Infiziert : Die ersten zehn Tage. Felix Fehder

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Infiziert : Die ersten zehn Tage - Felix Fehder

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die ständige Begleitung während der Zaunwache hatte sie sich mittlerweile gewöhnt. Anfangs hatte sie große Probleme mit dem Anblick der Gefangenen hinter dem Zaun, aber das hatte sich nach ein paar Tagen gelegt. Außerdem war ihr Auftrag leichter geworden. In den ersten Tagen musste sie noch alle paar Stunden irgendwelche Spritzen verabreichen. Der Hunger nach Menschenfleisch machte es zwar recht leicht, die Infizierten an den Zaun zu locken, aber ab dann wurde es unangenehm: Sie musste sich einen Arm greifen, ihn möglichst weit durch den Zaun an sich heranziehen und die Spritze hineinjagen. Die Infizierten zeigten auf den Einstich keinerlei Reaktion. Die einzige Regung, ja die einzige Verhaltensweise, die sie an den Tag legten, war diese wahnsinnige Gier nach Fleisch. Lebendem Fleisch. Versuche, die Infizierten mit Schweine- oder Hühnerfleisch zu füttern, waren vergeblich. Die größte Sorge der Fabrikleitung war, dass die Eingesperrten sterben könnten. Nicht an der Krankheit an sich – da wurde man nicht müde, von einer baldigen Heilung zu sprechen – sondern an Hunger oder weil sie sich gegenseitig verletzten. Diese Sorge löste sich in Luft auf, als am Zaun Infizierte auftauchten, die Verletzungen aufwiesen, mit denen sie eigentlich weder stehen noch laufen können sollten, im Gegenteil: Sie müssten tot sein. Die hingeworfenen Fleischbrocken wurden nicht angerührt und vergammelten überall auf dem Gelände verteilt. Danach sah man häufiger tödlich Verletzte und die Fütterungen wurden eingestellt.

      Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie einen Schrei hörte. Dann einen zweiten. Das kam von innerhalb des Zauns. Sie rannte los, in Richtung Tor. Im Gehege links von ihr bewegte sich etwas hinter dem Zaun. Schnell, schneller als der torkelnde Gang der Infizierten. Sie gab mehr Gas und erreichte keuchend das Tor. Ihr Kollege Michael hatte ebenfalls bemerkt, dass etwas nicht stimmte und stand breitbeinig ein paar Meter vor dem Tor, seine Waffe im Anschlag. Als er sprach, wendete er den Blick keine Sekunde vom Gehege ab.

      „Da passiert irgendwas.“

      Martina positionierte sich neben ihn und entsicherte ihre eigene Waffe. Sie starrten eine Weile in die Dunkelheit hinter dem Zaun.

      Kurz nach dem Unglück war man noch dagegen gewesen, die Infizierten einzusperren. Doch schon bei den ersten Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass sie eine Gefahr darstellten. Alles Menschliche, Soziale schien ausgelöscht: Die Infizierten attackierten das zu ihrer Pflege bestellte medizinische Personal, immer auf der Suche nach Nahrung. Schließlich hatte man ein paar abtransportiert, damit sie in der Sicherheit von Speziallabors untersucht werden konnten. Martina und ihre Kollegen hatten den Auftrag erhalten, die restlichen eingesperrten Infizierten zu bewachen. Zum Schutze der gesunden Bevölkerung durfte niemand das Werksgelände verlassen. Um keinen Preis. Ob Chancen auf eine Heilung bestanden oder nicht – sie hatten Befehl im Notfall von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

      Martina war darüber nicht begeistert. Sie war Polizistin, keine Jägerin. Und als Polizistin schoss man nicht einfach wild in der Gegend herum. Ihr Bauchgefühl sagte, dass sie den Eingesperrten helfen und die Verantwortlichen für die Katastrophe finden müsste. War das nicht das, was Polizisten taten? Anderen helfen und Verbrecher schnappen? Die Entscheidung, Polizistin zu werden, hatte sie mit elf Jahren nach dem Tod ihrer Eltern getroffen. Es war ein Raubüberfall gewesen. Die beiden Täter hatten ihre Eltern nach dem Kino im Parkhaus angesprochen und Geld verlangt. Leider war ihr Vater schon immer recht starrköpfig veranlagt, sodass er sich weigerte und zum Angriff überging. Die Räuber waren jünger, fitter und stärker als ihr Vater, trotzdem soll er ihnen laut Polizei einen ordentlichen Kampf geliefert haben. Als seine Ehefrau ihm dann auch noch zu Hilfe kommen wollte, zog einer der Räuber ein Messer und rammte es Martinas Mutter in den Bauch. Das hatte dem Kampf scheinbar die entscheidende Wendung verliehen. Ihr Vater brach zusammen und starb noch an Ort und Stelle unter den Tritten der Angreifer. Dann räumten sie ihm und Martinas schwer verletzter Mutter die Taschen aus und verschwanden.

