Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein. Till Angersbrecht

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Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein - Till Angersbrecht

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weil er nur ein erbärmlicher Macho sei, einer von den vorzeitlichen Patriarchen, die das Menschengeschlecht mit allen Übeln heimgesucht und verdorben hätten.

      Der Major, trotz seines militärischen Rangs ein durchaus sensibler Mensch, verfiel daraufhin in eine Schwermut, die mit der Zeit in rasende Verzweiflung überging. In diesem Zustand begann er, sich mit den verschiedensten Instrumenten wie Scheren, Zangen, Nadeln etc. zu ritzen und zu kneifen, bis er in einem Moment dunkler Entschlossenheit, einen Zwirnsfaden um die Hoden legte, wobei er mit einem entschiedenen Ruck die Blutzufuhr schließlich ganz drosselte und sich auf der Stelle in einen Eunuchen verwandelte. Offenbar neigte er schon zuvor zur Gewalttätigkeit, denn ein roter Schmiss, der ihm über die rechte Wange lief, verunstaltete sein Gesicht. Wiederum führte er sich, wenn auch das letzte Mal und glücklicherweise nur gegen sich selbst, als brutaler Macho auf.

      Das sollte allerdings der letzte Akt männlicher Gewalttätigkeit sein. Als die Tat ruchbar wurde, war ein allgemeiner Aufruhr die Folge. Die Frauen zerfielen in zwei verfeindete Lager, die einander nicht nur mit allen Argumenten scharfsinniger Logik bekämpften, sondern sehr bald handgreiflich wurden: Sie waren nämlich drauf und dran, mit fanatischer Wut übereinander herzufallen. Das Lager derer, die sich selbst als Heldenverehrer sahen, erhob den Major zu einem Vorbild für alle Männer. Hatte er nicht aus eigener geistiger Kraft seine naturgegebene Minderwertigkeit erfasst und den Versuch unternommen, mit seiner Tat die Erbsünde abzutragen, indem er seiner Männlichkeit aus freien Stücken entsagte? Im Lager der Heldenverehrer waren die Frauen geneigt, Major Trippschitz einen besonderen Rang zu verleihen, nämlich den einer Ehrenfrau.

      Was mich betrifft, unterbrach Ego seinen Bericht, so war ich im ersten Augenblick von Major Trippschitzs kühner Tat so begeistert, dass ich mir ebenfalls einen Zwirnsfaden verschaffte und diesen auf mein Nachtkästchen legte. Andererseits ließen mir die Zweifel von Anfang an keine Ruhe. War es denn mit den Eiern wirklich getan? Viel beschämender für den Mann ist doch das Ding, ich meine dieser Schlauch zwischen den Beinen. Die Eier lassen immerhin eine gewisse Symmetrie erkennen, wie sie in der Kunst durchaus beliebt ist, außerdem ist ihnen ein gewisser ausladender Schwung nicht abzusprechen. Das eigentliche Übel ist doch diese Raupe, dieser klägliche Regenwurm in all seiner Missgestalt! Ob ein überlegter Gebrauch des Zwirnfadens, fragte ich mich, nicht auch in diesem Fall Abhilfe schaffen könne?

      Nun, um ehrlich zu sein, währten meine Überlegungen nicht sonderlich lange; ich sah mich schon bald genötigt, derartige Hoffnungen für alle Zeit aufzugeben. Die “Holden” vom Fünften und Höchsten Reif, also die gnädige Regierung unserer Holden, hatte sich den Fall Trippschitz nämlich in geheimer Beratung vorgenommen. Kein Wunder, der Aufruhr unter den Frauen hatte die Selbstkastration des Majors über Nacht zu einer Staatsaffäre gemacht. Den Heldenverehrern stand ein durch und durch unnachsichtiges Lager gegenüber: alle jene Frauen – sie nannten sich selbst die “Unerbittlichen” – die absolut nicht mit sich reden ließen. Der Mann, so schrien sie es den Heldenverehrerinnen entgegen, sei grundsätzlich verdorben, ein missratenes Schöpfungsprodukt. Wie soll ein Zwirnsfaden da Abhilfe schaffen?

      Wir wissen, dass auch die Holden des Fünften Reifs sich furchtbar gestritten haben; auch sie waren in die beiden Lager zerfallen. Die zweite und dritte Holde wollten dem Trippschitz eine Statue errichten. Der Major wäre dann in Gestalt einer Frau - oder sagen wir besser: fast in der Gestalt einer Frau - verewigt worden. Doch die Erste Holde schüttelte missbilligend ihren Kopf, hob ihre Hand und verkündete das abschließende Urteil. Das sorgte sogleich für allgemeine Überraschung, ja rief anfänglich sogar Bestürzung hervor. Selbst die Unerbittlichen hatten nicht mit solcher Härte gerechnet. Die Erste Holde sprach eine sofortige Verbannung des Majors zu den Köchen in die Unterwelt aus.

