Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein. Till Angersbrecht
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Sogleich kam ihm ein kürzlich studiertes Buch aus der Hand eines Genies in den Sinn, auf dessen Umschlag der wunderbare Titel „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” prangte.
Sanft lehnte er sich gegen Ella, die ihre Brust schon entkleidet hatte, und flüsterte ihr ins Ohr.
Das Ding wurde zu Anfang noch gar nicht gebraucht - das haben die neuesten Forschungen ergeben. Denn in der frühesten Zeit hat sich der Mensch noch ohne alle Anstrengung fortgepflanzt. Das kannst Du an seinem anatomischen Aufbau erkennen, wenn Du mich oder auch Deinen eigenen Körper genau betrachtest. Nicht ohne Grund besteht jeder von uns aus zwei symmetrischen Teilen, nämlich einer rechten und einer linken Hälfte. Er hat ein Bein rechts und ein Bein links, er hat ein rechtes sowie ein linkes Auge, und so ist es auch bei Ohr, Arm und vielem anderen mehr. Die ursprüngliche Fortpflanzung fand also, wie wir heute wissen, einfach in der Weise statt, dass sich die beiden Hälften vertikal in der Mitte trennten, wobei dann der jeweils fehlende Teil aus jeder der beiden Hälften allmählich nachwucherte. Das war die sogenannte Fortpflanzung durch Hemitomie, die im Reich der primitivsten Wesen, der Bakterien, bis heute die Methode der Wahl darstellt.
Diese Sätze gingen Ego ganz flüssig über die Lippen. Er erstaunte selbst über seine umfängliche Bildung und geriet geradezu in Verlegenheit, weil Ellas Blicke mit wachsender Ergriffenheit auf ihm ruhten. Um aber vor ihr nicht als trockener Wissenschaftler zu erscheinen, denn er wusste wohl, dass so ein Eindruck der Leidenschaft wenig bekömmlich ist, drückte er ihr schnell einen Kuss auf die Wange und fügte, gleichsam als Entschuldigung, hinzu.
Dieses Fremdwort musst Du Dir aber nicht merken.
Er konnte es aber doch nicht lassen, sie weiter über das Geheimnis der Fortpflanzung aufzuklären:
Natürlich wies das Verfahren der Hemitomie, so schlicht und elegant es auch war, einige nicht zu vernachlässigende Nachteile auf. So konnten sich die ursprünglichen, über längere Zeit unvollständigen Hälften nicht normal fortbewegen, sondern nur auf hüpfende Art wie die Kängurus.
Ella lachte: Oh, das hat doch sicher sehr komisch ausgesehen!
Gewiss, pflichtete Ego ich bei, das war gewiss überaus komisch, aber die nachwachsenden Hälften haben außerdem noch an Phantomschmerz gelitten. Sie spürten bereits ein Reißen und Ziehen in den nachwachsenden Gliedern, als diese praktisch noch gar nicht vorhanden waren. Aufgrund der vielen Vorwürfe, denen sich unsere Urmutter Eana wegen dieses Missstands von ihren eigenen Geschöpfen ausgesetzt sah, fühlte sie sich schließlich genötigt, ein anderes Verfahren zu erproben.
Ego machte ein betrübtes Gesicht und zeigte auf sein Geschlecht. Ja, siehst Du, so hat es sich zugetragen. Eana führte ein neues Verfahren ein, und eines der Ergebnisse dieser Umwälzung sitzt nun neben Dir. Eana schuf den ersten Mann namens Adam aus dem Schenkel des damals noch eingeschlechtlichen Menschen und heftete ihm das „Ding“ zwischen die Beine, damit sein Same auf diesem Wege in den Leib einer Frau gelangt.
Jetzt war es Ella, die ihrem Besucher ganz schnell einen Kuss auf die Wange drückte.
Es ist doch gar nicht so schlimm, meinte sie tröstend. Immerhin wärest Du in Marsopolis arbeitslos ohne das Ding.
So gut es gemeint war, es fiel Ego schwer, sich über dieses Trostwort zu freuen.
