Kuckucksspucke. Gloria Fröhlich

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Kuckucksspucke - Gloria Fröhlich

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der großen Tür des Altersheims verschwunden.

      Line war in Gedanken versunken. Sie verließ den Kilometerstein und vorsichtig, um nicht die Balance zu verlieren, hangelte sie sich in der Hocke nach unten zurück an das Fleetufer.

      Sie schaute über das träge dahin fließende, lehmige Wasser, hörte aus der Ferne die Kirchenglocken läuten und konnte das merkwürdige Geschehen nicht vergessen.

      Erst am Abend machte sie sich deswegen kaum noch Gedanken.

      Am nächsten Tag ging Line allein zum Essen durch die beiden großen Gärten zum Altersheim. Als sie an den Schuppen und Bretterverschlägen vorbeikam, hinter denen sich unter anderem auch die Plumpsklos mit ihrem unverwechselbaren Geruch befanden, bemerkte sie, dass jemand eine Leiter an einen der Schuppen bis an das flache Dach gestellt hatte, wohl um etwas zu reparieren, als sie ein leises Wimmern hörte.

      Wie angewurzelt blieb sie stehen und lauschte.

      Sie vermutete zunächst ein Kätzchen in Not, das sie retten und vielleicht behalten könnte.

      Erfüllt von dieser Sorge und heimlicher Hoffnung, hielt sie den Atem an und horchte konzentriert.

      Da, da war es wieder!

      Kläglich und leise, dann aber noch ein Schluchzen.

      Das war kein Kätzchen, wusste Line nun, aber was war es dann?

      Und aus welchem der Schuppen kam und blieb es und war jetzt noch deutlicher zu hören?

      Line ging dem Wimmern langsam und vorsichtig nach.

      Sie versuchte es einzugrenzen.

      Nur wenig später stand sie vor der Tür, durch deren breite Ritzen der Bretterwand herzzerreißend, kläglich eine leise, aber deutliche Stimme flehte:

      „Bitte, lasst mich hier raus, bitte, bitte, ich habe doch nichts getan!“

      Line bekam eine Gänsehaut, machte auf Zehenspitzen einen Schritt bis ganz nah an die Tür des Verschlages und lugte durch die breite Ritze zwischen den Brettern.

      In dem Verschlag war es so finster, dass sie kaum etwas erkennen konnte.

      Doch ihre Augen gewöhnten sich in kurzer Zeit an die Dunkelheit, und sie sah, dass sich auf dem braunen, unebenen Lehmboden etwas bewegte.

      Sie erschrak heftig und war wie versteinert, als sie die alte Dame aus der Kutsche erkannte, die da unten auf der nackten Erde kauerte.

      Sie konnte ihr Gesicht nicht sehen, vernahm aber wieder das verzweifelte Flehen:

      „Bitte, ich habe doch nichts getan, lasst mich hier raus!“

      Aber warum war sie eingesperrt, wer hatte das getan?

      Line konnte vor Schreck kaum atmen, als sie hinter sich jemanden wahrnahm.

      Blitzschnell drehte sie sich um und starrte in das zornige Gesicht eines alten Mannes:

      „Die ist da drin, damit sie nicht wegläuft, und du schere dich weg, du hast hier nichts zu suchen“, rief er in barschem Ton.

      Lines Herz klopfte bis zum Hals.

      Durch die Schelte des alten Mannes hatte sie für Sekunden vergessen, was sie gesehen hatte. Vielmehr fühlte sie sich beim Herumschnüffeln erwischt.

      Das tat man nicht.

      „Soll ich dir Beine machen?“

      Der alte Mann kam mit erhobener Faust auf Line zu, die nun verängstigt und mit schlechtem Gewissen den Trampelpfad entlanglief, durch die Hintertür ins Altersheim stürmte, dann durch den Flur hetzte und wenig später verstört und nachdenklich vor ihrem Teller in der Küche saß.

      Und während sie aß, überschlugen sich die Gedanken in ihrem Kopf.

      Jemand hatte die alte Dame in den Schuppen gesperrt.

      Warum war der Kutscher weggefahren.

      Aus welchem Grund hatte er nicht auf sie gewartet.

      War das mit der Uhrzeit vielleicht nur ein Trick, weil sie nicht freiwillig ins Verrücktenheim wollte, wo niemand hin wollte, und wo alle nur noch auf den Tod warteten, wie Lines Großmutter sagte.

      Aber warum war sie dann nicht in einem der vielen Zimmer oder lief im Hof herum, wie die anderen alten Menschen.

      Wurden vielleicht alle, die nicht hier sein wollten, so lange eingesperrt, bis sie nicht mehr wegliefen und aufhörten zu weinen?

      Sicher, einige der alten Menschen im Verrücktenheim waren schon sehr sonderbar, und einige benahmen sich zeitweise auffällig merkwürdig, wie Ome auch.

      Andere waren ziemlich unheimlich, aber waren sie deswegen alle verrückt?

      Die alte Dame wirkte jedenfalls nicht so.

      Line überlegte, ob sie sich an den Schuppen heranschleichen sollte, um sie zu befreien.

      Vielleicht brauchte sie nur den rostigen Riegel beiseite zu schieben, und die Tür würde sich ganz leicht öffnen lassen.

      Aber Line fürchtete, dass der alte Mann sie verprügeln würde, wenn er sie dabei erwischte. Bei diesem Gedanken wurde ihre Angst so groß, dass sie aufgab zu glauben, helfen zu können.

      Nach dem Essen ging sie sehr langsam zwischen den alten Menschen durch den langen, dunklen Flur, hinaus auf den Hof. Dabei achtete sie darauf, nicht auf die Striche zwischen den grauen Steinplatten zu treten. Auf keinen Fall wollte sie an den Schuppen vorbei und durch die Gärten nachhause gehen und machte lieber den kleinen Umweg über die Landstraße. Noch einmal hätte sie es nicht ertragen, die alte Dame weinen zu hören.

      Aber Line vergaß die Gefangene hinter dem Bretterverschlag nicht.

      Mit Trine musste sie jedoch weiterhin jeden Tag an den Schuppen vorbei, um satt zu werden. Dann schaute sie absichtlich unentwegt auf den Trampelpfad, auf die dicken Grasbüschel und die neu aufgeworfenen Maulwurfshaufen, weil sie nichts anderes sehen wollte, und sie begann laut zu singen, weil sie nichts anderes hören wollte.

      Und Trine lachte.

      Nach einiger Zeit verblasste Lines Erinnerung an die alte Dame aus der Kutsche, von der sie nichts mehr hörte und die sie auch niemals wieder sah, weil sie vielleicht schon längst zwischen den anderen alten Frauen nicht mehr zu erkennen gewesen war.

      Ihre ganze Aufmerksamkeit galt inzwischen einer anderen Bewohnerin des Verrücktenheims, die faszinierend gleichmäßig bleich an den Lippen, Haut und Haaren war, wie der Vollmond in einer frostigen Winternacht.

      Line schlich sich regelrecht an, wenn die bleiche Gestalt über den Hof tänzelte und Dinge tat, für die Line ausgeschimpft worden wäre.

      Genau neben dem Brett, das über dem schmalen Moddergraben lag, stapfte sie in ihren Filzpantoffeln durch das Dreckwasser aus der Küche, das dort jeden Tag hineingekippt wurde. Die nassen Füße schienen ihr nichts auszumachen, denn sie begann zu tanzen und lächelte so entrückt, dass Line in ihr zunächst eine Fee vermutete, woran

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