100 Tage. Team epubli

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу 100 Tage - Team epubli страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
100 Tage - Team epubli

Скачать книгу

      Sie schluckte.

      Die Bäckerin wich ihrem Blick aus und schlug die Augen zu Boden. Es war die schwerste aller Aufgaben, einem Kind die gnadenlose Wahrheit zu sagen. Es brach ihr das Herz in tausend Stücke.

      Sie hob die Hand, aber sie hatte keine Kraft, sie bis an Williams Gesicht zu führen, um über seine Wange zu streichen. Sie wollte ihren Kleinen trösten. Er war so jung. Zu jung, um solch schreckliche Dinge zu erfahren und sie zu verstehen. Doch bald musste er damit klarkommen, dann wäre er kein kleiner Junge mehr, sondern musste stark sein. Seine Kindheit wäre vorüber. Viel zu früh.

      „Vielleicht kommt Papa gar nicht mehr nach Hause.“

      William starrte sie an.

      In seinen großen blauen Augen sammelten sich Tränen. Er schniefte und strich sich mit dem Handrücken über die Nase. Er fragte nicht Warum, was ein Kind in seinem Alter getan hätte. Er blieb einfach ganz still und sah seine Mutter an.

      „Und du, musst du auch sterben?“

      Seine dünne Stimme zerschnitt die Luft und seine Worte trafen sie dort, wo sie am Verletzlichsten war.

      Sie holte tief Luft. Sie hustete und hustete, bis ihre Augen feucht waren und sie geschwächt ins Kissen sank. Ihre Lunge brannte wie Feuer.

      Sie schloss die Augen und wünschte sich, sie könnte für ihn da sein, wie es eine Mutter sein sollte. Vor ihren geschlossenen Augen erschien er und er stand vor ihr, sah sie an. Doch er entfernte sich immer weiter von ihr. Sie rief in ihrem Kopf nach ihm, streckte die Hand nach ihm aus, aber ihr Sohn war unerreichbar. Sie weinte und schluchzte seinen Namen, bis ihre Stimme nur noch ein flehendes Winseln war, wie das eines Hundes.

      „Komm, Liam.“, hörte sie die Stimme der Bäckerin.

      Die Bäckerin nahm William an den Schultern, sodass er sie ansehen musste. Er war steif wie ein Brett, sein Blick war noch immer starr geradeaus gerichtet.

      Sie zog ihn zu dem alten Schaukelstuhl, der schon mehrere Generationen in diesem Haus überdauert hatte, und setzte ihn auf ihren Schoß. Dann wiegte sie mit ihm vor und zurück. Der kleine, magere Junge krümmte seinen Rücken. Die braunen Haare fielen ihm in sein blasses, ausdrucksloses Gesicht. Er schloss hinter seinem Vorhang aus dichten Haaren die Augen und leise kullerten ihm Tränen die Wangen hinab und tropften auf seine verdreckte, löcherige Hose.

      Eine tiefe Schwärze umhüllte ihn und er dachte, nie wieder die Augen öffnen zu können. Die Lider waren ihm so schwer und er sah kein Licht in der Dunkelheit.

      Es war der Moment gekommen, in dem er verstanden hatte, was mit seiner Mutter war und wo sein Vater hingebracht wurde. Beide würden nicht mehr zurück kehren. Von da, wo sie hingingen, gab es keinen Weg zurück. Das wusste er.

      Denn als seine Großeltern gestorben waren, kaum ein Jahr war es her, hatten es ihm seine Eltern erklärt.

      Er war ein kluger Junge und jetzt wünschte er sich, es nicht zu sein. Er wollte das alles nicht verstehen. Mama und Papa konnten nicht einfach gehen. Er brauchte sie doch. Was sollte er nur ohne sie machen?

      Er wehrte sich, doch die Hände, die seine beiden Oberarme umklammerten, waren wie Schraubstöcke. Er selbst war kräftig, weil er jeden Tag schwere Kisten mit Ernteprodukten schleppte, aber gegen zwei Polizisten konnte er nicht ankommen. Sie redeten kein Wort mit ihm oder untereinander, während sie ihn abführten. Auch, als er geschrien hatte, hatten sie ihm nicht das Schweigen befohlen. Sie hatten ihn einfach weiter gedrängt.

      Seine Versuche, sie irgendwo zu treffen, parierten sie mühelos. Trotzdem gab er nicht auf.

