Liebe findet immer einen Weg. Monica Maria Mieck – Herausgeber Jürgen Ruszkowski
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Mit frischen Möhren, die noch Wassertropfen an ihren Spitzen haben, kommen die Brüder von der Regentonne her gelaufen und geben auch mir etwas „Futter“ gegen den aufkommenden Hunger. Danach holt unsere Mutter die Kerzen aus der Tasche, die sie von zu Hause mitgebracht hat. Das Aufstecken der Lichter in den Laternen und das Richten der Haltegriffe ist offenbar Vatersache. Inzwischen ist es auch tatsächlich dunkel geworden, und es weht kein Wind. Mit einem Streichholz zündet unser Vater die Lichter in den wunderschönen Lampions an, und erst jetzt kommen die Farben so richtig zu ihrer Geltung. Und alle Seligkeit auf Erden hat in meinem kleinen Kinderherz Platz. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so dasaß, mit dieser herrlich bunten Papierlaterne in der kleinen Hand, die ich als Leuchtkugel hoch gegen den tiefdunkelblauen Sommernachthimmel hielt. Aber ich bin gewiss, dass dieser goldene Sommertag einer der schönsten Tage in meinem Leben war.
Befreiend
All die vielen Verletzungen
unserer Vergangenheit
nicht mühlsteinschwer
durch die Gegenwart schleppen,
sondern verzeihen, vergeben,
wie auch uns immer wieder
barmherzig durch Christus vergeben wird,
wenn wir unsere Verfehlungen bereuen.
Wir kramen in der Erinnerungstruhe
Zuerst singen wir das Lied von der Vogelhochzeit, und ich staune, wie viele der anwesenden alten Damen und Herren noch fast alle Strophen auswendig können. Ich schiebe ganz bewusst eine unsichtbare große Truhe in den Raum. Diese Truhe ist randvoll mit kostbaren herrlichen Erinnerungen gefüllt. Ich bin nur beim Öffnen des offenbar schweren Deckels etwas behilflich.
In unserer trauten Runde sitzen wir wöchentlich einmal einen Nachmittag lang zusammen. Ganz spontan werfe ich das Wort „Hochzeit“ schwungvoll in den Raum und frage alle Anwesenden, was ihnen zu diesem Begriff einfällt.
Da wird es auch schon erfrischend lebendig. In den meisten Gesichtern lockern sich die strengen Züge, Augen fangen an zu strahlen, ein Schmunzeln setzt sich freudig in so manchen Mundwinkel. Aus unserer Erinnerungstruhe steigen auf: Hochzeitskutsche, Hochzeitsmahl, Trauzeugen, Gäste, Geschenke, Ringe, Brautstrauß, Myrtenstrauß und Kränzchen, Schleier und Brautkleid, Festrede, Standesamt und Kirche, Liebe und Zuneigung.
Dann bücken wir uns etwas tiefer über die Truhe und falten jedes Brautkleid einzeln sorgfältig auseinander: Wir sehen weiße Traumkleider aus reiner Seide, Spitze, Baumwolle, Satin und Tüll. Mir ist's, als schlüpfe jede der alten Damen noch einmal für ein paar Minuten der Glückseligkeit in ihr Brautkleid. Und ich erfahre sehr viel über die verschiedensten und vielfältigsten Macharten, über das schönste Kleid im Leben einer jeden Frau. Ein alter Herr erinnert sich noch lachend, dass er damals vor über 60 Jahren den Brautstrauß vergessen hatte. In unserer Kiste sind also noch duftende Brautsträuße versteckt: Weiße Nelken, rote Rosen und Maiglöckchen kommen da zum Vorschein.
Ganz behutsam stellen wir uns die Sträuße auf unsere Tische, damit auch nichts verloren geht von diesen herrlichen Erinnerungen. Bunte Farben breiten sich aus, Düfte steigen auf, Freude sprießt aus allen Augen und Herzen. Wohlig warm und gemütlich ist es im Raum. – Auf meinem Heimweg etwas später kommt mir ein Satz in meinen Sinn, den ich vor längerer Zeit irgendwo gelesen habe: „Gott schenkt uns Erinnerungen, damit wir Rosen im Winter haben.“
Sommer
Blühende Erde
unter den Füßen.
Gewölbtes Blauzelt
beschützt das Haupt,
und Sonne und Frohsinn
wärmen das Herz.
Meine Großmutter
An meine Großmutter väterlicherseits habe ich immer noch sehr intensive und wertvolle Erinnerungen. Sie war eher eine schlichte, aber herzliche Frau.
Rein äußerlich erschien sie streng mit ihrer glatten Frisur mit einem Mittelscheitel und einem gesteckten Nackenknoten. Doch sie war nicht so streng wie meine Mutter zu mir. Ihre Kleider waren von bedeckter Farbe, meistens dunkelblau oder braun mit winzigen weißen Tupfen. Darüber trug sie fast immer ein gehäkeltes wollenes Schultertuch, vorne am Hals mit einer runden Brosche zusammengehalten. Vor allem aber strahlte sie eine wohltuende Ruhe aus. Wenn meine Mutter ihren großen Waschtag hatte, kochte die Oma für uns alle das Mittagessen und hatte für uns Kinder immer ein liebes Wort. Meine beiden älteren Brüder und ich besuchten sie aber auch sehr gerne, obwohl der Weg zu ihr weit war. Dann verwöhnte sie uns mit heißen Würstchen und Schokoladenpudding. Mit viel Geduld brachte sie mir auch das Stricken der rechten Maschen bei: „Einpicken, umschlagen und den Faden durchholen.“ Diese Worte klingen mir noch sanft in meinen Ohren.
Nach Kriegsende 1945 waren wir dann leider räumlich weit getrennt. Meiner Großmutter fiel es schwer, ihre Heimat zu verlassen. So blieb sie noch unter polnischer Verwaltung im Osten. Dann wurde sie ausgewiesen. Danach war sie dann 1947 für ein paar Wochen bei uns zu Besuch. Es war Sommer, und wir pflückten gemeinsam echte Kamille, die sie gebündelt zum Trocknen auf den Boden hängte. Sie wollte Tee davon bereiten. In diesen Wochen schliefen wir gemeinsam im Kinderzimmer. Ich hörte sie oft abends im Dunkeln, wenn