Für immer Rosa. Claudia A. Wieland
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Читать онлайн книгу Für immer Rosa - Claudia A. Wieland страница 3
Vielleicht bekomme ich ja auch bald richtige Klavierstunden. Das wäre ganz, ganz toll. Ich hoffe, dass die Frau Direktorin Papa um Erlaubnis gefragt hat.
Ich weiß, dass es nicht richtig ist, Dich anzuschwindeln. Das mit den vielen Freundinnen stimmt nämlich nicht. Ich habe noch keine. Aber das macht nichts. Glaube mir, ich schaffe das schon. Du musst mir nur ein bisschen vertrauen.
Ich umarme Dich. Deine Zabou.
P.S.: Habe ich Dir schon gesagt, dass mir Papas neue Frau warme Socken geschenkt hat? Ich glaube, sie mag mich doch, obwohl ich einfach so ins Internat gegangen bin und sie mit der ganzen Arbeit zuhause im Stich gelassen habe.
Noch ein P.S.: Leider konnte ich Dich immer noch nicht besuchen, aber ich frage die Direktorin, wann ich kommen kann.
XXX
»Guten Tag, Frau Direktorin. Darf ich hereinkommen?« Die Kleine lugt vorsichtig durch den Türspalt.
»Tritt ein, Elisabeth! Ich habe sowieso mit dir zu reden.«
Die Kleine schlüpft durch den Spalt, schließt behutsam die Tür, tritt an den großen Schreibtisch heran und blickt erwartungsvoll in das strenge Gesicht der Schulleiterin.
»Nun, zunächst einmal muss ich dir mitteilen, dass deine Bitte, Klavierstunden nehmen zu dürfen, von deinem Vater abschlägig beschieden worden ist.«
»Abschlägig be….?«
»Abschlägig BE-SCHIE-DEN. Will heißen, dass dein Vater nicht wünscht, dass du Klavierstunden nimmst.«
Die Kleine möchte so gerne mal ordentlich mit dem Fuß auf dem Boden aufstampfen. Nie hat sie einen Extrawunsch gehabt. Nie, nie, nie. Nur dieses eine, einzige Mal. Aber sie ballt nur die Fäuste und stößt hervor: »Wenn ich doch so gerne möchte …«
»Kleines Fräulein, hier ist nicht der richtige Ort, um Widerworte zu geben. Es ist so, wie es ist. Keine Diskussion.«
»Ja, Frau Direktorin.« Die Kleine senkt den Blick und knickst höflich.
»Und? Was gibt es sonst noch zu besprechen?«.
Die Kleine ist ziemlich eingeschüchtert von der schroffen Art der Schulleiterin. Mit dem rechten Daumen massiert sie heftig die Innenfläche ihrer linken Hand. Doch sie nimmt all ihren Mut zusammen, denn ihr Anliegen ist sehr, sehr wichtig. »Ich wollte fragen, ähm… ob ich meiner Mutter ähm… ein paar Blumen bringen darf?«
»Wie stellst du dir das vor? Du kannst doch nicht alleine dorthin fahren. Wer soll dich denn begleiten? Das ist ja fast eine Weltreise. Jedenfalls für ein kleines Mädchen wie dich.«
»Ich dachte, vielleicht könnte die Köchin … an ihrem freien Tag … ich meine … mit mir kommen?«
Zum ersten Mal während des Gesprächs zeigt sich der Anflug eines Gefühls auf dem Gesicht der Direktorin. Entfernt erinnert es an Mitleid. Ihre Stimme wird milder.
