Shoel - endlich frei!. Michael Geigenberger
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Er meint, dass ein Krankenwagen gleich eintreffen wird und Shoel solange die Hand der Verletzten halten soll. Das gütige Lächeln eines Beamten beruhigt Shoel. Hat er doch anscheinend alles richtig gemacht.
Weitere Minuten vergehen, Minuten kommen einem in dieser Situation wie Stunden vor. Aber dann kommt ein Sanitäter an die Seite der verletzten Frau. Shoel will sich zurückziehen, aber die Frau lässt seine Hand nicht los. Krampfhaft versucht sie diese zu halten. Der Sanitäter meint, dass Shoel mit in den Krankenwagen steigen soll. Alle scheinen zu glauben, dass Shoel mit der verletzten Person etwas zu tun hat.
Wie abwesend geht Shoel neben der Trage her. Hält noch immer die Hand der ihm unbekannten Person. Dann bittet ihn der Sanitäter in den Wagen zu steigen. Shoel überlegt, sollte er nicht besser erklären, dass er die Verletzte gar nicht kennt, dass er nur helfen wollte. Wie wird er zu seinem Fahrzeug zurückkommen?
Wird es überhaupt noch da sein, wenn er zurück kommt? Die Gegend gilt nicht unbedingt als die Sicherste.
In dieser einsamen Gegend, könnte es durchaus sein, dass nach Einbruch der Dunkelheit gestohlen wird. Aber er entscheidet sich, bei der Verletzten zu bleiben.
Shoel ist erst beruhigt, als er feststellt, dass die Klinik in die die verletzte Person gebracht wird, nur wenige Kilometer vom Strand entfernt ist.
So könnte er durchaus mit einem Taxi zu seinem Fahrzeug zurückkehren. Also wird er bei der Frau bleiben, zumindest solange sie seine Hand fest hält. Im Krankenhaus angekommen, werden ihre Hände von einander getrennt. Noch ein fester Händedruck, dann verschwindet die Frau hinter einem großen Plastikvorhang.
Was tun? Soll er warten, bis er Bescheid weiß? Wie heißt sie eigentlich, wer ist sie?
Ein kurzer Blick auf die Uhr, dann entscheidet sich Shoel zu seinem Fahrzeug zurück zu kehren. Er wird es holen und dann wird er auf eine Nachricht warten. Die Ärzte werden sich um die Frau kümmern und was hat er eigentlich mit ihr zu tun fragt er sich immer wieder von neuem.
Das Taxi hält direkt neben seinem Fahrzeug und der Fahrer wirft einen kurzen Blick auf das praktische Wohnmobil, wie er sich ausdrückt. Praktisch? Ja praktisch ist es schon, wenn auch etwas eng, wie Shoel immer wieder feststellen muss. Shoel schließt sein Fahrzeug auf und erkennt, das er an seiner linken Hand etwas Blut von der jungen Frau hat.
Das muss ein Zeichen sein, so denkt er. Nun beginnt er die Dinge, die er vor etwa einer Stunde flüchtig in den Wagen geräumt hat ordentlich zu verstauen, so wie es sich als Camper gehört. Alles hat seinen festen Platz, da lässt Shoel keinen Zweifel aufkommen. Dann startet er sein Fahrzeug und überlegt nochmals, ob er tatsächlich nach dem Befinden der jungen Frau sehen soll. Sieben Kilometer, so steht es auf der Quittung des Taxis. Dann sieht er wieder das Blut an seiner Hand. Er will es abwaschen, entscheidet sich aber anders. Zuerst will er nach der Verletzten sehen.
Nach wenigen Minuten steht er vor dem Hospital. Sucht einen Parkplatz und geht auf das Portal zu. Am Empfang gibt es erste Verständigungsprobleme. Erst als eine Hilfsschwester kommt, kann Shoel seinen Wunsch vortragen. Nur wissen, wie es der jungen Frau geht, mehr will er nicht. Die Hilfsschwester überlegt und bittet ihn, ein wenig Geduld zu haben, sie wird sich erkundigen.
Dann kommt sie nochmal zurück und fragt Shoel, ob er der Ehemann sei, oder vielleicht ein anderer Verwandter. „Nein, ich wollte nur helfen und sehen, wie es ihr jetzt geht.“
Mehr bringt er nicht heraus. Aber die Schwester winkt und bittet um Geduld. Shoel überlegt, ob es wirklich richtig ist, hier zu bleiben.
