Das Hospital. Benno von Bormann
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10. Kapitel Universitätsklinik
Birte und die Kinder saßen schon am Frühstückstisch, als Bekker frisch geduscht und noch im Bademantel dazukam. Der Flur stand voll mit Koffern, Taschen und Tüten.
„Ich glaube, die Kinder wollen ihre ganze Zimmereinrichtung mit in den Urlaub nehmen“, sagte er statt einer Begrüßung und drückte seiner Frau einen angedeuteten Kuss auf die Stirn. Sie sah kurz auf.
„Na, Langschläfer, auch schon da?“ Es war kurz vor halb neun, normalerweise äußerst spät für Bekker. Seine Zeit aufzustehen war selten nach fünf Uhr früh, womit er gelegentlich kokettierte, und nun war es eigentlich bereits ‚mitten am Tag‘.
„Bin immerhin schon gelaufen“, murmelte er, als müsse er sich rechtfertigen. Seinen Morgenlauf ließ er nie ausfallen. Manchmal geriet der etwas kürzer als geplant, aber egal, wie er sich fühlte, wie lang die Nacht gewesen war oder ob er etwas mehr als sonst getrunken hatte, gelaufen wurde immer. ‚Lass’ ich’s einmal ausfallen‘, soviel war ihm klar, ‚hör’ ich irgendwann ganz auf.‘ Und das wollte er auf keinen Fall. ‚Der Mensch soll einmal am Tag schwitzen‘, wer hatte das noch gesagt?
„Ich weiß, liebes Schatzi, in der Zeit habe ich Deinen Koffer gepackt“, entgegnete seine Frau süßsauer, aber ohne wirklichen Vorwurf. Bekker hasste es, Koffer zu packen. Außerdem vergaß er immer etwas. Er setzte sich zwischen die Kinder und langte nach den Semmeln. Birte räumte bereits ihr Besteck und ihren Teller zusammen. Irgendwie hatte Bekker das Gefühl, als habe sie es mit dem Aufbruch besonders eilig, obwohl sie noch viel Zeit hatten. Sie schien sich vor etwas zu fürchten, eine Störung, eine Verzögerung, der sie aus dem Weg gehen wollte. Das war wohl auch der Grund, warum sie sich bisher noch mit keinem Wort nach Jürgen und Ruth erkundigt hatte.
Birte mochte Jürgen sehr gern. Bekker argwöhnte manchmal, dass sie ein wenig in ihn verknallt war. Wenn sie mit ihm tanzte, dann Wange an Wange und ohne dass noch viel dazwischen gepasst hätte. Trotzdem hatte sie nicht gefragt, wie es ihm ging und was überhaupt los war. Als Bekker gegen drei Uhr morgens ins Bett gekommen war, hatte sie fest geschlafen. Aber sie waren gemeinsam aufgewacht und hatten beide noch ein bisschen gedöst, wobei sie auf dem Rücken lag und er auf der Seite, das Gesicht zu ihr gewendet. Dabei schob er eine Hand unter ihren nackten Po, wie er das bei dieser Gelegenheit immer tat, und sie beide liebten es, ohne je darüber zu sprechen. Es war eine zärtliche Geste, mit der er Nähe und Innigkeit suchte, als ob er eine Antenne ausrichtete.
Sie besprachen allerlei Belangloses, während die Kinder durcheinander quasselten und sich ausmalten, was sie am Strand und am ‚Schwimmingpuhl‘ alles anstellen wollten. Zenia war dreieinhalb Jahre alt, Jenny sechs. Sie würde nächstes Jahr in die Schule kommen.
„Sag mal“, fragte Bekker schließlich, „interessiert es Dich überhaupt nicht, was mit Jürgen ist und wie es Ruth geht?“ Birte sah hoch mit einer Mischung aus Schuldbewusstsein und Aggression.
„Ich hatte keinen Moment Sorge, dass Du’s mir verschweigen würdest“, antwortete sie spitz. Ihr Ton und ihr Blick irritierten ihn, und plötzlich fühlte er Empörung,
„Ach, ist ja auch egal“, sagte er mit einer Schärfe, die er im gleichen Moment bedauerte, „sind ja nur unsere besten Freunde. Er wäre fast krepiert, hat zwei Hirnoperationen innerhalb von wenigen Stunden hinter sich und liegt nun verkabelt und beatmet auf der Intensivstation, während seine Frau, die ja angeblich eine Deiner besten Freundinnen ist, sich die Augen ausheult und weder aus noch ein weiß. Aber wir haben natürlich Wichtigeres zu besprechen als solche Banalitäten.
,,Ach verdammt!“ Noch während er sprach tat ihm seine Tirade leid. Birte war aufgestanden und kam um den Tisch herum. Ihr Kinn zitterte und in ihren Augen waren Tränen, als sie neben seinem Stuhl in die Hocke ging und wortlos ihren Kopf in seinen Schoß legte. Das hatte sie schon lange nicht mehr gemacht. Bekker merkte, dass sie weinte und fühlte sich miserabel.