Wie Du weißt, sagte er, war diesem Experiment unserer Urmutter keine Dauer beschieden. Ihre ureigenen Geschöpfe, die Frauen, hatte die Göttin mit einer so gewaltigen neuronalen Potenz ausgestattet, dass sie ihre Entwicklung nun selbst in die Hände nahmen. Das Ergebnis kennst du so gut wie ich. Der neue Mensch wird auf Mars wissenschaftlich gezüchtet. Das „Ding” wurde überflüssig und ist heillos veraltet. Für die Erhaltung der Art werden Leute wie ich nicht länger gebraucht. Nun begreifst Du, warum...
Ego brauchte den Satz nicht zu Ende sprechen, er hatte nicht nur sich selbst, sondern auch seine Gefährtin zu Tränen gerührt. Es glänzte in ihren Augen und sie schmiegte sich jetzt in schöner Nacktheit immer enger an seinen Leib.
Aber es stimmt doch nicht, flüsterte sie, dass ihr Männer ganz und gar wertlos seid. Im Gegenteil, ohne euch würde die Stadt nicht überleben. In der Unterwelt erfüllt der Mann bis zum heutigen Tag eine unverzichtbare Funktion. Deine Brüder dort unten – sie wies mit der Hand zum Boden - werden als Muskelwesen geplant und systematisch für ihre Aufgaben vorbereitet. Und Du, mein Lieber, hast zwar wenig Muskeln, sie kniff ihm liebevoll in den Arm, aber dafür hast Du das Ding. An deiner Stelle würde ich stolz darauf sein.
Nach Art aller glücklichen Frauen auf dem roten Planeten, hatte Ella diese Worte ohne viel Nachdenkens hingesprochen, aber Ego fühlte sich tief getroffen. Die Erinnerung an die Männer der Unterwelt und die darin ausgesprochene Gleichsetzung mit ihm selbst versetzten ihm einen schmerzhaften Stich.
Nein, das waren nicht seine Brüder, das waren Arbeitstiere, stumpfe, dressierte, geistlose Wesen, die in Marsopolis für all jene Frondienste eingespannt wurden, mit denen die Frauen aufgrund ihrer verfeinerten geistigen wie körperlichen Konstitution nichts zu tun haben wollten, für die sie gar nicht geschaffen waren.
In der Oberstadt wurden diese Arbeitstiere „Köche” genannt, aber niemand wusste warum. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sich die Bezeichnung auf dem Mars eingebürgert. Die Köche lebten unter der Erde, vom schönen Sternenhimmel wusste sie nichts, die heitere Sonne bekamen sie nie zu Gesicht. Aber das beunruhigte niemand in der Oberwelt, niemand wurde dadurch zu Mitleid bewegt. Wie jeder hier oben weiß, ist die Verbannung der Köche unter die Erde eine ganz natürliche und durchaus gerechte Strafe für alles, was sie auf Gaia den Frauen Jahrtausende lang zugefügt haben.
Ellas leichtsinnige Bemerkung über die unseligen Geschöpfe unter der Erde, hatte Ego die größte Pein bereitet, denn er wusste, dass er haushoch über diesen unterirdischen Wesen stand. Er war etwas unvergleichlich viel Besseres, er gehörte der Gemeinschaft der Frauen an. Er war ein Quotenmann!
Der Quotenmann an und für sich
Was in diesem Augenblick in ihm vorging, dürfen wir dem Leser nicht vorenthalten, andernfalls würde er die besondere Stellung Egos in der Welt der Frauen überhaupt nicht verstehen.
Durch die unbedachte Bemerkung seiner Gefährtin fühlte Ego sich nämlich in seiner Menschenwürde beschädigt. Die Köche, zischte es in ihm. Wie kann sie mich nur mit diesen armseligen, unglücklichen und erbärmlichen Geschöpfen vergleichen! Mich, Ego, hat frau von vornherein für die Oberwelt gewollt und geplant, zu der ich deshalb auch seit meiner Geburt gehöre. Ich darf unter den Frauen weilen, den Duft ihrer Körper atmen, mich an ihrem Lächeln erwärmen, meinen Geist an ihrer Weisheit schulen. Die Genies vom Vierten Reif haben meine Gensequenz auf männlich gepolt, weil es die Quote gibt. So einfach ist das. Etwa ein Prozent Männer dulden die Frauen in ihrer Mitte und ich darf einer von ihnen sein.
Ego konnte nicht länger an sich halten. Es platzte einfach aus ihm heraus:
Ihr braucht uns doch, wir Quotenmänner sind bei euch ständig im Dienst. Ihr achtet uns gering - natürlich, ihr seid