Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek
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Alexander überlegte, welche der beiden Möglichkeiten wohl wahrscheinlicher war. Er entschied sich für die erste. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass eines seiner Opfer das Wiesel unterschätzt und sich gegen ihn gewehrt hatte. Wiesel war eher unscheinbar, aber Alexander machte trotzdem nicht den Fehler, ihn zu unterschätzen. Er gehörte zu seinen hartnäckigsten Jägern.
„Alexander!“, schrie er. Seine Stimme klang erregt und hatte in Alexanders Ohren einen drohenden Unterton.
Sein Puls beschleunigte sich. Das Blut pochte in seinem Kopf. Wiesel machte noch einen Schritt auf ihn zu und so als wäre dies das Startsignal, fingen plötzlich alle an zu rennen, die anderen Verfolger sogar noch vor Wiesel. Aber trotzdem waren sie langsamer als Alexander, der, jeden klaren Gedanken vergessend, einen fulminanten Start hingelegt und schon drei lange Schritte gemacht hatte, bevor der erste Verfolger losgerannt war.
Wohin? Nachdem er die ersten hundert Meter von Panik beherrscht zurückgelegt hatte, fing Alexander wieder an zu denken. Warum war er bloß losgerannt, als hätte er etwas ausgefressen? Doch nun war es zu spät für Reue, er musste weiterrennen und hoffen, dass seine Verfolger irgendwann aufgeben würden.
Bis zum nächsten Mal.
Also wohin? Auf jeden Fall erst einmal raus aus dem Park. Der Park bot mit seinen nur übersichtlichen Rasenflächen und vereinzelten Büschen und Bäumen keine Möglichkeit, seine Verfolger abzuschütteln oder sich zu verstecken. Abrupt änderte er die Richtung, verließ den Fußweg und sprintete auf kürzestem Weg zum Ausgang.
Von dem plötzlichen Richtungswechsel überrascht, brauchten seine Verfolger etwa drei Sekunden, bis auch sie sich auf den noch vom Morgentau nassen Rasen wagten. Drei Sekunden, die er an Vorsprung gewonnen hatte! Geschickt wich er einem einzelnen Baum aus und stolperte beinahe über das nächste, unerwartete Hindernis.
Eine Schubkarre! Was machte die verdammte Schubkarre hier?
Glücklicherweise hatte er gute Reflexe und Leichtathletik war schon immer seine Stärke gewesen. Höher als eine Hürde beim Hindernisrennen war die Schubkarre ja schließlich auch nicht. Immer noch empört und leicht erschrocken setzte er seine Flucht fort.
Aha, das Rätsel war gelöst! Der Gärtner, der die Schubkarre so leichtsinnig auf seinem Weg platziert hatte, kam mit einem Bündel Zweige langsam auf ihn zu. Die Empörung des alten Mannes verwandelte sich in Fassungslosigkeit und Alexander wusste, dass er seine Verfolger entdeckt haben musste, die nur wenige Meter hinter ihm waren.
Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ Alexanders Kopf herumschnellen. Ein flüchtiges Grinsen huschte über sein Gesicht, als er die Ursache für den Lärm erkannte. Einer der Jäger war in die Schubkarre hineingelaufen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht klappte der Mann zusammen und löste damit eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus. Der zweite Verfolger hatte zwar die Schubkarre rechtzeitig gesehen und einen Schritt nach rechts gemacht, um dem unerwarteten Hindernis auszuweichen, aber dort, wo bis vor einem Augenblick der Weg noch frei gewesen war, lag jetzt sein Kollege, ein knapp zwei Meter großer Stolperstein. Er fiel. Mit einem Schmerzenslaut entwich die Luft aus seinen Lungen, als auch der Dritte nicht mehr ausweichen konnte und sehr unsanft auf ihm landete.
Alexander rannte weiter und freute sich einen Augenblick lang über diesen kleinen Sieg. Mitleid mit den drei Unglücklichen hatte er nicht. Das waren keine normalen Menschen, das waren Hyänen! Aasgeier!
Nach ein paar Metern riskierte er wieder einen Blick zurück. Hatte er sie abgehängt? Alexander unterdrückte einen Fluch. Nein, so viel Glück hatte er natürlich nicht, er war schließlich nicht der Glückspilz in der Familie! Bei seinem Cousin Edward hätten sich die Verfolger wahrscheinlich schon nach fünf Metern gegenseitig außer Gefecht gesetzt, aber Edward wäre auch nie in die Verlegenheit gekommen, wie ein Hase gejagt zu werden.
