Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe. Peter Urban

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Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe - Peter Urban

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Steuermann Dobbs und wachte über die Sicherheit der Caroline und über die korrekte Ausführung jedes seiner Befehle. Und obwohl ihn diese Aufgabe eigentlich ganz und gar in Anspruch nehmen sollte, konnte er es doch nicht lassen, von Zeit zu Zeit diesen Verrückten zu betrachten: Seit sie den Hafen von Portsmouth verlassen hatten, stand er wie festgewachsen am Bug und starrte aufs Meer hinaus, während alle anderen Passagiere am Heck gestanden hatten, um sehnsüchtig ihrer alten Heimat nachzuwinken. Manch einer hatte Tränen vergossen, als die letzten Umrisse der Küstenlinie aus dem Blickfeld und im Nebel verschwanden, denn nur der Allmächtige wusste, wem es bestimmt war, eines Tages die Inseln und die Menschen wiederzusehen, an denen sein Herz hing. Wer nicht der unbarmherzigen See zum Opfer fiel, den erwarteten am anderen Ende der Welt zahllose Krankheiten, ein mörderisches Klima, wilde Tiere und streitlustige Eingeborene.

      Der junge Soldat in der abgetragenen roten Uniform war der einzige gewesen, der sofort nach dem Lichten des Ankers nach vorn geeilt war, ganz so, als hätte er sich fest vorgenommen, Albion nicht Lebewohl zu sagen. Da stand er, genau dort, wo die beiden Seiten der Caroline eine Spitze formten, über der Gallionsfigur, und rührte sich schon seit Stunden nicht von der Stelle. Er hatte sich noch nicht einmal beim Quartiermeister des Schiffes blicken lassen, um sich zu erkundigen, wo denn seine Unterkunft war und wie man sein Gepäck verstaut hatte.

      Gepäck! Edward Page schüttelte den Kopf, während er den Verrückten beobachtete. Seine Vorgesetzten bei den Horse Guards hatten ihn offenbar nach Indien geschickt, obwohl die Passage nur bis zum Kap bezahlt war. Er hatte irgendetwas von seinem Regiment, einem Truppentransportschiff und Irland vor sich hin gemurmelt, und Page nahm an, dass er versuchen wollte, den Transporter einzuholen, den er in Cork verpasst hatte, um dann auf Kosten König Georgs den längeren Teil der Reise zu machen. Gepäck hatte der Kapitän kaum gesehen. Zwei große Kisten voller Bücher, ein uralter Sattel, ein Kandarenzaum, ein sonderbares Musikinstrument, das wie eine übergroße Fiedel aussah, und die Sachen, die er am Leibe trug, schienen seine einzigen Reichtümer zu sein. Die Schulterstücke eines Obersten waren zwar an seinen roten Rock genäht und sahen ziemlich neu aus; trotzdem hatte der Verrückte nur eine Überfahrt dritter Klasse bezahlt. Das waren die Passagiere, die man dort unterbrachte, wo gerade noch Platz war. Im schlimmsten Fall mussten sie sich eine Hängematte mit einem Seemann teilen oder mit einem harten Nachtlager zwischen den Taurollen vorliebnehmen. Außerdem mussten sie sich selbst um ihre Verpflegung kümmern.

      Page fragte sich, was der Verrückte an Lebensnotwendigem eingeplant hatte, denn außer den großen Kisten mit seinen Büchern und dem Instrument hatte er nichts mit an Bord gebracht. Soldaten hatten die Kisten von einem Versorgungswagen abgeladen, und der junge Offizier war zu Fuß und alleine im Hafen erschienen. Keine besorgten Verwandten hatten sich hinter ihm an Bord gedrängt, um ein paar Käfige mit lebenden Hühnern, ein paar Säcke mit Brot und Obst und einige Räder Käse unter Deck zu verstauen.

      Irgendwie hatte der Kapitän das Gefühl, dass es am besten wäre, ihn gleich an seinen Tisch einzuladen, um nicht irgendwo zwischen der Küste Portugals und der Straße von Gibraltar ins Logbuch eintragen zu müssen, dass einer seiner Passagiere verhungert sei, weil er festgestellt habe, dass man Papier nicht essen könne. Der Junge war vielleicht fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Jahre alt und so mager, dass sein roter Rock wie ein alter Lumpen an einer Vogelscheuche an ihm hing. Nicht einmal eine ordentliche Perücke schien er zu besitzen, denn seine schwarzbraunen Haare waren – entgegen der Vorschriften der Landstreitkräfte – kurz geschnitten und ungepudert. »Wie eine Krähe, kurz bevor sie flügge wird«, dachte Page. Der Verrückte am Bug schien dergleichen Gedanken zu haben, denn plötzlich breitete er die Arme aus, als wollte er seinen ersten Flugversuch unternehmen. Der Regen musste ihn inzwischen bis auf die Knochen durchnässt haben.

