Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein. Till Angersbrecht

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Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein - Till Angersbrecht

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hat. Das bezweifelt ja niemand, und man sieht es euch ja an, wenn ihr uns mit mitleidigem Lächeln von oben herab betrachtet.

      Seht doch nur diese traurigen und missratenen Exemplare der menschlichen Gattung, steht euch ins Gesicht geschrieben. Könnt ihr euch vorstellen, dass diese missgestalteten Wesen unsere Töchter, Mütter und Großmütter auf Gaia Jahrtausende lang auf grausame Art beherrschten, drangsalierten und zu ohnmächtiger Sklaverei verdammten?

      So brach es aus Ego hervor, das einzige und wohl letzte Mal in seinem Leben. Aller aufgestaute Kummer über seine traurige Lage machte sich Luft bei dieser schüchternen Frau, die ihn versonnen, liebevoll und schüchtern anblickte und ihm sein Reden nicht einmal übel zu nehmen schien.

      Er war so von seinem Leid aufgewühlt, dass es noch weiter aus ihm hervorsprudelte.

      Wenn Du es wissen willst, ich selbst kann mir das auch nicht vorstellen, aber das großartige Buch „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” hat mich aufgeklärt. Schwarz auf weiß steht dort zu lesen, dass einst die Männer das Zepter führten und die Frauen aufs Grausamste unterjochten. Mich hat das Gelesene derart erschüttert, dass ich mein heutiges Los in aller Ergebenheit akzeptiere. Mit meiner Person muss ich das Unrecht sühnen, dass meine Vorgänger an euch verübten.

      Liebe Ella, rief Ego in einer Anwandlung von opferwilliger Unterwerfung. Der Sinn meiner Existenz liegt ganz darin, euch Frauen die Gewissheit der eigenen Überlegenheit zu verschaffen.

      Das wollte Ella nicht gelten lassen, sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Aber wir brauchen Euch doch, flüsterte sie. Ohne Quotenmänner wie Du einer bist, würden wir uns sehr unglücklich fühlen.

      Mit diesem Eingeständnis gelang es Ella, das Männchen an ihrer Seite einigermaßen zu beschwichtigen, weil sie damit an den tieferen Sinn seiner Existenz appellierte. Aber er konnte es immer noch nicht lassen, seine Antwort in einen kritischen Einwand zu kleiden.

      Ich weiß schon, sagte er, die Quotenmänner dienen euch als Lustobjekte, aber das geschieht nur unter der Hand und im Verborgenen. Offiziell ist jeder Umgang aufgeklärter Frauen mit uns Männern von Gesetz wegen gar nicht erlaubt. Die moderne Frauen, so kannst Du es auch in „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” lesen, kommt ganz ohne Männer aus, natürlich auch bei ihren sexuellen Spielen. Alle Lehrbücher preisen die gleichgeschlechtliche Liebe als letzte und höchste Bestimmung.

      Dagegen wusste Ella nun freilich auch nichts mehr einzuwenden. Sie blickte ihn nur traurig und träumerisch an.

      Seien wir doch ehrlich, fuhr Ego fort und sagte etwas, was er noch niemals zuvor einer Frau ins Gesicht gesagt hatte, denn es war eigentlich ungehörig und ist überhaupt nur damit zu erklären, dass er zu der unscheinbaren Person an seiner Seite bereits eine Neigung verspürte, die sich mit seinem Berufsethos nicht vertrug.

      Seien wir doch ehrlich, eanaholde, traumliebe Ella (wie schön und mühelos ihm diese Worte über die Lippen kamen!)

      Es ist der Reiz des Unerlaubten, der Reiz des überlisteten Gewissens da oben, der Reiz der Sünde also, der euch zu uns treibt. Wir Quotenmänner sind interessante Spielzeuge für euch, ein aufregender Zeitvertreib.

      Das ist wahr, rief Ella mit einer Anwandlung plötzlicher Entschlossenheit, und bei diesen Worten drängte sie sich so an den geladenen Gefährten, dass dieser den Moment gekommen sah. Aber da er nun wusste, in Ella endlich ein kunstsinniges Geschöpft gefunden zu haben, wie er es sich immer erträumte, so handelte er auch jetzt nicht spontan, wie der Berichterstatter und seine Leser es vermutlich erwarten. Nach zehn Jahren Berufserfahrung als Gemeineigentum der Frauen handelt vielleicht niemand mehr völlig spontan. Vielmehr sah Ego den Moment gekommen, das kleine illustrierte Heftchen aus der Tasche zu ziehen, das Lehrbuch der Liebeskunst oder „Komma-Zuttam” wie man in Marsopolis sagte, ein Name, des es auf Gaia erhalten hatte, und zwar von einem Kontinent, den sie dort „Inden” oder „Indien” nannten, ein Land, das überwiegend von Elefanten bewohnt wird.

