Club Suizid. Jo Thun

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Club Suizid - Jo Thun

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war ja offensichtlich als Witz gemeint. Aber irgendwie ritt mich der Teufel, also warum es nicht ernst nehmen? „Woher weißt du das? So was in der Richtung hab ich vor.“ Ich versuchte, wie Robert Pattinson auszusehen, als er Bella verlässt, um sie nicht weiter durch seine blutgierige Familie zu gefährden.

      Der Fremde verstummte und seine vorher ziemlich glasigen Augen bekamen einen gewissen Glanz. Er nickte. „Ja, da war ich auch schon. Mensch, willste reden?“

      „Bloß nicht reden! Ne, ich dachte eher so an einen letzten großen Kracher, und dann morgen Schluß. Verstehste?“

      Der Fremde nickte wieder. „Wie heißte denn?“

      „Joachim!“

      Hinter der Theke hörte ich ein Räuspern. Was wusste Yunus schon? „Ja, kein Witz, ich heiße wirklich Joachim!“ brüllte ich in die Richtung des Wirts. „Und wie heißt du?“ fragte ich meinen neuen Freund.

      „Theo.“

      „Ja, also Theo, auf den großen Kracher!“ Unsere Sektgläser waren gekommen und wir stießen an. Die Anderen im Raum prosteten mir ebenfalls zu, einige kamen und klopften kurz auf meinen Tisch. Ich fühlte mich gut.

      „Was meinste’n mit Kracher?“ Theos Augen leuchteten. Ein armer Schlucker, der sich irgendwo reinhängen wollte.

      Theo kam etwas näher ran. „Willste was kaufen?“

      „Hä?“

      „Kleine Tüte, 100 Euro?“

      Aus dem Lautsprecher grölte eine männliche Stimme: „I’d catch a grenade for you. Yes, I would die for ya baby, but you won’t do the same.“ Ich stierte Theo an. Dann sah ich auf meine Armbanduhr. Mitternacht und damit mein Geburtstag vorbei. Jetzt konnte ich auch nach Hause gehen.

      Ich ließ Theo sitzen, zahlte meine Rechnung, und ging.

      Kapitel 6

      Es war kurz vor Mittag, als ich am nächsten Morgen aufwachte, und das auch nur, weil die Putzfrau, die jeden Donnerstag um halb 12 kommt, mit ihrem Eimer rumschepperte. Zuerst dachte ich, das komische Kopfgefühl sei ein Kater, aber dann merkte ich, dass es sich doch irgendwie anders anfühlte. Nichts drehte sich, als ich den Kopf hob, denn ich hob den Kopf gar nicht. Das ging gar nicht. Ich konnte auch die Augen nicht aufmachen. Eigentlich konnte ich mich überhaupt nicht bewegen. Mir fiel der Artikel ein, den ich einmal gelesen hatte über Patienten mit Locked-In-Syndrom. Sie können nichts bewegen, nicht mehr kommunizieren, und doch denken sie klar und hören genau, was um sie herum vorgeht. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was genau der Auslöser für diese Störung war. Das passierte ja wohl nicht so ganz ohne jede Ankündigung – oder doch? Wenn ich für immer in meinem Körper gefangen wäre, dann würde ich lieber gleich …. Jetzt fiel mir die Werbung für The Lost Paradise wieder ein. Und dann fiel mir auch Moni wieder ein, und Uwe. Gestern war echt ein Scheißtag gewesen. Ich sollte ihn streichen, und einfach heute nochmal meinen Geburtstag feiern, mit anderen Leuten.

      Vielleicht sollte ich mal Tante Agnes anrufen, die Schwester meines Vaters. Sie und ihre Tochter Alberta zum Essen einladen? Wie lange hatte ich die schon nicht mehr gesehen? Jetzt erinnerte ich mich wieder: Nach dem Tod meines Vaters war Agnes zu mir gekommen und hatte einen Brief mitgebracht. Einen Brief von meinem Vater, in dem er ihr versprochen hatte, dass sie die Hälfte der Firma erben sollte. Es war schließlich die Firma ihrer beider Eltern gewesen. Aber der Brief war schon uralt, und so ein Brief ist kein Testament. Ich habe ihr dann trotzdem 20,000 Euro angeboten, aber die wollte sie nicht. Seitdem hatten wir uns nicht mehr gesehen. Schade eigentlich, ich hatte sie immer ganz gerne gehabt. Komisch, nachdem ich so viele Jahre ganz gut ohne sie ausgekommen war, hatte ich jetzt schon zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden an sie gedacht.

