Tauziehen am Myrtenkranz. Wilma Burk
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Sie reagierte nicht darauf. War sie Vorwürfe von ihm gewöhnt? Hatten sie es verlernt, aufeinander zu achten? Hatte das ständige Beisammensein über viele Jahre sie gleichgültig gegeneinander werden lassen?
Mich fröstelte bei dem Gedanken, dass es so sein könnte. Scheu griff ich nach Konrads Hand. Fragend sah er mich an. Er folgte meinem Blick und lächelte verstehend, als wüsste er, was ich dachte. Nein, ich war mir sicher, zwischen uns würde es nie so sein wie bei diesen alten Leuten.
Die Sonne ging unter. Ihr flammendroter Schein traf nur noch die oberen Fenster der hohen Häuser und ließ sie grell aufleuchten. Unten in den Straßen wurde es dämmerig. Wie eingesperrt kam ich mir hier vor, kein weiter Himmel über Bäumen, in deren Blätter der Wind rauschte, nur Stein neben Stein, Häuser und Straßen. Wie gut, dass es gegenüber des Hauses, in dem jetzt mein Zuhause sein sollte, eine kleine Parkanlage gab.
Dann waren wir da. Die hohe Haustür quietschte wie immer. Konrad machte im Treppenhaus gleich das Licht an. Doch viel heller wurde es nicht. Die Fenster zum Hof wirkten bereits dunkel. An der Wohnungstür bemerkte ich den verschnörkelten alten Griff für die Klingel und darüber das Messingschild mit dem Namen: P. Willinger. Darunter war ein einfaches Pappschild mit Konrads Namen befestigt. Hier wohnten wir jetzt also.
Konrad hatte noch nicht den Schlüssel ins Schloss gesteckt, als die Tür von innen bereits geöffnet wurde. Die Witwe Willinger musste auf uns gewartet haben. Vielleicht hatte sie uns vorher vom Fenster aus kommen sehen. Sie hielt einen Teller in den Händen, auf den sie hübsch dekoriert einen Kanten Brot, Salz und ein paar Pfennige gelegt hatte. Wie klein und zierlich sie war. Schneeweißes Haar umrahmte ihr Gesicht, aus dem mich hinter Brillengläsern kleine graue Augen freundlich musterten. Sie wirkte verträumt, als lebte sie mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Würde ich mich an sie gewöhnen, Vertrauen zu ihr finden können?
„Glück und Segen mit ihrem Eintritt, mein liebes Kind“, begrüßte sie mich feierlich in meinem neuen Zuhause, dazu reichte sie mir den Teller mit den symbolischen Gaben.
Ich bedankte mich, spürte ihre zarten Finger lasch in meiner Hand liegen und sah doch befangen in die vom spärlichen Lampenlicht kaum erhellte Tiefe des Korridors. Wenn Konrads Mutter noch lebte, so hätte ich jetzt eine Schwiegermutter, ging mir durch den Sinn. Vielleicht wäre sie genauso wie die Witwe Willinger.
Langsam gewöhnten sich meine Augen an das Dämmerlicht in dem Korridor. Konrad schloss die Wohnungstür hinter sich. Er wechselte noch ein paar höfliche Worte mit unserer Wirtin, ehe sie leise davonschlurfte und hinter einer der vielen Türen verschwand. Zielstrebig ging Konrad auf seine Zimmertür hinten bei den Portieren zu und stieß sie auf.
„Überraschung!“, rief er. „Sie haben unsere Hochzeitsgeschenke hergebracht. Schau nur, was da alles steht.“
Neugierig folgte ich ihm. Es war viel, was Mama und Bruno hergeschleppt und hübsch auf dem Tisch aufgebaut hatten. Ein bunter Blumenstrauß stand daneben und davor ein Schild, auf dem Traudel ungelenkig geschrieben hatte: Viel Glück!
Was war da nur alles. In der Aufregung des Hochzeitstages hatte ich vieles nicht wirklich wahrgenommen. Es gab Likörservice, Biergläser, Weingläser, Tortenplatten und Schüsseln mit passenden Tellern dazu. Wenn ich es richtig sah, so waren es in der Hauptsache Glaswaren, die man zu der Zeit eben am leichtesten erhalten konnte, besonders im Ostsektor der Stadt.
Konrad nahm dies und jenes in die Hand. „Ich glaube, Gläser haben wir für unser Leben genug. Allein drei Likörservice sind dabei.“
Ich sah aber auch an der Wand das Feldbett stehen mit meinen sauber bezogenen Betten darauf. Sie lagen nun nicht mehr auf meinem weißen Schleiflackbett in meinem kleinen Jungmädchenzimmer. „Für dich wird alles anders sein“, hatte Mama gesagt. Dies war der Anfang.
