Tauziehen am Myrtenkranz. Wilma Burk
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Читать онлайн книгу Tauziehen am Myrtenkranz - Wilma Burk страница 19
Still saßen wir nebeneinander. Zum ersten Mal hatte er mir ausführlicher von sich und seiner Vergangenheit erzählt.
„So habe ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Eigentlich wissen wir bisher sehr wenig voneinander, Kleines“, fügte er nachdenklich hinzu.
Ja, er hatte Recht. Sicher war dies nur ein Bruchteil von Konrad und seiner Vergangenheit, die ich eben erfahren hatte. Und gab es nicht noch unendlich viel, was ich ihm von mir erzählen könnte? Wie konnte von uns einer wissen, wie der andere in einer bestimmten Situation reagieren würde? Wird es überhaupt möglich sein, den andern wirklich zu kennen, oder bleibt da immer etwas Fremdes, was man mitunter spürt? So, wie jetzt, da ich fröstelnd erkannte, wie viel Fremdes in Konrad sich für mich noch verbarg. Doch wir hatten unsere Liebe. Sie würde uns verbinden, darauf hoffte ich.
„Frierst du?“, riss mich Konrad aus meinen Gedanken, und es klang, als hätte er die traurige Nachdenklichkeit über seine Vergangenheit abgestreift. Er rüttelte mich sacht und zog mich fester an sich.
Ich aber wollte jetzt mehr von ihm wissen. „Du sagst immer, du hättest keinen Menschen mehr. Doch da ist doch deine Großmutter in West-Deutschland. Was ist mit ihr?“
Er lachte auf. Es war ein bitteres Lachen. „Ja, sie gibt es, im Allgäu, in Bayern. Großmutter soll eine harte Frau sein. Da ist auch noch eine Tante, Mutters jüngere Schwester mit ihrem Mann, einem Sohn und einer Tochter. Sie haben den großen reichen Bauernhof vom Großvater übernommen. Eigentlich sollte Mutter als älteste Tochter einen Bauern heiraten und ihn übernehmen. Da Großmutter aber Wert darauf legte, dass ihre Töchter nicht nur reich, sondern auch gebildet waren, schickte sie beide auf eine höhere Schule in der näheren Stadt. Nach dem ersten Weltkrieg ließ sie sogar Mutter zu Verwandten nach Berlin fahren, damit sie auch ein Stück von der Welt kennenlernen sollte. Hier begegnete sie meinem Vater und verliebte sich in ihn. So kam sie, statt mit einem Bauern, mit einem Stadtmenschen daher - auch noch mit einem Berliner, einem Preußen. Kannst du dir vorstellen, wie Großmutter darauf reagiert hat? Sie drohte meiner Mutter, nie wieder ein Wort mit ihr zu reden und sie zu enterben, wenn sie nach Berlin ginge, um ihn zu heiraten. Doch Mutter hat sich nicht beirren lassen, sie hat zu Vater gehalten und ist ihm gefolgt. Dann soll wirklich jeder Kontakt zwischen ihnen abgebrochen sein, bis zu dem Tag, an dem ich auf die Welt gekommen bin. Von da an gab es wenigstens zu Weihnachten und zu den Geburtstagen einen Gruß, mehr nicht. Ich war noch sehr klein, als wir einmal hingefahren sind. Meine Mutter suchte die Versöhnung. Doch es ging nicht, es blieb das einzige Mal, solange ich denken kann. Meine Erinnerung an meine Großmutter ist nicht sehr freundlich. Ich glaube, ich habe mich als kleines Kind vor ihr gefürchtet. Sie saß da, unnahbar in ihrem langen schwarzen Rock mit den streng nach hinten gekämmten Haaren, und musterte die Welt mit kalten grauen Augen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemals einen Menschen liebevoll in den Arm nehmen könnte.“
„Wie du das beschreibst, hätte ich auch kein Verlangen, dort hinzufahren. Doch was ist mit deiner Tante?“
„An sie habe ich überhaupt keine Erinnerung mehr. Irgendwann hatte sich Mutter damit abgefunden. ‚Es reicht, wenn wir ihnen zu Weihnachten schreiben. Wir haben uns, das ist genug’, sagte sie oft. Und so blieb es.“
„Und jetzt haben wir uns beide, Konrad, nicht wahr?“ Ich lehnte mich wie Schutz suchend an ihn.
