Dunkle Seele Liebe. Fe Mars
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„Das ist dein Zimmer.“ Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein Bett mit einer roten indischen Decke und einen leuchtend grün lackierten Stuhl an einem Schreibtisch. „Aber jetzt mach ich dir erst mal Frühstück! Du musst doch gerädert sein, die ganze Nacht im Zug …“
In der Küche zischelte Fett und der Duft von Rühreiern zog durch den Raum. Mein Magen grummelte vernehmlich. Tante Lia schenkte uns Kaffee ein und schob mir Pfanne und Teller hin. Sie hatte wieder ihren Malerinnenblick in den Augen. Linie für Linie studierte sie mein Gesicht.
Ich kannte Lias Werke nur aus den raren Bemerkungen meiner Mutter und den bissigen meiner Großmutter. An sich wurde bei uns zuhause nicht über meine Tante gesprochen. Für meine Großmutter war ihre jüngere Tochter der Schandfleck der Familie; dabei hatte Lias einziges Vergehen darin bestanden, sich aus den Klauen meiner Großmutter zu befreien, um ihr eigenes Leben zu leben. Unverzeihlich, denn, wie gesagt, alles im Schloss gehörte Charlotte.
Ich betrachtete meine Tante kaum weniger gründlich. Im Gegensatz zu meiner zerbrechlichen Mutter wirkte Tante Lia stabil. Sie stützte ihr Kinn in die Hand und lächelte. „Du hast meine Augen, Selina“, stellte sie fest. „Das gleiche Blau.“
„Ich hatte richtig Lampenfieber, dich wiederzutreffen“, sagte ich.
„Und?“
„Jetzt nicht mehr. – Ich wollte, Lisi würde so viel lachen wie du.“
„War deine Großmutter nicht böse, dass du gegangen bist und noch dazu bei mir wohnst?“
„Ich bin ja erst mal nur vorübergehend weg, um eine Ausbildung zu machen. Das sieht selbst Großmutter ein! Mit mir ist sie nicht ganz so streng“, fügte ich hinzu.
„Du bist nicht ihre Tochter.“ Tante Lia seufzte und ihr Blick verdüsterte sich.
„Ja. Im Übrigen … sie, hm, sie weiß nicht, dass ich bei dir wohne“, gestand ich. „Lisi hat es ihr nicht gesagt und ich auch nicht.“
„Ah!“ Tante Lias Nicken sprach Bände, dann schüttelte sie den Kopf und seufzte. „Deine Mutter hätte damals auch weggehen sollen. Wenn schon nicht mit mir, dann wenigstens mit deinem Vater.“
„Aber sie musste Großmutter doch pflegen“, verteidigte ich meine Mutter, obwohl ich eigentlich das Gleiche dachte: Lisi hätte irgendwann weggehen sollen. „Die war doch so krank damals.“
„Pff!“ Tante Lia machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die ist immer krank geworden, wenn es ihr in den Kram gepasst hat. Aber lassen wir das jetzt. Ich bin froh, dass du den Absprung geschafft hast, Selina.“ Sie betrachtete mich einen Moment ruhig. „Es tut mir leid, dass ich euch die Todesnachricht schicken musste.“
Ich zuckte nur die Schultern. Ich hatte keine Lust, jetzt über meinen Vater zu sprechen. „Danke, dass ich bei dir wohnen darf, Tante Lia“, sagte ich stattdessen.
Sie lächelte. „Sag doch einfach Lia. Tante klingt so … so … tantig.“
Ich musste lachen. „Okay, Lia.“
„So!“ Sie erhob sich. „Ich verzieh mich ins Atelier. Wenn du willst, kannst du dann nachkommen. Ich hab dir deine Schlüssel auf den Schreibtisch gelegt. Und sonst …“ Sie brach ab und sah mich etwas ratlos an.
„Danke. Ich komm schon zurecht, keine Sorge.“
„Wunderbar.“ Lia nickte und sah auf einmal sehr erleichtert aus. Wahrscheinlich hatte sie insgeheim Angst gehabt, dass sie mich babysitten musste. Nein, diese Sorge konnte ich ihr nehmen. Ich war ziemlich selbstständig und daran gewöhnt, allein zurechtzukommen.