      Er wusste natürlich, wo sie ihn hin brachten und das konnte er nicht zulassen. Schließlich hatte er nichts getan, außer im Krankenhaus um Hilfe gebeten.

      Er hatte die Frau hinter der Rezeption angefleht, einen Arzt zu schicken, doch sie war regungslos geblieben und hatte gesagt, er sollte verschwinden, da es ihm nicht erlaubt wäre, hier zu sein, auf der anderen Seite des Zauns und er kein Geld für die Behandlung hätte.

      „Ist das alles, wonach Sie trachten?“, hatte er sie angeschrien, als er seine Beherrschung aus purer Verzweiflung und Wut verlor.

      „Geld? Ist es das Einzige? Was ist mit Ihrem Gewissen? Da drüben sterben Leute, nur weil Sie ihnen ihre Hilfe verwehren. Sie könnten so viele Leben retten! Sie haben die Mittel dazu! Warum tun sie es dann nicht?“

      Für einen Moment hatte sie überrascht gewirkt und blinzelte mehrmals, doch dann wurde sie ärgerlich und verzog den geschminkten Mund.

      „Wir sind nicht für euch verantwortlich.“, hatte sie leise, aber überzeugt gesagt.

      Ihre Stimme und ihr Blick waren eiskalt. Dann tippte sie auf den Bildschirm zu ihrer Rechten. Er hatte sie bitterböse an gefunkelt.

      Ihr ordentlich zurück genommenes blondiertes Haar, ihr perfektes Make-up, die künstliche graue Iris, in der silberne Partikelchen schimmerten und ihre weiße Kleidung; alles an ihr präsentierte, dass sie wohlhabend war, dass sie das Geld zu solch unnötigen Dingen besaß. Kümmerte sie es wirklich nicht, wie es drüben aussah, oder schaute sie nie hinüber, durch den Maschendrahtzaun, der zwei verschiedenen Welten voneinander abtrennte?

      Sie noch weiter anzuschreien, hatte er keine Gelegenheit gehabt, denn Sekunden später hatten ihn die kräftigen Hände von hinten gepackt, die ihn immer noch im Griff hatten und ihn von dem Schalter weg gezerrt. Er war überrumpelt worden, hatte nicht darüber nach gedacht, was die Frau in ihren Bildschirm eingegeben hatte und sich dafür selbst verflucht. Er hatte gerufen, dass seine Frau todkrank wäre und sein Stimme hatte verzweifelt geklungen.

      In diesem Moment meinte er, hätte er in dem strengen Gesicht der Frau etwas zucken sehen, eine Regung von Mitgefühl. Doch dann hatte sie die Lippen fest aufeinander gepresst und sich von ihm abgewandt.

      Er hatte weiter geschrien, bis sein Hals heiser war.

      Was er damit bezwecken wollte, wusste er nun selbst nicht mehr, denn die Frau hatte ihm ihre Hilfe verweigert und ihm war klar, dass sie ihre Meinung durch seinen Protest nicht geändert hätte. Doch er hatte schreien müssen, wie ein Verrückter, dessen Leben davon abhing, denn er war so weit vorgedrungen, ohne gefasst zu werden, war unbemerkt über den Zaun gekommen und ins Krankenhaus und hatte die Chance gehabt, die Leute umzustimmen.

      Er hatte wirklich geglaubt, sie würden weich werden und ihm helfen. Doch was hinter dem Zaun geschah, interessierte sie offensichtlich nicht. Das konnte er einfach nicht verstehen. Wie in Gottes Namen konnten die, denen es so gut ging, nicht ihre Fähigkeiten teilen?

      Er verlangte nicht einmal Geld oder sonstige Güter. Er verlangte doch nur Hilfe, war das denn nicht menschlich? Und war es nicht auch menschlich, den Bedürftigen zu helfen?

      Unter den Reichen und Gebildeten waren so viele Ärzte, ein Kinderspiel wäre es für sie, eine Grippe zu heilen oder die Symptome seiner armen Frau zu lindern.

      Er hatte um sein Leben geschrien, denn ihres hing von seinem Erfolg ab. Doch er war gescheitert und wurde sich nun bewusst, was dies bedeutete. Sie musste sterben.

      Er blieb stehen, was die beiden Polizisten überraschte.

      Er schnappte nach Luft und hielt sie an, dann blies er sie langsam aus. Nicht nur sie war nun auf der Schwelle des Todes, er war es höchstwahrscheinlich

Скачать книгу