Aidan und die Meerjungfrau. Albertine Gaul
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„ Ja, die größte Stadt hier im Süden, bis auf Port le Daich. Die Hafenstadt liegt noch südlicher“, erklärte ihm Caoilte.
„ Gibt es hier auch einen Hafen“, fragte der Zauberer und spähte erneut aus dem Fenster.
„ Ja. Der ist aber außerhalb der Stadt. Man sagt, früher habe der Meeresgott immer den Hafen und die Stadt zerstört in seinem Zorn über die vielen Schiffe. Daher kam der Stadthalter auf die Idee, den Hafen nach außerhalb zu verlegen. Jetzt bleibt die Stadt von den Wassermassen verschont.“ Caoilte setzte sich zu Aidan.
„ Was hatte er gegen die Schiffe“, fragte der.
„ Es gab zu viele und sie verletzten seine Töchter, die den Fluss hinauf schwammen. Das versetzte Triton so in Rage, der er gewaltige Fluten schickte. Dabei wurde die Stadt mehrfach zerstört. Zum Glück nun nicht mehr, auch wenn der Hafen oft neu aufgebaut werden muss.“
„ Und du glaubst die Geschichte“, fragte Aidan skeptisch.
„ Nicht wirklich. Triton und die Meerjungfrauen sind ein Märchen. Drachen sind real, die habe ich schon gesehen. Aber Frauen mit Fischschwanz? Ich weiß nicht!“ Caoilte lachte leise.
„ Vielleicht gibt es mehr Wesen, als wir ahnen? Meerdrachen haben wir ja auch schon gesehen“, gab Aidan zu bedenken. Worauf Caoilte nur zustimmend nicken konnte.-
Das Abendessen mit der Familie verlief ruhig. Eran und Mairi hatten viele Fragen an Caoilte, der von seinem Vater und seinen Geschwistern erzählte. Im Gegenzug erfuhr er, dass er zwei Basen hatte, die bereits verheiratet waren und nicht mehr im Haushalt lebten.
Mairi erzählte stolz, dass es schon Enkelkinder gäbe und somit das Fortbestehen des Geschäftes gesichert wäre.
„ Du sagtest, ihr wollt weiter? Wohin soll es denn gehen“, fragte Eran und unterbrach damit seine Frau, die weiter von ihren Kindern erzählen wollte.
„ An die Küste. Nach Leuwiek. Mein Freund Aidan wird dort eine Anstellung als Lehrer annehmen. Ich begleitete ihn und möchte mich in der Stadt umsehen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass dort wieder Meerdrachen wüten. Daher möchte ich mein Glück versuchen“, erklärte Caoilte ernst.
„ Immer noch der Abenteurer? Du redest wie dein Vater. Auch er sehnte sich nach Abenteuern und wollte gegen Drachen kämpfen. Das Leben als Kaufmann war ihm immer zu langweilig“, lächelte Eran.
„Ich war in der Heldenschmiede. Dort lehrte man mich gegen Drachen, Trolle und Riesen zu kämpfen. Nun möchte ich mein Wissen auch einsetzen. Sesshaft werden kann ich noch früh genug, so wie mein Vater“, antwortete Caoilte und dachte an seine Familie. Sein Vater billigte seine Rastlosigkeit und wäre stolz auf ihn. Schon früh hatte er ihm Heldengeschichten erzählt und die Sehnsucht Caoiltes geschürt, selber gegen finstere Mächte zu kämpfen.
„ Das ist Recht, Neffe. Aber in Leuwiek wurden schon lange keine Drachen mehr gesichtet. Der letzte wurde von einem hünenhaften Kämpfer besiegt und verschwand auf das Meer hinaus.“ Eran stutzte und blickte Caoilte an, der ein ahnungsloses Gesicht zog. „ Der Hüne warst du, habe ich Recht? Du hast den Drachen aufs Meer hinaus geschickt?“
„ Ja. Es war nichts Besonderes, Oheim. Und ich hatte Hilfe.“ Er deutete auf Aidan neben ihm, der schweigend zu hörte.
