Mitgefühl kann tödlich sein. Henning Marx
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»Ciao, Bea. Einen schönen Feierabend«, wünschte er ihr zum Abschied.
»Ciao, ciao. Bis nächste Woche, oder nicht?«, kam es wie immer gut gelaunt und zur Kundenbindung zurück.
»Ich denke schon.« Und an Heiner gewandt setzte er fort: »Kommst du mit oder bleibst du noch?«
»Ich bleibe noch ein wenig. Es ist gerade so nett hier«, machte er Beatrice mit seiner Antwort nebenbei ein Kompliment, die auch prompt von ihren Gläsern kurz aufschaute und Heiner freundlich zulächelte.
»Aber versack hier nicht«, witzelte Horst im Gehen noch.
»Dann stelle ich rechtzeitig von ›Abendsonne‹ auf ›Morgendämmerung‹ um«, parierte Heiner Janetzky, scheinbar wieder besserer Stimmung. »Bis morgen.«
»Ja, leider«, seufzte er noch theatralisch, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.
Kapitel 3
Thomas Sprengel ruderte, als ob es um sein eigenes Leben ginge. Der Junge kniete am vorderen Luftschlauch des Bootes und schaute gebannt auf das brennende Segelboot. Glücklicherweise gab es nur wenig Seegang, so dass sie recht flott vorankamen. Die Yacht war trotz des aufgerissenen Hecks und der dort lodernden Flammen noch ein Stück gesegelt, bevor die Schoten durchgeschmort waren. Inzwischen killten die Segel in der leichten Brise und der Bug hatte sich in den Wind gedreht. Zu Thomas´ Erleichterung hatte das Boot aufgrund des auflandigen Windes sogar begonnen, langsam auf die beiden in ihrem Schlauchboot zuzutreiben.
Bisher hatte keine Notwendigkeit bestanden, mit dem Jungen zu reden, den er auf vielleicht zehn Jahre schätzte. Der Knirps hatte auch so verstanden, was Thomas Sprengel im Sinn hatte. Er selbst saß beim Rudern ebenfalls zur Yacht gewandt, um das Schlauchboot mehr oder weniger auf dem direktesten Weg auf ihr Ziel zusteuern zu können. Leider brachten ihn selbst die kleinen Wellen immer wieder vom Kurs ab, so dass er befürchtete, wertvolle Zeit zu verlieren.
»Allí, allí«, rief sein kleiner Begleiter im Bug plötzlich laut und zeigte von dem Segelboot weg, während er sich zu Thomas Sprengel umschaute. »Una persona está en el mar. Yo la he visto.«
Irritiert hielt der Kommissar für einen Moment mit dem Rudern inne. »Wie bitte? Ich verstehe dich nicht.« Zur Unterstützung seiner Aussage hob er Hände, Schultern und Augenbrauen, während er leicht den Kopf schüttelte. Wenn er nicht zu sehr mit der Rettung etwaiger Opfer beschäftigt gewesen wäre, hätte er sich wie üblich geärgert. Immer wieder hatte er seine Sprachkenntnisse aufbessern wollen, aber nie Zeit und Ausdauer dafür gefunden – vor allem an der Ausdauer hatte es ihm jedes Mal gefehlt. Sollte hier deshalb jemand sterben? Mühsam unterdrückte er einen Fluch. Insoweit hatte die Aufforderung seiner Frau, noch bevor sie ein Paar geworden waren, sich in ihrer Gegenwart einer gemäßigten Ausdrucksweise zu bedienen, selbst in dieser kritischen Situation seine Wirkung entfaltet. Darauf würde er sie später gebührend hinweisen.
Der Junge stand inzwischen im Boot und zeigte weiterhin von der Yacht weg. »Allí, señor, una persona, una persona«, wiederholte der mit enormem Nachdruck in der Stimme.
Immerhin hatte er jetzt »Person« verstanden. Er blickte in die Richtung, die der Arm des Jungen vorgab, konnte aber niemanden im Wasser ausmachen. Wie sollte er das dem aufgeregten, aber wohl sehr aufgeweckten Kerlchen nur am schnellsten vermitteln? Er zeigte auf seine Augen und schüttelte abermals den Kopf.