Alexander verzog das Gesicht. Der stets perfekte Edward, das Musterbeispiel an Benehmen, das ihm schon seit Kindertagen vor Augen geführt wurde, sobald er etwas falsch machte. Edward machte nie etwas kaputt und wenn der siebenjährige Alexander vor lauter Unruhe zappelte, saß der achtjährige Edward kerzengerade und mucksmäuschenstill auf seinem unbequemen Stuhl. Der perfekte Edward, der Liebling ihres Großvaters!
Alexander verbot sich energisch jede Tagträumerei. Er durfte auf keinen Fall vergessen, wo er war und dass vier Verfolger ihm noch immer dicht auf den Fersen waren. „Du Idiot!“, beschimpfte er sich selbst. „Du solltest lieber darüber nachdenken, wie du diese Kerle abhängen kannst!“
Der Ausgang! Endlich! Alexander machte sich nicht die Mühe, das niedrige Eisentor zu öffnen, sondern beschleunigte seine Schritte und sprang mit einem olympiareifen Satz darüber.
„Alexander!“
Das war Wiesel, Alexander erkannte seine Stimme. Warum verfolgten sie ihn bloß? Hatten sie denn überhaupt kein Erbarmen? Aasgeier, alle miteinander!
Er riskierte einen flüchtigen Blick zurück und da waren es nur noch drei Verfolger. Der Vierte war nicht mehr zu sehen, er musste aufgeben haben. Die Reihen seiner Verfolger lichteten sich allmählich. „Wartet es nur ab!“, dachte er. „Ich werde euch schon noch einzeln zu fassen bekommen und dann könnt ihr etwas erleben!“
Alexander überlegte flüchtig, ob er sie zu einem Duell herausfordern sollte. Pistolen oder Schwerter? Er kam sich ein bisschen vor wie einer der drei Musketiere gegen die Schergen Richelieus. Wagemutig, tapfer, auf der Seite der Gerechten.
Nein, ein Duell wäre zu viel der Ehre, das hatten Wiesel und seine Männer nicht verdient. Dann doch eher ein Faustkampf.
Bei diesem Gedanken zuckte Alexander zusammen. Was würde bloß sein Großvater dazu sagen? Alexander konnte es sich nur zu gut vorstellen: „Was hast du dir dabei gedacht? Dich zu prügeln wie ein räudiger Straßenköter! Wo ist dein Stolz geblieben? Mein Enkel prügelt sich nicht! Selbstbeherrschung, das ist es, was dir fehlt! Was dir schon immer gefehlt hat! Sieh dir nur deinen Cousin Edward an! Von dem kannst du noch etwas lernen! Man lässt sich in unseren Kreisen durch nichts aus der Fassung bringen! Widrigkeiten werden königlich ignoriert, so als wären sie unserer Beachtung nicht wert!“
Ja, er konnte sich nur zu gut vorstellen, was sein Großvater sagen würde. Und sein perfekter Cousin Edward würde daneben stehen und ihn mit einem ungläubigen, herablassenden Kopfschütteln bedenken, als könnte er sich nicht vorstellen, dass sie wirklich Cousins waren. Diese Genugtuung wollte er Edward nicht gönnen. Ein Faustkampf kam nicht in Frage, blieb also nur noch das Weglaufen, das nicht minder unwürdig war. Alexander unterdrückte den Hauch von Selbstverachtung mit einer Leichtigkeit, die Übung verriet.
Alexander blickte sich rasch nach links und rechts um. Irgendwo musste es doch eine Möglichkeit geben, seine Verfolger abzuhängen! Da! Führte diese Nebenstraße nicht in die Innenstadt? Das war die Lösung! In den unzähligen kleinen Gassen der Innenstadt konnte er seine Verfolger durch ein paar Mal Abbiegen leicht abhängen.
Er bog abrupt nach rechts ab, was seine Verfolger dieses Mal leider nicht so sehr überraschte wie beim ersten Mal. Als erfahrene Jäger machten sie nicht zweimal den Fehler, ihr Wild zu unterschätzen.
Eigentlich hätte er die Lauferei genießen können. Sein Weg führte ihn vorbei an hübschen kleinen Wohnhäusern. Die Gärten standen jetzt, Mitte Mai, in voller Blüte. Da schlich eine gestreifte Katze aus ihrem Versteck und musterte ihn misstrauisch. Ein kleiner Hund bellte ihn an, als er an ihm vorbei