„ Ihr beide? Und nun wollt ihr an die Küste zurück? Mutig, mutig!“ Die Stimme Erans war voller Ehrfurcht. „ Man sagt, in den Gewässern leben Meernixen. Die Kinder Tritons, des Meergottes. Viele versuchten sie zu fangen und auch im nächsten Jahr werden es einige versuchen. Der Kaufmann von Zweig hat in der Stadt die Männer aufgerufen, ihm zur Küste zu folgen und einige der Nixen zu fangen. Er sieht ihn ihnen eine Attraktion, die Geld bringt. Wenn ihr mich fragt, ist dieses Abenteuer verschwendete Zeit.“
Caoilte blickte zu Aidan und der las in den Augen des Kriegers die Skepsis über die Worte Erans. Trotzdem nickte er höflich und meinte: „ Vermutlich hast du Recht, Oheim. Den Kaufmann haben wir im Übrigen am Stadttor getroffen. Offenbar wollte er schon bald weiter zur Küste.“
„Ja, er kommt einmal in jedem Monat und verkauft auf dem großen Markt seine Waren. Er ist ein gerissener Kaufmann, der sein Geld mit Wolle und Leinen gemacht hat. Hütete Euch vor ihm, er gibt nichts umsonst“, sagte Eran besorgt.
„ Das dachte ich mir“, meinte Caoilte. „ Er bot uns an, mit ihm zu reisen. Vielleicht wäre es besser, alleine weiter zu reiten.“ Dabei blickte er Aidan fragend an.
„ Alleine? Das würde ich Euch nicht raten. Es gibt zwar keinen Krieg hier, aber Banden von Dieben und ehemaligen Söldnern treiben bis zur Küste ihr Unwesen. Cesan von Zweig ist kein Wohltäter, der seine Unterstützung umsonst anbietet. Aber er ist immer noch besser, als von Dieben erschlagen zu werden“, erklärte Eran. „ Versprecht mir, auf euch Acht zu geben.“
„ Ich bin Krieger, Oheim. Und ein ziemlich guter dazu. Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das schon. Dieben sind wir auch schon vor der Stadt begegnet. Zum Glück mögen sie keinen Zauberer, der sie in Kröten verwandelt“, lachte Caoilte und deutete auf seinen Freund.
Eran musterte den Zauberer, sagte aber nichts. Mairi war es schließlich, die das Abendeessen beendete und darauf drängte, schlafen zu gehen. „ Ruht euch aus“, sagte sie.
Aidan und Caoilte stiegen wieder in die Dachkammer hinauf.
„ Möchtest du zuerst schlafen“, fragte der Krieger seinen Freund. „ Ich sehe mich dann in der Stadt um. Mir ist noch nicht nach schlafen.“
„ Ich habe nichts dagegen. Kannst mich ja wecken“, antwortete dieser gähnend. „ Der Tag war lang.“
„ Mache ich. Bis später, Aidan.“ Caoilte verließ die Kammer und Aidan kletterte ins Bett. Aber an Schlaf war noch nicht zu denken. Zu viele Eindrücke in seinem Kopf mussten erst sortiert werden. Er dachte an das Gespräch beim Abendessen und fragte sich, ob sein Wunsch, Meerjungfrauen zu sehen endlich wahr werden würde. Schon als Kind war er von den Geschichten über sie fasziniert. Mit klopfendem Herzen malte er sich aus, was er sie fragen könnte und was sie antworten würden. Träumend sank er schließlich in Schlaf und sah dort wunderschöne Frauen mit Fischschwänzen, die aus dem Wellen auftauchten und seinen Namen riefen.
„ Aidan! Aidan! Wach auf!“
Verwirrt wachte der Zauberer aus seinen Träumen auf, als jemand ihm energisch an der Schulter rüttelte.
„ Was willst du, Caoilte? Ich hatte so einen schönen Traum“, gähnte er.
„ Ablösung, Zauberer. Ich bin müde“, sagte der Krieger.
„ Ach ja, ich erinnere mich. Verzeihung, ich bin noch nicht ganz wach.“ Aidan rieb sich die Augen.
„ Macht nichts“, antwortete Caoilte gnädig und zündete eine Kerze an.
„ Wie spät ist es“, fragte der der Zauberer blinzelnd.
„ Der Nachtwächter hat gerade die Sperrstunde ausgerufen und die Stadttore sind noch geschlossen.“
„ So viel Zeit noch! Ich denke, ich werde den Pferden einen Besuch abstatten.