»Ach Kind, ich will ja kein Unmensch sein, aber das geht wirklich nicht. Du musst schon warten, bis dein Vater herkommt und dich mitnimmt.«
»Aber dann bekommt Maman zu ihrem Geburtstag ja kein Geschenk von mir!«
»Was wolltest du ihr denn schenken?«
»Eine Geschichte. Ähm… Die habe ich schon vor ganz, ganz langer Zeit geschrieben. Wirklich! Als ich noch neun Jahre alt war. Über eine Konzertpianistin und ihre kleine Tochter, die sie überallhin auf der Welt begleiten darf. Sie hat einen Privatlehrer, der ihr alles beibringt, was man in der normalen Schule lernen muss. Und noch viel, viel mehr. Alles, was sie wissen will. Und von ihrer Mutter lernt sie das Klavierspiel. Die beiden sind immer zusammen. Sie haben sich nämlich unheimlich lieb.«
»Vielleicht wollen wir deiner Mutter die Geschichte schicken?«
»Aber das geht doch gar nicht. Das weiß doch jedes Kind.« Die Kleine lächelt mitleidig. »Es gibt doch gar keine Adresse. Ich meine, von da oben.« Sie richtet ihren Blick zur Zimmerdecke. Dann fixiert sie mit ihren undurchdringlichen Augen, die jetzt von zusammengezogenen Augenbrauen überschattet werden, das Gesicht der ältlichen Pädagogin. Das Lächeln ist einem äußerst entschlossenen Gesichtausdruck gewichen. »Aber ich könnte die Geschichte in eine kleine Schachtel tun. Die von den Pralinen, die ich von Papa zu Weihnachten bekommen habe. Die habe ich nämlich mit buntem Einwickelpapier beklebt. Und eine rote Schleife habe ich auch noch. Die hat mir Maman mal für mein Haar gegeben. Sie mochte nämlich so gerne, wenn ich die Haare hinten zusammengebunden habe.« Die Mundwinkel der Kleinen beginnen zu zucken. »Und dann fahre ich mit der Köchin zu Maman. Sie hat nämlich gesagt, dass sie mich gerne begleitet. Und dann kann ich die Schachtel mit der Geschichte drin und dem bunten Einwickelpapier und der Schleife auf Mamans Grab stellen und … und dann kann sie sehen, dass ich an sie denke und … und dass wir eigentlich immer zusammen sind und … und dass ich sie unheimlich lieb habe und … « Die restlichen Worte der Kleinen gehen in einem verzweifelten Schluchzen unter.
Die Direktorin starrt auf das Mädchen. Sie hat noch nie in ihrem Leben ein Kind tröstend in den Arm genommen. Gerne würde sie es jetzt tun, denn diese kleine Elisabeth ist etwas ganz Besonderes, übersensibel und außergewöhnlich gutherzig. Mit diesen tiefgründigen Augen, die mehr gesehen haben, als man einem Kind zumuten sollte. Und die vielleicht mehr wahrnehmen, als für die meisten Menschen sichtbar ist.
Aber nein. Man hat sie gelehrt, dass es im Leben darum geht, Contenance zu bewahren und das will und muss sie auch diesem Mädchen vermitteln.
Als sich die Kleine einigermaßen beruhigt hat, fordert die Schulleiterin sie auf, in ihr Klassenzimmer zurückzugehen. »Gleich ist die Pause vorbei und du hast jetzt Lateinunterricht. Den darfst du nicht verpassen, denn du weißt ja, dass deine Leistungen in diesem Fach zu wünschen übrig lassen. Also streng dich an und arbeite fleißig! Und bete für deine Mutter! Du darfst jetzt gehen!«
»Ja, Frau Direktorin.« Die Kleine knickst noch einmal und verlässt dann ganz leise und unauffällig das Büro.
Vor der Türe hält sie inne, wischt sich mit den Händchen energisch durchs Gesicht, atmet ganz tief durch und flüstert dann vor sich hin: »Sei bitte nicht traurig, Maman, weil ich zu deinem Geburtstag nicht kommen kann! Vielleicht klappt es ja das nächste Mal. Aber weißt du was? Ich fange gleich damit an, alles aufzuschreiben, was ich hier erlebe. Genau so, wie es passiert. Ich bin nämlich keine Lügnerin. Du wirst sehen, jetzt werde ich doch Schriftstellerin.«
Und die Kleine rennt los, um mit der ersten Geschichte anzufangen. Den Titel weiß sie schon. ORA ET LABORA – Bete und arbeite!
1. Kapitel
Sie standen am Strand eines kleinen bretonischen Küstenorts mit dem überaus merkwürdigen Namen HEILIGER-YANN-VOM-ZEIGEFINGER.
»Ich möchte Ihnen unbedingt unseren Hauptdarsteller vorstellen.« Hank Stevenson rief in Richtung einer kleinen Gruppe, etwa zwanzig Meter