„Ach Birte, Du mein Liebes. Ich hab’s doch gar nicht so gemeint. Ich bin einfach manchmal grässlich. Verzeih mir. Komm, mein Schatz.“ Er hob sie hoch und sie setzte sich auf seinen Schoß. Es tat ihm so furchtbar leid. Sie war immer so lieb und so besorgt. Um die Kinder, um ihn und die Familie, um ihre Freunde. Eigentlich um die ganze Welt. Seine Vorwürfe waren so ungerecht. Wer weiß, was sie im Moment bewegte? Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, damit er ihre Tränen nicht sieht. „Hör auf“, flüsterte sie undeutlich an seinem Ohr und schniefte dabei, „Du hast ja vollkommen recht. Ich bin so gefühllos, Peter.“ Sie klang bewegt und sehr ernst. Wenn sie ihn Peter nannte, war sie immer ernst. Sonst sagte sie ‚Bekker‘, wie alle anderen auch. Er wollte protestieren, aber sie legte einen Finger auf seinen Mund.
„Das war eine hässliche Bemerkung von mir, überflüssig und doof, saudoof sogar.“ Wieder fing sie an zu schluchzen, weinte schließlich still an seiner Schulter, konnte nicht weitersprechen. Bekker war wie vom Donner gerührt. Was in aller Welt war passiert? Hatte er in seiner grenzenlosen Selbstbezogenheit mal wieder etwas übersehen, irgendwelche Zeichen an der Wand nicht bemerkt? Das hier war jedenfalls nicht der übliche Streit um des Kaisers Bart. Birte hob den Kopf. Ihre Augen waren rot und sagten irgend etwas zu ihm, das er nicht verstand, das ihn aber beunruhigte.
„Ich kenn Dich doch, Peter. Natürlich weiß ich, dass mit Jürgen etwas Schlimmes passiert ist. Auch wenn es selbstsüchtig und schrecklich klingt, aber ich hab’ solche Angst um unsere Reise, und gleichzeitig schäme ich mich dafür in Grund und Boden. Wir waren drei Jahre nicht im Urlaub, sieht man von ein paar hektischen Kongressbesuchen ohne die Kinder einmal ab. Es geht ja auch wirklich nicht darum, dass ich mich in die Sonne legen will, sondern dass wir endlich einmal etwas als Familie gemeinsam unternehmen. Ein bisschen mehr als einmal im Monat in den Zoo gehen. Du kennst doch Deine eigenen Kinder kaum und umgekehrt. Die meisten Patienten haben mehr von Dir als die zwei. Für die bist Du der große Wohltäter mit dem Heiligenschein, für Zenia und Jenny bestenfalls eine Art regelmäßiger Besuch. Aber sie brauchen Dich, Peter. Mehr als alles andere. Schau doch nur, wie fremd und verstohlen sie Dich manchmal angucken.“ Sie traf seinen Nerv und fast hätte er mit geheult.
„Wenn Du ständig darauf aus bist, Verdienste um das Wohl der Menschheit zu erringen, dann fang hier an, bei Deinen Kindern. Wenn sie einmal anständige und freundliche Menschen werden, die andere mit Respekt behandeln, dann ist das eine Leistung, die durch nichts übertroffen wird. Allerdings kriegt man dafür keinen Orden. Verzeih, ich weiß, dass Du darauf nicht aus bist.“
Bekker hatte einen Kloß im Hals. Das Gespräch nahm eine Wendung, auf die er nicht vorbereitet war. Er antwortete nicht, wusste nicht, was er sagen sollte. Birte hatte Recht, tausendmal Recht. Gerade deshalb hatte er das seit langem fällige Grundsatzgespräch immer wieder weggeschoben, so wie er allem auswich, das seine bequeme, heile Welt stören konnte. Aber jetzt war es auf dem Tisch. Nicht gerade zum günstigsten Zeitpunkt, aber welcher Zeitpunkt war denn überhaupt günstig, wenn es um ein Problem ging, dem man inzwischen jahrelang aus dem Weg gegangen war?
„Hör zu, Schatz“, sagte er und nahm ihre Schultern, um sie ein wenig von sich weg zu halten, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte. Sie wehrte sich zuerst, ließ es aber dann geschehen und sah ihn an.
„Erst ein Taschentuch“, sagte sie und lächelte ein liebevolles, inniges Lächeln. Bekker liebte sie in diesem Moment wie noch nie zuvor.
„Der perfekte Gentleman hat immer ein sauberes Taschentuch parat.“ Das hatte er doch gerade erst gehört. Sie war bereits dabei, sich zu beruhigen. Aber aufgeschoben war nicht aufgehoben bei ihr. Bekker wusste das. Er setzte erneut an, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. Offensichtlich war sie plötzlich an einer grundsätzlichen Auseinandersetzung nicht mehr interessiert. Zumindest nicht in diesem Moment.
„So,