      Auf die anfängliche Bestürzung folgte nach und nach die Erleichterung. Am Ende fand die Begründung der Ersten Holden sogar die Billigung beider Lager. Die Kastration, so die Erste, sei an sich zu begrüßen. Zweifellos würde sie einen Mann im Hinblick auf seine äußere Gestalt – wenn auch nicht im Hinblick auf seine mindere Intelligenz und Mängel – dem Vorbild der Frauen annähern. Doch dass ein Mann sich selbst zu dieser Tat ermächtigt, ohne zuvor die Holden um eine Vollmacht ersucht zu haben, sei ein unverzeihlicher Akt der Selbst-Herr-lichkeit und stehe somit ganz in der Tradition jenes unseligen Machotums, dem die Frauen mit der Gründung einer jungfräulichen Zivilisation auf dem Mars ein für alle Mal ein Ende bereitet hätten.

      Dieser von der Ersten Holden ergangene Urteilsspruch war natürlich auch als Warnung an die wenigen übrigen noch in der Oberwelt geduldeten Quotenmänner gedacht: Zweifellos erklärt sich so seine absichtliche Härte. Mitsamt der ganzen von Gaia mitgebrachten Mannschaft aus zwanzig Leuten wurde Trippschitz für immer in die Schächte der Unterwelt verbannt.

      Ich aber, fuhr Ego mit seiner Erzählung fort, habe den Zwirnsfaden umgehend beiseitegelegt, genauer gesagt, habe ich ihn vorsichtshalber verschluckt, um alle verdächtigen Spuren zu tilgen. Trippschitz hatte ein Verbrechen begangen, nach dem Schiedsspruch der Holden war damit aller Zweifel beseitigt.

      Gemeinschaftsgut Liebe

      Es war spät, sehr spät, als Ego seine Gefährtin endlich verließ – sie ließ ihn kaum ziehen. Die Vorsicht allerdings gebot seinen Aufbruch, denn hätte er bis zum Morgen gewartet, wären die Gänge vor den Waben voller Frauen gewesen, die ihren Geschäften nachgehen, und jede hätte sofort gesehen, welchen Gast sich Ella bis in den Morgen gehalten hatte. Wenn sie schließlich einwilligte, ihn ziehen zu lassen, so mochte dabei auch die Eifersucht im Spiel sein, denn sie wusste ja, eine andere Frau könnte ihm sofort auf die Schulter tupfen, wenn sie ihm draußen begegnete. Um diese Zeit aber gab es keine Frau, es herrschte Ruhe in Marsopolis.

      Es fiel beiden schwer, sich voneinander zu trennen, erst als Ego schließlich allein im Halbdunkel der verlassenen Gänge war, die alle konzentrisch auf den Mittelpunkt zustrebten, wurde ihm bewusst, wie sehr er gegen sein Ethos verstoßen hatte. Die großen Philosophen sagen uns doch, flüsterte ihm eine mahnende Stimme zu, dass wir unseren Beruf aus dem Gefühl der Pflicht und nichts als der Pflicht ausüben sollen. Wer dabei Vergnügen verspürt, der liefere sich dem Egoismus aus. Ego war ernstlich verwirrt über das Geschehen dieser Nacht, denn er musste sich eingestehen, dass es ihm Spaß gemacht hatte – das erste Mal in seiner Laufbahn. Damit würde er vor den Augen der großen Philosophen bestimmt keine Gnade finden. In diese wenig tröstlichen Gedanken versunken, strebte er auf den “Nabel” zu – so nennen sie auf Marsopolis den Mittelpunkt ihrer Stadt, der im Erdgeschoss von einer Treppe gebildet wird, die alle nur scheu umrunden, weil sie in die Unterwelt führt, dorthin, wo die Köche wohnen. Über dem Portal der Treppe befindet sich eine Inschrift, die für jeden eine Mahnung ist, sich niemals etwas zuschulden kommen zu lassen, womit er den Holden einen Anlass gäbe, ihn so wie einst Major Trippschitz in diese Hölle der ewigen Finsternis zu verdammen.

       Lasciate ogni speranza, voi ch”entrate!

       (Nach diesem Tor hört alle Hoffnung auf!)

      Steht dort zu lesen. Ego schaute gar nicht mehr hin; diesen Spruch kennt ja ohnehin jeder und jede. Die Drohung über dem Eingang zur Unterwelt erfüllt aber ihren Zweck: Sie sorgt dafür, dass sich auf Marsopolis ganz von selbst die richtige Gesinnung einstellte. Für einen Quotenmann ist es schlicht überlebenswichtig, die richtige Gesinnung zu haben!

      Nachdem Ego zum ersten Mal in einem Jahrzehnt pflichtgetreuer Berufserfüllung Vergnügen im Dienst empfunden hatte, war er sich allerdings seiner richtigen Gesinnung nicht länger gewiss. So ist es zu erklären, dass er, obwohl von Müdigkeit gedrückt, sich dennoch vor den kleinen Tisch in seiner Wabe hinsetzte und zu schreiben begann. Er war ja, wir sagten es schon, ein gebildeter Mensch. Unter den Quotenmännern war die Schreibtätigkeit eine gängige Praxis. Da man als geborener Außenseiter unter besonderer Beobachtung stand, tat man gut daran, regelmäßig Zeugnis von der Makellosigkeit der eigenen Gesinnung abzulegen.

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