»Sí, sí, una persona«, beharrte der Junge jedoch felsenfest auf seiner Beobachtung. »Levántese, levántese!«
Thomas Sprengel verstand die letzten Worte zwar nicht, deutete aber dessen Armbewegung, als wolle er ihn hochheben, richtig. Vorsichtig richtete er sich in dem Boot auf und blickte in die Richtung, die ihm sein Begleiter zunehmend ungenauer anzeigte. Zuerst sah er weiterhin nichts, was auf eine im Wasser befindliche Person hingedeutet hätte. Vielleicht hatte der Junge auch nur eine Schildkröte oder einen Felsen unter Wasser für einen Menschen gehalten. Doch als er seinen Blick etwas weiter nach rechts richtete, als der Junge ihm signalisierte, hatte er den Eindruck, als treibe dort zumindest ein Kleidungsstück. Vermutlich waren sie inzwischen ein wenig abgetrieben. Bei genauerem Hinsehen erkannte er zu seinem Entsetzen dann auch einen Kopf und Arme, die schlaff unter die Meeresoberfläche hingen. Er musste eine Entscheidung treffen – und das sehr schnell. Sollten sie zu der Person im Wasser oder zur Yacht rudern? Unschlüssig schaute er den Jungen an und hoffte vielleicht, in dessen Gesicht eine Antwort auf diese schwierige Frage zu finden. Konnten sie den im Meer Treibenden noch retten? Wenn sie dorthin zuerst ruderten, war es gleichzeitig möglich, dass erst in dieser Zeit jemand auf der Yacht Opfer der Flammen werden würde. Gerade als er sich entscheiden wollte, als Erstes die Person im Wasser zu bergen, sah er, wie sich um diese herum ein dunkler Fleck ausbreitete. Konnte das Blut sein?, schoss es ihm durch den Kopf. Während er immer noch zögerte, schaute er sich gehetzt um.
Von rechts zog ein Windsurfer immer schneller werdend heran, der offensichtlich ebenfalls Hilfe leisten wollte. Das war die Lösung. Er schwenkte sein Paddel weit über dem Kopf und hoffte, den Windsurfer damit auf sich aufmerksam zu machen und sein Vorgehen mit diesem abstimmen zu können. Zunächst zeigte der Wassersportler jedoch keinerlei Reaktion. Gerade als er aufgeben wollte, sah er im Abwenden doch noch, dass der Andere einen Arm mit nach oben gerecktem Daumen in seine Richtung ausgestreckt hatte. Sofort deutete Thomas Sprengel mit dem Paddel auf die im Meer treibende, offenbar blutende Person. Als der Windsurfer seinen Kurs entsprechend änderte, ruderte Thomas Sprengel mit dem Jungen die letzten hundert Meter auf die Yacht zu – so schnell, dass ihm die Muskulatur seiner Arme bereits nach der Hälfte der Strecke brannte.
»Gut gemacht, mein Junge«, murmelte er noch. Doch das kleine Kerlchen war vollauf damit beschäftigt, die Yacht und den Windsurfer im Auge zu behalten. Seinen Rudergast schien er nicht einmal mehr wahrzunehmen.
Sie hielten schräg von achtern kommend auf das brennende Boot zu. Wegen des Qualms konnten sie zunächst nichts Genaueres an Bord ausmachen. Thomas Sprengel achtete darauf, sich vom Heck freizuhalten. Nach wenigen Metern querab konnten sie dann sehen, dass sich das Feuer inzwischen im ganzen Cockpit ausgebreitet hatte und gerade begann, auch den Niedergang in Mitleidenschaft zu ziehen. Als eine kleine Böe den Rauch verwirbelte, packte Thomas Sprengel beim Anblick einer Frau Entsetzen, deren Oberkörper an der Reling lehnte. An dem schlaff über den Relingsdraht hängenden Kopf konnte er sofort erkennen, dass die Seglerin im besten Fall nur bewusstlos war. Die Flammen im Cockpit loderten bereits um ihre Unterschenkel herum. Von seiner Position konnte er aber nicht ausmachen, ob die Hose der Frau bereits brannte. Sollten sie am Ende doch zu spät kommen?
Weil er nicht abschätzen konnte, wie schnell sich das Feuer weiter ausbreiten würde, mussten sie zum Bug der Yacht, auch wenn dort das Freibord höher als mittschiffs war. Mittels Handzeichen bedeutete er dem Jungen, im Schlauchboot zu bleiben und sich an dem Schiff festzuhalten. Der nickte mit weit aufgerissenen Augen, aber entschlossenem Gesichtsausdruck. Folgsam hielt er sich mit seinen kleinen Händen an einer Relingsstütze fest, die er gerade so eben erreichen konnte. Zum Glück war das Schlauchboot leicht, so dass die dünnen Ärmchen ausreichen würden, ihn in seiner Position zu halten.
Mit