      Mit jeder Seemeile, die die Caroline sich von den Britischen Inseln entfernte, fühlte Arthur sich freier. Er war tropfnass und völlig durchgefroren, und sein Magen knurrte, denn er hatte seit zwei Tagen vor lauter Aufregung nicht mehr daran gedacht, irgendetwas zu essen. Das Wetter war grauenhaft, und die See bedrohte die Caroline mit jeder Welle, schien das Schiff unter Wasser drücken zu wollen, um es wie ein hungriges Raubtier zu verschlingen. Trotzdem war alles phantastisch: der weite Ozean vor ihm und am Ende der langen Reise: Indien! Indien – sagenumwobener Orient, fremd und aufregend! Indien, unendlich, unbekannt und unerforscht mit seinen riesigen Wäldern und den mächtigen Gebirgsketten, die den nördlichen Teil durchschnitten wie große, tiefe Wunden. Indien, mit seinen mächtigen Strömen, die Tausende von Meilen den Subkontinent durchquerten und Ozean mit Ozean verbanden. Indien – Freiheit und ein wundervolles, großes Abenteuer.

      Er konnte es kaum noch erwarten, in dieses ferne Land zu kommen. Wie gleichgültig es ihm war, was ihn dort erwartete: Reichtum und Ruhm oder Untergang und Tod. Endlich hatte er Dublin hinter sich gelassen und Irland und seine Schulden und seine Geige und sein gebrochenes Herz und seinen Pessimismus und den Alkohol und den Spielteufel und all die anderen Übel seiner missratenen, unglücklichen Jugend. Vor allem aber hatte er Richard hinter sich gelassen und den ganzen Rest seiner gottverdammten Familie, die immer nur von ihm forderte, aber nie etwas gab, und die ihn behandelt hatte wie einen Aussätzigen oder – schlimmer noch – einen Dienstboten, den man herumkommandieren konnte. Sie hatten ihn ins irische Parlament gezwungen, damit er die Interessen der Familie und das County Trim vertrat, während Richard in London ein feines Leben führte. Sie hatten ihn an die Seite des Vizekönigs gezwungen, damit er – während Richard intrigierte und lavierte – die Ohren offen hielt und vor dem alten Westmorland und dann vor Camden katzbuckelte. Sie hatten ihn vor zehn Jahren sogar in die Armee gezwungen, obwohl er nie hatte Soldat werden wollen, nur damit er ihnen nicht auf der Tasche lag, während Richard mit seinen unzähligen Mätressen am Arm sechsspännig vorfuhr, um in teuren Lokalen zu speisen.

      Seit er sich erinnern konnte, hatten sie über sein Leben verfügt, als wäre er ein Gegenstand und kein menschliches Wesen mit Gefühlen und einer Seele, die man verletzen und kränken konnte. Seit er sich erinnern konnte, war er fügsam gewesen und hatte, wie ein alter Hund, mit gesenkten Augen jeden Tritt und jede Demütigung schweigend hingenommen. Er war schließlich nur ein nutzloser, vierter Sohn! Ein dummer, überflüssiger vierter Sohn, wie seine Mutter immer zu sagen pflegte, der gut daran täte, sich irgendwo am anderen Ende der Welt für König und Vaterland totschießen zu lassen. Sie hätten ihr übles Spiel sicher noch weiter mit ihm treiben können, wäre da nicht dieses Mädchen gewesen: Kitty! Katherine Dorothea Sarah Pakenham, die zweite Tochter von Robert Lord Longford. Mit neunzehn Jahren hatte er sich hoffnungslos in sie verliebt, mit vierundzwanzig hatte er sie heiraten wollen. Doch die Longfords hatten ihn fortgejagt wie einen räudigen Straßenköter, denn außer den Schulden seines Vaters und seinem Offizierspatent hatte er ihrer geliebten Tochter nichts zu bieten. An dem Tag, als sein Traum vor seinen Augen zerplatzt war, hatte er beschlossen, dem Rat seiner Mutter zu folgen: Er hatte sich zum ersten Mal nicht fügsam und schweigend in sein Schicksal ergeben, sondern die Augen gehoben und ... nein gesagt. Er hatte sie alle zur Hölle geschickt und sich geschworen, nie wieder eine Frau zu lieben, sein eigenes Leben zu leben und seinen eigenen Weg zu gehen.

      So hatte er sich freiwillig für den ersten Truppentransport gemeldet, der die Inseln verließ. Er hatte sich nicht für ein bestimmtes Kommando gemeldet oder für irgendeinen Posten. Das revolutionäre Frankreich begann sich wieder in Indien einzumischen. Aus diesem Grund hatte die Regierung in Whitehall beschlossen, ihre Truppenstärke am anderen Ende der Welt drastisch zu erhöhen. Es gab nur eine einzige Richtung, in die das 33. Infanterieregiment Seiner Majestät, König Georg III., geschickt werden konnte. Arthur hatte bloß genickt und dem Sekretär des Oberkommandierenden dann bestimmt und mit überraschend fester Stimme erklärt, er wäre hundert Prozent sicher.

      Der Sekretär hatte lange versucht, ihm die Sache auszureden, und dabei dauernd mit seinen kurzsichtigen Augen in seine leere Teetasse gestarrt, als hätte er in den Teeblättern Arthurs Zukunft lesen können. Nur einer von sechs Briten, die sie nach Indien schickten, erklärte er, kehrte lebend zurück, meist von einem unheilbaren Fieber befallen und am Rande des Todes.

      Arthur hatte ihm nur geantwortet: »Umso besser! Hoffen wir, dass ich zu den fünf

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