Konrad sah derweil die Glückwunschkarten durch.
„Suchst du etwas?“, fragte ich.
„Ja, einen Gruß von meiner Großmutter“, antwortete er nachdenklich.
Und dann hatte er die Glückwunschkarte gefunden. Sie war unpersönlich wie an einen Fremden geschrieben. Ich spürte, wie enttäuscht er war. Dabei hatte ich geglaubt, diese Großmutter in Bayern bedeute ihm nicht viel. Ob, auch wenn man zerstritten ist, ein familiäres Band dennoch bestehen bleiben kann?
Schließlich entdeckte ich einen bescheidenen Wäschestapel, hauptsächlich Handtücher. Eine bunte, gestickte Tischdecke fiel mir auf. Ich kannte sie. Hatte ich sie nicht bei Tante Emmy gesehen?
„Sieh mal, Konrad“, machte ich ihn darauf aufmerksam, „Tante Emmy hat uns eine Tischdecke geschenkt, die sie in ihrer Brautzeit für ihre eigene Aussteuer gestickt hat.“
Wie viele Hoffnungen mögen sie bei dieser Arbeit erfüllt haben? Und dann war ihre Ehe so schnell zerbrochen. Nur dunkel konnte ich mich an Onkel Emil erinnern, eigentlich lediglich an die Bonbons, die er für uns Kinder stets mitgebracht hatte. Mama sagte von ihm, er sei ein einfacher, aber liebenswerter Mensch gewesen. Doch Tante Emmy hatte sich nicht damit abfinden können, dass er nicht so klug und belesen war wie sie. Oft verwechselte er die Begriffe, dann verbesserte sie ihn sofort ungeduldig. Er aber lachte darüber, als ärgerte es ihn nicht. Oder wollte er sich damit nur über sie lustig machen? Einmal jedoch kam es anders. Als Tante Emmy ihn wieder vor der Gesellschaft zurechtwies, lachte er nicht. Nach einem tiefen Zug aus seiner Zigarre antwortete er: „Wie gut, dass es Dumme gibt, sonst könnten die Klugen mit ihrem Wissen nicht glänzen!“ Alle schwiegen betreten. Wenige Monate später erfuhren wir, dass Tante Emmy und Onkel Emil sich scheiden ließen.
Wir hatten noch nicht alle Glückwunschkarten durchgesehen, da ging das Licht aus, Stromsperre. Konrad zündete eine Petroleumlampe an, die bereit stand, und wir rückten dicht zusammen, um bei ihrem schwachen Schein alles zu Ende lesen zu können.
Darüber war es Nacht geworden. Die Petroleumlampe blakte. Wir waren müde. Dicht kuschelte ich mich zum Schlafen an Konrad auf der Couch. Mein Feldbett blieb in dieser Nacht unberührt. Ich spürte seine Wärme. Sein ruhiger Atem strich sanft über meine Haut. Ich war glücklich, ihm so nah zu sein.
Dabei fragte ich mich, wie es Tante Emmy ertragen konnte, so lange schon allein zu leben. Wie hielt sie es aus, in der einen Hälfte des alten Ehebettes zu schlafen, während die andere daneben leer war. Musste es sie nicht ständig an eine kurze, sicher auch glückliche, gemeinsame Zeit erinnern? Ich wusste, dass Onkel Emils Bett unter der Steppdecke immer frisch bezogen war, als könne er jeden Moment zurückkommen.
*
Am nächsten Morgen trennten sich zum ersten Mal unsere Wege. Jeder ging zu seiner Arbeitsstelle. Ich brannte darauf, meiner Freundin Brigitte von den ersten Tagen unserer Ehe zu erzählen. Doch als ich sie sah, wusste ich, dass ich dazu kaum Gelegenheit haben würde. Mit großen Augen, sichtlich aufgeregt, sah sie mir entgegen. Es musste sich etwas Wichtiges ereignet haben.
Kaum saß ich neben ihr, neigte sie sich mir zu und flüsterte: „Du errätst nicht, was passiert ist. Ich habe mich in einen Ami verliebt.“
„Nein! Wie bist du dazu gekommen? Das ist doch … das kann doch nicht …“, stotterte ich überrascht. „Etwa in einen Soldaten?“
„Jawohl, in einen Soldaten!“ Jetzt schaute sie mich doch ein wenig unsicher, zugleich aber trotzig an.
„Du weißt, wie man darüber denkt?“
„Na und?“
„Wir