      Da Ego sich aufgrund seiner langen Berufserfahrung gleich zu Anfang bewusst war, dass diese schüchterne Frau in ihrem Leben sicher zum ersten Mal ein Männchen erkennen sollte, blätterte er gleich zur Seite zehn, wo „K1a“ als schöne Gravur zu sehen war, der sogenannte „Amazonenritt”. Diese Stellung war eine der wenigen, die sich mit der hohen Stellung und Würde der Frau auf dem Mars vertrug. Die farbige Darstellung war in der Tat von besonderer Schönheit. Frau thronte da mit stolz vorspringenden Brüsten über dem hingestreckten Leib eines Mannes, so als hätte sie sich auf ein Ross geschwungen. Den Körper wie eine Fahnenstange lotrecht nach oben gerichtet, den Kopf leicht schräg zum Himmel weisend, die Beine rechts und links des auf dem Rücken liegenden Männchens angewinkelt, hielt sie mit ihren Händen jeweils ein Ende des Zügels, den ihr der offensichtlich von dieser Stellung begeisterte Künstler als zusätzlichen Zierrat in die Hand gelegt hatte. Er hatte ihr außerdem noch einen Helmbusch mit lustig wehenden roten und grünen Federn, den Farben Eanas, aufs flatternde Haar gesetzt und die Zügel an den beiden Ohren der liegenden Kreatur befestigt. Auf dem Helmbusch war in Kapitalschrift die Aufschrift zu lesen „Nike de Saint Phalle” (die Siegerin über den heiligen Phallus).

      Die Siegesstellung, flüsterte Ego, ich bin bereit. Er wusste, dass die durchschnittliche Frau in Marsopolis beim Anblick dieser verlockenden Darstellung sogleich in höchste Erregung gerät. So begann die Sünde fast immer mit einem Sieg.

      Aber wieder verhielt sich Ella ganz anders als die durchschnittliche Frau. Obwohl offensichtlich eine Anfängerin in der Kunst der Liebe, ließ sie sich mit reger Neugierde – wollte sie sich damit als wissbegierige Schülerin zeigen? – von Ego einige der wichtigsten Stellungen erklären, natürlich nur die wichtigsten, denn das sündige Lehrbuch aus Gaia kennt insgesamt an die Tausend. Einige davon werden auf weichen Laken zelebriert, andere auf grobem Kies, einige im Kopfstand, nicht wenige in einem Teich, mehrere unter Wasser und einige sogar zwei Meter über einem glühenden Kohlebecken, weil die Körper in großer Wärme zu spastischen Bewegungen neigen, welche die irdische Lust angeblich ins Übersinnliche steigern. Der Höhepunkt aber war eine Stellung, bei der sich die beiden Liebenden auf einem Scheiterhaufen in vollkommener Verschmelzung befanden, während sie von den Flammen verzehrt und so im Akt der heißesten Liebe vergeistigt werden. Diese Stellung trug die schlichte Bezeichnung „Sati”.

      Als sie all diese bunten Bilder von nackten Menschen sah, überflog ein leichtes Rot die Wangen Ellas. Schamvoll schien sie sich plötzlich bewusst zu werden, dass Ego aus ihrem Interesse für die gesammelte Lust ungehörige Gedanken ableiten könnte. Am Ende würde er noch glauben, sie hätte bereits mit allen Quotenmännern im Bett gelegen, obwohl sie in Wahrheit doch heute um ersten Mal die Schwachheit besaß, sich zu dieser Sünde hinreißen zu lassen. Mit leicht verschämter Stimme murmelte sie deshalb:

      Ego, ist das nicht Ponnograppie?

      Dieser Einspruch bereitete Ego eine heimliche Freude; war er doch ein weiterer Beweis, dass sich die schüchterne Frau nicht einfach von den niederen Trieben überwältigen ließ und sich in die erstbeste Stellung fügte.

      Er freute sich auch, weil er darin eine weitere Chance erblickte, dieser Frau außer den Diensten seiner Männlichkeit obendrein noch ein wenig von seiner Bildung mitzugeben. Deshalb korrigierte er sie sogleich:

      Es heißt aber Ponnograapie mit langem a, meine traumliebe Schöne – dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten.

      Diese Auskunft schien sie zu beruhigen. Mit emsigen Augen das Heftchen durchfliegend, wies sie plötzlich mit langem Zeigefinger auf die Stellung „K37b“.

      Das will ich, sagte sie. Ego war im ersten Moment derart verblüfft, dass er nach Worten rang.

      Aber das ist doch, das ist doch!,

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