Auf dem Fensterbrett in meinem Zimmer stand ein Blumentopf mit Basilikum. Das Bild an der Wand musste Lia gemalt haben. Es war in kräftigen Blau- und Türkistönen gehalten. Das Meer und der Himmel. Ein roter Fleck wie ein Segelboot, das klein und zerbrechlich in den ungeheuren Elementen schwebte. Das Bild gefiel mir.
Ich kniete mich aufs Bett, um aus dem Fenster sehen zu können. Die Balustrade San Giovannis mit den Apostelstatuen schimmerte durch die Bäume. Im Garten bellte ein Hund. Ein Pfiff ertönte.
Ich muss sofort eingeschlafen sein.
Bis ich wieder munter war und mich auf den Weg zu Lia gemacht hatte, fielen die Sonnenstrahlen schon schräg durch die staubigen Fenster des Ateliers. In der hohen hölzernen Kuppel des Raumes huschten wie Schatten Fledermäuse hin und her. Ein paar Bilder lehnten auf Staffeleien, dazwischen reckten sich totempfahlähnliche Holzobjekte. Ein Mann nickte mir kurz zu. Er war groß und ungeschlacht wie der rohe Steinblock, an dem er arbeitete. Lias Bilder waren unschwer zu erkennen: Bunt, direkt und trotzdem rätselhaft leuchteten sie neben einer ganzen Reihe Leinwände, die so schwarz und abgeschabt wirkten wie alte Brandmauern. An einigen Stellen waren die Leinwände zerschnitten und rote Farbe quoll heraus. Es sah aus, als würde Blut aus den Mauern laufen.
Lia lächelte mir zu. Sie hatte einen Pinsel in der Hand und deutete auf die dunklen Bilder. „Flavias Werk. Sie ist nur heute nicht da. Und, gefallen sie dir?“
„Sie sind … verstörend.“ Ich zog unwillkürlich die Schultern hoch. „Deine Bilder gefallen mir besser.“
Meine Tante lachte. „Aber Flavia ist sehr nett, du wirst schon sehen. Das da drüben ist übrigens Ubaldo. Erster Stock.“
„Stört es, wenn ich einfach ein bisschen hier bin?“
„Nein, mach nur.“ Lia hatte sich schon wieder ihrem Bild zugewandt.
Ich schlenderte zwischen den Kunstwerken herum, ließ meine Hand über die behauenen Steine wandern, betrachtete mir die Totempfähle genauer und setzte mich dann auf die Treppe, die zu einer rundum verglasten Balustrade hinaufführte. Ich fand es schön, einfach nur in der Ecke zu lehnen und das alles auf mich wirken zu lassen. Ich fühlte mich so an meinem Platz, so richtig, als wäre ich schon lange hier zu Hause.
Die Fenster wurden dunkle Rechtecke und Lia knipste einen altmodischen Lichtschalter an. Nackte Glühbirnen leuchteten auf. Kurz darauf kratzte es an der Tür, ein Hund kam hereingelaufen. Er begrüßte Lia, die ihm geistesabwesend den Kopf tätschelte, strich an Ubaldo vorbei, der ihn nicht beachtete, dann stand er gelb und struppig vor mir. Mit vorgereckter Nase schnupperte er an meinen Knien. „Na, Schöner?“ Ich streckte ihm eine Hand hin und er wedelte. Ich liebte Hunde und hätte immer gern selbst einen gehabt, aber im Schloss ging das nicht. Großmutter!
Jetzt lief er zurück zur Tür und blickte sich auffordernd zu mir um.
Kaum dass ich ihm die Tür einen Spalt geöffnet hatte, drängte er sich hindurch. Zugleich ertönte ein heller Pfiff, wie ich schon einmal gehört hatte, aus dem Garten. Ich trat ins Freie, aus dem Schein der Hausbeleuchtung unter die Bäume, die sich schemenhaft vor dem Nachthimmel abzeichneten. Die Marmorhand ragte als heller Fleck in die Dunkelheit, die Platten des Weges zogen eine verschwommene Spur zur Eingangspforte. Wieder ertönte ein Pfiff. Ich hörte leises Hecheln, dumpfe Schritte aus dem Garten, dann wuchs beim Tor ein Schatten aus dem Schwarz. Ich konnte nur die Umrisse einer Gestalt unterscheiden, mehr nicht, breite Schultern, der Haltung nach ein Mann. Was tat er? Drehte er sich zu mir um? Ich konnte es nicht erkennen, aber trotzdem hätte ich schwören können, dass er mich anstarrte. Und nicht