Soll er nicht doch besser einfach weiterfahren? Diese Entscheidung wird ihm abgenommen, da bereits die Hilfsschwester auf ihn zukommt und ihn bittet ihr zu folgen.
Eine hilflose Person liegt nun vor ihm. In einem Krankenbett, mit dicken Verbänden an den Armen und Beinen, auch im Gesicht zeigen sich Schürfwunden.
Die ihm Unbekannte versucht Shoel die Hand entgegen zu strecken, was ihr aber nicht gelingen will. So ergreift er die ihre und hält sie kurz gedrückt.
Ein Lächeln zeigt sich auf ihren Lippen und dann zwinkert sie sogar noch mit dem linken Auge. Die Krankenschwester tritt an die Seite von Shoel und so kann er sie bitten zu übersetzen. Aber nach dem ersten Satz meint die Verletzte, dass sie ihn gut verstehen kann. Noch mit schwacher Stimme erklärt sie, dass sie vor einigen Jahren in Österreich gelebt hat, daher die Sprache recht gut spricht und auch versteht.
Shoel bleibt an ihrem Krankenbett und so erzählt er von seiner Reise und dass alles nur Zufall war, dass er kurz nach dem Unfall an ihre Seite kam. Dann aber kommt ein Arzt im weißen Kittel und bittet Shoel das Zimmer zu verlassen. Die Besuchszeit ist zu Ende. Morgen könnte er nochmal vorbeischauen, meint er mit einer Handbewegung, die ihm klarmacht, dass er den Raum verlassen muss.
An der Türe dreht sich Shoel nochmals um und winkt, so als wolle er sagen, dass er morgen früh wieder an ihrem Krankenbett sein wird.
Wird er das? Sollte er sich tatsächlich nochmals zeigen. Was würde da für eine Verbindung entstehen. Deutlich spürt er noch, ihren Händedruck. Dann sieht er wieder das Blut an seiner linken Hand. Zeit es endlich zu entfernen. Er geht auf die Türe einer Herrentoilette zu. Während er sich die Hand wäscht wirft er einen Blick in den Spiegel. Sein Gegenüber scheint ihm gerade klarzumachen, dass er sich jetzt nicht einfach wegstehlen kann. Zumindest wird er noch nach Ihrem Namen fragen, vielleicht erhält er auch eine Telefonnummer?
3/4. Die Zigeunerin, ein Zigeunerleben
„Sie ist eine Zigeunerin“, meint die zuständige Schwester am Empfang. „Sie können ruhig fahren, die Familie ist verständigt. Spätestens in einer Viertelstunde werden sie alle da sein, der gesamte Clan wird auftauchen. Machen sie sich also keine Sorgen, fahren sie ruhig!“
Zigeunerin? Shoel überlegt, so wie er, der wie ein Zigeuner leben will. Oder ist sie eine richtige Zigeunerin? So wie es hier in der Camarqué etliche gibt? Eine innere Stimme sagt ihm, dass er die Familie kennenlernen will.
Warum nicht, wenn sie ihn nicht mögen, dann kann er ja immer noch weiterfahren. Auf einen Versuch lässt es Shoel ankommen. Gleich am nächsten Morgen wird er sie erneut besuchen.
Shoel verzieht sich in sein Wohnmobil und parkt es ganz in der Nähe des Klinikums.
Noch einmal in ihre Augen sehen, noch einmal ihre Hand drücken. Dann wird er entscheiden. Aber was wohl?
Sein Fahrzeug steht so, dass er das Klinikum im Blick hat. Er glaubt sogar, dass er ihr Zimmer ausmachen kann. Im dritten Stock, das letzte Zimmer im langen Gang.
Shoel blickt auf seine Uhr, die ihm klar und deutlich sagt, dass es halb fünf früh ist. Also, um diese Zeit kann er auf keinen Fall in der Klinik auftauchen.
So beginnt er sich Gedanken darüber zu machen, wie er seine Reise fortsetzen wird. Eines ist inzwischen klar, gegen neun wird er sie besuchen, sich ihren Namen geben lassen und dann wird er sich verabschieden.
Sie hat eine Familie, vielleicht sogar einen festen Freund. Die Hierarchie bei den Zigeunerfamilien ist gefestigt, da kann man nicht einfach als Besucher eindringen, darüber ist sich Shoel sicher. Shoel beginnt damit ihr einen Namen zu geben. Überlegt, wie sie wohl heißen mag. Während er seinen Gedanken nachhängt, setzt er seinen Kaffee auf, richtet sich den Frühstückstisch.