, wie ein schlechter Film, und stumm. Er konnte keinen Ton dazu finden, keinen Klang und kein Gefühl dazu.
Von draußen hörte er Stimmen. Worte, die in seine Gedanken sickerten und ihm die unsteten Bilder unweigerlich entgleiten ließen. Lautlos öffnete er das Fenster einen Spalt weit und blickte hinaus. In der Dunkelheit glomm das Licht der Veranda, aber das Fenster lag zur östlichen Seite des Hauses, so dass er Cora und Donald nicht sehen konnte.
„… keine Lust auf deine ewige Eifersucht, Donald!“
„Ich und eifersüchtig? Ja, vielleicht. Aber ich habe auch allen Grund dazu. Du schmeißt dich an jedes Hosenbein, das vorbeikommt.“
„Du bist gemein. Und es stimmt nicht. Er ist ein alter Freund der Familie.“
„Das bedeutet nicht, dass du ihm schöne Augen machen musst.“ Donalds Worte waren voller Wut.
„Ich habe nun einmal schöne Augen, weißt du. Und wenn hier einer eifersüchtig sein darf, dann ich. Es kommt mir nämlich so vor, als würdest du diesen elenden Köter mehr lieben als mich.“
„Dot ist kein Köter! Das nimmst du sofort zurück.“
Die Stimmen schwiegen einige Zeit.
Ray trocknete sich die Hände ab und wartete.
„Vielleicht habe ich etwas überreagiert, Cora. Er ist natürlich nur ein alter Freund. Tut mir leid. Aber du weißt ja, wie ich bin. Der Gedanke, dass du andere Männer …“ Er stockte.
Coras Antwort war weich und einschmeichelnd: „Schon okay, Donny. Sei wieder lieb mit mir. Komm her. So ist es gut.“
„Cora …“, aber der Satz erstarb.
Ray stellte sich vor, wie die beiden eng umschlungen auf der Schaukel saßen. Der Gedanke gefiel ihm aus irgendeinem Grund nicht und er schloss das Fenster, um nach unten zu gehen.
Mit schnellen Schritten stieg er die Treppe hinab. Ira Reed wartete im hinteren Teil des Flurs auf ihn. Neben ihr hing ein Gemälde, auf dem sich zwei Wildgänse im Flug befanden. Prächtige Tiere, die Köpfe anmutig ausgestreckt und die Flügel ausgebreitet. Sie sah ihn an: „Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Ray?“
Er nickte. „Danke.“
„Und Sie wollen wirklich nichts essen? Nicht mal eine Kleinigkeit?“
„Nein, danke.“
Ihr Lächeln war sanft, verstehend. Die Sommersprossen auf ihrer Nase waren kaum zu erkennen. „Dann gehen wir am besten ins Arbeitszimmer.“ Mit diesen Worten öffnete sie eine Tür und lud ihn ein, ihr zu folgen. „Tony lässt sich entschuldigen. Sein Magen macht ihm Probleme. Er hat sich bereits hingelegt.“ Das Zimmer, das sie betraten, war geräumig. Zwei Fenster gingen auf den Garten hinaus, ein großer Schreibtisch nahm die Mitte des Raumes ein. Ein schwerer Ledersessel dahinter. An der linken Wand standen zwei mäßig gefüllte Bücherregale, an der rechten hingen eine lange Reihe gerahmter Photographien.
„Schließen Sie die Tür, Ray“, sagte sie und ging zum Schreibtisch hinüber.
Neben dem Eingang hing eine große, vergilbte Landkarte. Red Hills stand in der Legende. Ray studierte sie aufmerksam.
„Ein Teil davon gehört uns.“
Er nickte und besah sich die Aufnahmen. Schwarzweiße Erinnerungen, manche abgegriffen und zerknickt. Es waren etliche von ihm darunter, alle aus seiner Zeit als Soldat. Ray allein, gemeinsam mit Jasper Reed oder anderen Kameraden. Ein Bild von ihm kurz nach seiner Verwundung, sein Körper eingehüllt in weiße Laken, eine Flasche Schnaps auf dem Nachttisch neben dem Krankenhausbett. Die anderen Bilder zeigten zumeist Jasper, als Jäger oder mit Fremden. Gelegentlich ein Photo von Eve Reed, einer hübschen, dunkelhaarigen Person. An fünf Stellen zeichneten sich jedoch nur die Umrisse der Bilderrahmen an der Wand ab. Jemand hatte sie fortgenommen.
Ira stand mit einem Mal neben ihm, ihre Schulter streifte seinen Arm und ihr Duft stieg ihm wieder entgegen. „Jasper hat große Stücke auf Sie gehalten.“
„Ich nicht weniger von ihm. Hätten wir ihn nicht zurückgehalten, dann hätte er die Deutschen im Alleingang aufgerieben.“
Sie schluckte. „Zum Schluss nicht mehr.“
Ray schwieg betreten, den Blick auf die Photographien gerichtet, ohne sie zu sehen. „Es tut mir leid, Ira. Ich wünschte, ich hätte bei ihm sein können.“
Ihre Schultern zuckten, als würde sie weinen, aber ihre Augen blieben trocken. „Es war besser so. Sie hätten ihm auch nicht helfen können. Niemand konnte das. Dem Krebs war es egal, dass er ein Kriegsheld war.“
„Er war für mich da, als ich beinahe gestorben wäre. Es wäre das Mindeste gewesen, in seinen letzten Stunden bei ihm zu sein.“
Sie schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich keine Vorwürfe, Ray. Jasper war so stolz, er hätte nicht gewollt, dass Sie ihn so sehen.“
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Der Impuls, sie zu umarmen, durchzuckte ihn. Aber er schaffte es nicht, die Arme zu heben, sie hingen schlaff an seiner Seite. „Ich war an seinem Grab auf dem Veteranenfriedhof in Fort Riley, bevor ich herkam.“
Ira zuckte die Schultern: „Ich war seit der Beerdigung nicht mehr da. Es ist nur ein dummes Holzkreuz und hat nichts mit ihm zu tun.“ Ihre Hand berührte eine Aufnahme, strich nachdenklich über das Glas. „Dieses Bild hat er geliebt.“
„Das war Ende ’46 in Paris. Sehen Sie, dort hinten kann man ein Stück vom Eiffelturm erkennen.“ Jasper, ein kräftiger Mann mit einem fröhlichen Gesicht, in der Uniform eines Oberst, und Ray, einige Jahre jünger als sein Freund, ein lachender Sergeant, posierten Arm in Arm vor einem kleinen Laden. Jeder von beiden hielt zwei Weinflaschen in den Händen, weitere standen auf den Pflastersteinen vor ihnen. „Wir sollten ein deutsches Waffenlager ausheben, aber unser Informant hatte sich geirrt. Statt auf die Waffen, stießen wir auf einen zugemauerten Keller voller Weinflaschen. Es wurde ein ziemlich feuchter Abend für unsere Truppe.“
Ira lachte leise und die trübe Stimmung war verschwunden.