      Und wie man so von einem Gedanken zum nächsten springt, da fiel mir dann plötzlich ein, dass sie, wenn ich unerwartet sterben würde, doch noch alles erben würde. Sie war meine nächste Blutsverwandte. Mein Gott, was war mit mir los - warum dachte ich denn die ganze Zeit ans sterben?

      Jetzt wäre der Moment gekommen, aufzustehen und das alles abzuschütteln. Aber ich konnte mich noch immer nicht rühren. Ich hörte, wie die Tür langsam aufgemacht wurde und dann wieder zuging. Das war nicht das erste Mal, dass ich noch im Bett lag, wenn die Putzfrau kam. Sie wartete sonst mit meinem Zimmer immer bis zum Schluss. Vielleicht war es ja gar nicht mittags, sondern schon viel später. Auch egal, dann machte sie halt mein Zimmer heute mal nicht. Ich schlief wieder ein.

      Als ich wieder aufwachte, lag ich auf der Seite. Also konnte ich mich doch bewegen, zumindest im Schlaf. Trotzdem hatte ich keine Lust, die Augen aufzumachen. Aber ich musste unbedingt mal aufs Klo. Kurz erwog ich, einfach ins Bett zu machen, entschied mich dann aber doch dagegen. Mühsam gelang es mir, die Augen etwas zu öffnen. Am liebsten wäre ich auf allen Vieren ins Bad gekrochen, aber da ich mir nicht ganz sicher war, ob die Putzfrau nicht doch noch da war, nahm ich all meine Energie zusammen und kam auf die Beine. Mit der Hand an der Wand abstützend tastete ich mich zur Tür und in den Flur. Da stand meine Putzfrau, schon im Mantel, als habe sie auf mich gewartet.

      „Guten Tag, Herr Mattheus. Ich habe ihnen einen Zettel hingelegt. Ich kann die nächsten zwei Wochen leider nicht kommen, meine Tochter ist krank und ich muss auf meinen Enkel aufpassen. Sie wissen doch, sie wohnt in London. Aber in drei Wochen bin ich wieder da. Soll ich Ihnen einen Ersatz besorgen?“

      „Ne, schon gut. Gute Besserung. Bis dann!“

      Ich hatte endlich das Bad erreicht und ließ mich aufs Klo fallen. Draußen fiel die Tür ins Schloss.

      Fünf Minuten später lag ich wieder im Bett. Und wieder musste ich an die Broschüre der Sterbeklinik denken. Das ließ mich nicht los. Als zöge mich eine höhere Gewalt. WER wollte mir hier WAS sagen? Ich verstand es nicht. Oder wollte es nicht verstehen? Wusste ich denn im Grunde nicht schon seit Jahren, dass mein ganzes Leben überflüssig war? Dass mich niemand brauchte, dass ich mich auf nichts freute, dass ich keinen Sinn im Leben sah? Warum also nicht Schluss machen?

      Wow! Ich hatte Selbstmordgedanken! Cool! Und die Lösung lag auf meinem Schreibtisch. Langsam spürte ich doch wieder etwas Energie und ich fischte mein Handy vom Nachttisch. „Copa Caba“, was wusste Google darüber? Ein kleiner Inselstaat, der früher einmal zu Brasilien gehört hatte, aber jetzt unabhängig war. 35,000 Einwohner. Weiße Sandstrände, ein Vulkan in der Mitte, der alle paar Jahrhunderte einmal ausbrach. Belieferte die Welt mit Muskatnuss und anderen Gewürzen. Man baute an einem Hafen für Kreuzfahrtschiffe, der würde aber erst nächstes Jahr fertig. Nur einen klitzekleinen Flughafen hatten sie.

      Eigentlich wollte ich schon immer mal in die Karibik. Und hier würde mich niemand vermissen. Ich rief nochmal die Seite der Klinik auf und klickte auf Kontakt. Normalerweise e-maile ich lieber, als dass ich telefoniere, aber ich wollte doch hören, was für Menschen in dieser Klinik arbeiteten.

      Beim Dritten Klingeln nahm jemand ab: „The Lost Paradise, How can I help you?“

      “Äh. Yes. Do you have a room free?”

      “Ich sehe, Sie rufen aus Berlin an. Wir können gerne Deutsch reden. Sie möchten bei uns buchen?”

      „Haben Sie denn ein Zimmer? Was kostet das eigentlich?“

      „Sie wissen, was für eine Art Klinik wir sind?“

      „Ich habe hier Ihre Broschüre.“

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