Oskar trifft die Todesgöttin. Jörgen Dingler

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Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler

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Christine und Oskar ausgestiegen waren, schwebte der Touareg ein. Jean-Pierre stieg aus. Er hatte während der Fahrt sein Jackett ausgezogen und lehnte seine muskulösen Arme lässig auf dem Türrahmen des hohen SUVs.

      »Jetzt hab ich doch noch ein paar Meter auf euch verloren, Oskar. Und das auch noch im Gelände«, witzelte er.

      »Tja, ist halt nicht leicht an Christine dranzubleiben«, witzelte Oskar zurück und hoffte, nicht zu zweideutig gewesen zu sein.

      »Wenn du wüsstest, wie recht du hast«, orakelte Jean-Pierre, sodass Christine die Augenbrauen hob. Auch das eine typische Christine-Mimik. Oskar kannte mittlerweile einiges davon und konnte es auch zuordnen. Dieses war die Kombination hochgezogene-Augenbrauen-mit-schmalen-geraden-Lippen – nicht optimal für den Empfänger, quasi die mimische Vorstufe zur gelben Karte.

      »Oskar schafft es sicher, an mir dranzubleiben«, bemerkte sie salopp und doch irgendwie ernst.

      »Das befürch…« Jean-Pierre hielt inne, als Christine ihren Zeigefinger hob. Er reagierte ebenso schnell, wie Christine ihren Zeigefinger hob. Da war sie, die gelbe Karte. Die niedliche, geradezu zuckersüße Frau hatte eine scheints naturgegebene Autorität. Durch und durch die geborene Chefin. Wenn jemand sogar Kali kuschen lassen konnte, dann sie. Unschwer zu erraten, dass Jean-Pierres Satz in seiner Vollständigkeit wohl so lauten sollte: ‚Das befürchte ich auch.‘ Oskar überließ es den beiden, Augenblitze auszutauschen. Dass Christines Vertrauter und Bewacher nicht begeistert von ihrem neuem Naheverhältnis war, konnte Oskar sich nicht nur ausmalen, er hatte auch jedes Verständnis dafür. Wenn Jean-Pierre wüsste, wie recht er mit seinem Argwohn hatte. Vielleicht wusste er es ohnehin. Der Blonde hoffte natürlich, dass es nicht so war und besah sich den mutmaßlichen zweiten Dienstwagen.

      Es war in der Tat ein Touareg, aber einer, der selbst für Kenner nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar war. Dieser Touareg sah sogar noch ‚gefährlicher‘ als der von Jean-Pierre bewegte aus. Konnte der vielleicht auch Schiffe schleppen? Dem Aussehen nach handelte es sich um einen Stealthbomber auf Rädern: komplett mattschwarz, dunkle Fenster, schwarze Rückleuchten, sogar verdunkelte Scheinwerfer-Deckgläser, verbreiterte Radkästen, in ihnen übergroße, schwarze, martialische Leichtmetallräder mit monsterbreiten Reifen. Die VW-Zeichen im Grill und am Heck waren schwarz, kein Fitzelchen Chrom. Nichts glänzte, nichts blinkte, nichts Helles – alles schwarz. Sogar die riesigen Scheibenbremsen waren dunkel. Wahrscheinlich Keramikbremsen, schlussfolgerte Oskar. Der gebürtige Berliner war mit Schuhen und gerecktem Hals so gerade eben groß genug, um mehrere feine Querfugen im Dach erkennen zu können. Man musste schon sehr genau hinsehen, so passgenau waren die vier Dachsegmente aneinander gefügt. Das war weder ein Sonnen- noch ein normales Schiebedach. Sehr interessant! Und wie sah es im Inneren aus? Allein die getönte, aber zumindest nicht schwarze Frontscheibe bot ein wenig Einblick, ein minimales Zugeständnis an geltende Zulassungsbestimmungen. Im Inneren schien es ebenfalls einige Extras zu geben. Das auffälligste war eine am Sportlenkrad angebrachte Kugel – sicherlich eine Art Bedieneinrichtung für was auch immer. Abschussvorrichtung? Auslöser für den eingebauten, unter den dunklen Scheinwerfergläsern versteckten Raketenwerfer?

      Jetzt sind wir aber wirklich bei James Bond, kam ihm ein eigener Einwand in den Sinn. Dennoch passte es irgendwie zu dem schiere PS-Power ausstrahlenden, gepanzerten ‚Sonderfahrzeug‘. Die für geübte Augen erkennbar dicken Fensterscheiben sprachen für eine zumindest leichte bis mittlere Panzerung. Seine Augen wanderten wieder zum Kühlergrill. Moment! Inmitten des Kühlergrills prangte etwas, das er auf den ersten Blick für ein normales, allerdings ‚unsichtbares‘ weil geschwärztes VW-Logo gehalten hatte. Es war ein Kreis, der statt eines Vs und Ws lediglich ein V umschloss. Und dieser Kreis war an seiner rechten Seite von einem schmalen Spalt unterbrochen. Kein Kreis, ein C. CV. Na klar.