„Was für ein Glück!“ Es klang erleichtert. „Komm, lass uns hineingehen, es wird kühl.“ Damit stand er auf.
Viele Gedanken gingen mir noch durch den Sinn, ehe ich einschlief. Wie hatte ich den Krieg durchlebt? Sicher, da war etwas von der Angst geblieben, wenn der Boden im Luftschutzkeller schwankte, weil in der Nähe Bomben einschlugen. Es war auch die Furcht, mit der wir uns versteckten, als die Russen Berlin eroberten. Doch immer war da Mama und unser Zuhause für mich gewesen, wie eine Burg, zu der man flüchten konnte, ein Ort, an dem man sich sicher fühlte. „Wir haben bestimmt einen Schutzengel“, hatte Mama uns versichert und damit beruhigt. Und wenn ich jetzt zurückblicke, war es nicht wirklich so gewesen?
6. Kapitel
Was sind schon zwei Wochen Ferien? Viel zu schnell vergingen die sorglosen Tage. Der gemeinsame Alltag wartete auf uns. Wir ernteten vom Baum noch Äpfel, packten sie in die Taschen, stellten das zuletzt abgewaschene Geschirr in den kleinen Schrank, sahen nach, ob das Feuer im Herd wirklich ausgegangen war und machten uns auf den Weg. Wehmütig war mir zumute, als Konrad Laube und Gartentor abschloss. Ich fuhr ja nun nicht nach Hause zu Mama, in mein kleines Zimmer, konnte ihr nicht sprudelnd erzählen, was ich alles erlebt hatte. Nein, jetzt begann für mich ein neues Leben in Konrads „möblierter Bude“ bei der Witwe Willinger, einem mir völlig fremden Menschen. Mir war bang davor, obwohl ich mich bemühte, es zu unterdrücken.
Die Straßenbahn, die uns zurück in die Stadt brachte, war voller heimfahrender Menschen. Es war Sonntagabend. Hatten die Menschen bei diesem schönen Wetter zum Wochenende oder am Morgen aus der Stadt in die Umgebung hinausgedrängt, so strebten sie jetzt wieder in die Stadt zurück. Gemächlich ruckelte die Bahn von einer Haltestelle zur anderen durch die Straßen. Bald verschwanden Felder und Gärten aus unserem Blick.
Schon zeigten sich die ersten hohen Wohnhäuser, da stieg ein altes Ehepaar ein. Zuerst erklomm der Mann die hohen Stufen in die Bahn. Die Frau kam mühsam und schnaufend hinterher. Sie setzten sich auf die Bank uns gegenüber. Auf ihren Knien hielt jeder einen Korb voller rotbäckiger Äpfel. Ob sie auch einen Garten hatten? Von denen, die um uns standen oder saßen, warf so mancher einen begehrlichen Blick auf ihre Körbe - in dieser mageren Zeit! -. Aber die beiden Alten achteten nicht darauf. Es war, als klammerten sie ihre Umwelt aus ihrem Leben aus. Verstohlen musterte ich sie.
Sie trugen goldene Eheringe. Es war sicher, sie gehörten zusammen. Er hatte vom Schaffner auch zwei Fahrscheine verlangt. Doch wie sie dort nebeneinander saßen, konnte man glauben, sie seien sich fremd. Der eine sah nach links aus dem Fenster, der andere nach rechts. Nie trafen sich ihre Blicke. Kein Wort wechselten sie miteinander. Hatten sie sich gezankt oder hatten sie sich nichts mehr zu sagen? Nein, ihre Gesichter zeigten keine Verärgerung. Sie wirkten einfach nur gleichgültig und abgestumpft. Da bremste die Bahn kreischend mit einem Ruck. Die alte Frau verlor das Gleichgewicht. Sie rutschte nach vorn, ihr Korb stieß gegen Konrads Knie und ein paar Äpfel fielen heraus.
,,’tschuldigung", murmelte sie und bückte sich umständlich, um die Äpfel wieder einzusammeln. Konrad