      Martina musste ihre Mutter im Krankenhaus besuchen und erfahren, dass ihr Vater nicht mehr lebte. Der Zustand ihrer Mutter verschlechterte sich von Tag zu Tag. Die Ärzte waren ratlos, aber Martina wusste, dass es ihr einfach an Kraft fehlte, um weiterzuleben. Ihre Eltern waren bereits seit ihrer Jugend ein Paar und ein Leben ohne ihren Mann war für Martinas Mutter nunmal kein denkbares Konzept. Sie war zerbrochen, halbiert, funktionierte einfach nicht mehr. Alles in ihr weigerte sich. Man musste sie künstlich ernähren, Tage später auch an ein Beatmungsgerät anschließen und am Morgen darauf war sie tot.

      Martina zog zu ihren Großeltern. Die beiden waren wunderbar zu ihr und mit viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Liebe gelang es ihnen schließlich, dass Martina eine fröhliche Jugend erlebte und den Schatten, der auf ihr Leben gefallen war, langsam abschütteln konnte. Nur eine Sache ließ ihr keine Ruhe: Die Täter wurden nie gefasst. Und so führte ihr Weg sie nach der Schule zur Polizei, um ihren Teil dazu beizutragen, den Familien in ihrer Stadt ein Stückchen mehr Sicherheit zu versprechen.

      Die Infizierten waren ohne Frage eine Bedrohung für die Sicherheit. Und im Notfall würde Martina auch auf sie schießen. Natürlich wollte sie versuchen, dies so lange wie möglich zu vermeiden, aber wenn so einer oder eine auf sie zukam, würde sie eher schießen, als sich anknabbern zu lassen. Angeblich wurde die Krankheit über Bisse übertragen (sie wollte gar nicht wissen, wer das auf welche Weise herausgefunden hatte). Ohne gebissen worden zu sein, bestand keine Gefahr, sagte man ihnen. Auch nicht, wenn man sie anfasste. Trotzdem trugen viele der Kollegen Atemmasken, wenn sie am Zaun zu tun hatten. Das einzig Gute war, dass die Infizierten bisher nicht in der Lage schienen, einen einfachen Baustellenzaun zu überwinden.

      Im „Gehege“ – so hatte man das abgesperrte Areal getauft – war es wieder still. Martina wollte gerade ihre Waffe wieder sinken lassen und die Sache als falschen Alarm verbuchen, als sie den Schrei wieder hörte.

      „Das war kein Infizierter.“

      Michael sah kurz zu ihr herüber und fokussierte dann wieder das Tor.

      „Abwarten.“

      In der Dunkelheit bewegte sich etwas. Es dauerte noch wenige Atemzüge, dann schälte sich eine Gestalt aus der Schwärze. Ein Mann rannte auf sie zu, wie am Spieß um Hilfe schreiend, hinter ihm ein ganzes Rudel Infizierte.

      „Stehen bleiben!“, brüllte Michael.

      „Öffnet das Tor! Hilfe!“, schrie der Mann.

      „Wir haben Befehle, niemanden heraus zu lassen. Bitte bleiben Sie dem Tor fern.“

      Martina sah Michael entsetzt an. Das konnte er nicht ernst meinen.

      Der Mann hatte das Tor erreicht und versuchte nun, darüber zu klettern. Noch wenige Augenblicke und die Infizierten würden ihn erreichen.

      „Wir müssen ihm helfen, Befehle hin oder her.“ Martina ging auf das Tor zu.

      Michael hielt sie zurück. „Du weißt, dass das nicht geht.“

      Der Mann war bereits ein Stück das Tor hinauf. Die Infizierten hatten ihn erreicht und drängten sich dagegen. Der Fremde trat nach ihren Händen und versuchte, sich weiter hinaufzuziehen. Immer mehr Hungrige kamen aus der Dunkelheit des Geländes und drängten nach. Vorne stürzten die ersten zu Boden und die Folgenden stiegen auf sie drauf und gewannen dadurch an Höhe. Das Tor quietschte unter der Belastung und bog sich langsam immer weiter durch.

      „Wir müssen irgendwas tun!“, schrie Martina. „Jetzt!“

      „Helft mir“, winselte der Fremde am Tor und streckte die Arme aus.

      Martina rannte los, egal was Michael dachte. Im Laufen legte sie auf die Infizierten an und schoss die obersten des Haufens vom Tor. Der Mann sah sie, schien neue Hoffnung zu fassen und zog sich nochmals ein Stück höher, weg von den gierigen Händen und Zähnen.

      Martina

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