      »Kann man mit dem auch Schiffe schleppen?«, fragte Oskar in die Runde. Es war ihm egal, ob Christine oder Jean-Pierre die Frage beantworten würde. Er wollte in erster Linie von der Missstimmung ablenken. Soviel Harmoniebedürfnis war ihm sogar als Berufsmörder geblieben. Ihm behagte nicht, wenn Menschen wegen ihm ein Zerwürfnis hatten. So verhielt es sich zumindest bei Menschen, die ihm nicht egal waren. Er liebte nicht nur Christine, langsam aber doch begann er, ‚ihren‘ Jean-Pierre nicht nur zu verstehen, sondern zu mögen. Die schlaue Christine hatte recht: ‚Die zwei werden sich mögen.‘

      »Der kann eher einen Airbus in die Luft ziehen. Ist mehr auf Speed getrimmt«, brummte Jean-Pierre.

      »Noch mehr?!«, fragte Oskar ungläubig. Schon der von Jean-Pierre bewegte Wagen galt nicht nur als außerordentlich stark, sondern auch schnell. ‚Keine Tempoabriegelung bei 250‘.

       Was sind denn schon 250 Sachen? Da lassen wir uns noch lange nicht abriegeln!

      »Ist das auch ein V10?« Oskar sah abwechselnd zu Jean-Pierre und Christine. Die wandte ihren Kopf von Oskar ab und signalisierte mit einem erwartungsvollen Blick zu ihrem dunkelhäutigen Vertrauten, sich dieses Mal zurückhalten und den Männern das automobile Wortgeplänkel überlassen zu wollen.

      »Nein«, brummte Jean-Pierre noch tiefer. »Auch kein Diesel, sondern ein Benziner. Ein W12 Biturbo, weit jenseits der 500 PS. Wir wissen es nicht genau, weil er den Leistungsprüfstand zerfetzte. … Und der geht bis 600… plus zehn Prozent Toleranz.«

      »Demnach irgendwo jenseits der 660 PS«, grummelte Oskar kaum hörbar und hob die Augenbrauen. »Voll der Hammer«, quittierte er lauter.

      »Eben nicht. Ein ‚Hummer‘ sieht gefährlich aus, ist aber ein Spielzeugauto dagegen«, konterte Jean-Pierre, der wusste, dass der phonetisch ähnlich klingende Machotraum auf vier Rädern nicht gemeint war.

      »Der sieht aber auch nicht grad ungefährlich aus. Wer braucht denn sowas?«, spielte Oskar auf Christines Bemerkung über den Bugatti an.

      »Jemand, der überall Schnellster sein will. Auch abseits der Straße«, plapperte Christine sorglos. Ihre Augen studierten ihren neuen Lover, wie der den Wagen studierte. Obwohl er komplett versteinert dastand, machte diesmal Jean-Pierre den Eindruck, als hätte er Christine für ihre Äußerung rügen wollen. Der reglose Modellathlet schien genau darauf zu achten, wie weit sich seine Chefin mit ihren Äußerungen aus dem Fenster lehnen würde. Trotz seiner spürbaren Begeisterung für dieses Monstervehikel verkniff er sich das Kundgeben weiterer technischer Details. Und das wiederum registrierte Oskar.

      Bingo! Damit war die innere Frage beantwortet oder eher die Vermutung bestätigt. Dieses über und über schwarze, furchterregende Vehikel war sicher ein Dienstfahrzeug. Und zwar Kalis – freundlich zur Verfügung gestellt von ihrer Chefin Christine Vaarenkroog, CV. Ob die tödliche Kali genauso wie ihr Dienstwagen das Eigentum der schönen Designerin war? Kali ist ein Werkzeug Christines Werkzeug. Und dieser schwarze Bomber war eins von Kalis Werkzeugen. Oskars erste Berührung mit der zeitgemäß ausgestatteten Todesgöttin bestand darin, mit einer Hand über den matten Lack ihres Boliden zu fahren.

      »Darf man so überhaupt rumfahren?«, brach er in die geradezu telepathische Stille zwischen Christine und Jean-Pierre ein und tippte mit dem Finger auf die dunklen Scheinwerfergläser.

      »Sondergenehmigung«, brummte der große junge Mann knapp. Wahrscheinlich wollte er mit seiner flotten Auskunft weiteren Äußerungen von Christine vorgreifen. Jean-Pierre passte in der Tat auf Christine auf, auch in dieser Hinsicht. Er achtete darauf, dass sie sich nicht verplapperte und damit eventuell in Gefahr brachte. Der Junge war auf Zack! Noch eine Frage war soeben beantwortet, eine weitere Vermutung bestätigt: Das ‚Mädchen für alles‘ war wirklich ein enger Vertrauter der Modedesignerin und Killer-Agentin. immer mehr sprach dafür, dass er Kenntnis von dem geheimen Nebenerwerb besaß.

      »Aha.

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